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15.03.2023

14:00

Volkswagen

VW will Bauteile des E-Antriebs vermehrt selbst herstellen

Von: Martin-W. Buchenau, Roman Tyborski

Der Autobauer wird wichtige Bauteile des E-Antriebs selbst herstellen. Damit drängt VW in einen Milliardenmarkt von Zulieferern wie Bosch, Vitesco und Valeo. Der Wettbewerb verschärft sich.

VW imago/Rainer Weisflog

Elektroautofertigung

Autobauer wie Volkswagen wollen immer mehr Komponenten des elektrischen Antriebsstranges selbst fertigen.

Düsseldorf, Stuttgart Die Ankündigung des VW-Konzerns ab 2025 große Teile des elektrischen Antriebsstrangs selbst zu bauen, sorgt für Spannungen in der Branche. Betroffen sind die großen deutschen Autozulieferer, die nun um Aufträge fürchten. Die Betriebsräte von Bosch, ZF, Mahle und Vitesco schlagen bereits Alarm. Ende März wollen sich die Arbeitnehmervertreter der großen Zulieferer nach Informationen des Handelsblatts in Hannover treffen, um ein gemeinsames Vorgehen zu beraten. „Die Zulieferer müssen die Stimme erheben“, sagt der Betriebsratschef eines großen deutschen Autozulieferers.

Die VW-Lieferanten hatten darauf gesetzt, auch langfristig große Systeme für den elektrischen Antriebsstrang an die Autohersteller zu liefern. Experten sehen die Antriebslieferanten in einem strukturellen Dilemma, denn sie verlieren beim Übergang zur Elektromobilität ohnehin an Wertschöpfung. „Wenn jetzt immer mehr Autohersteller zum Insourcing tendieren, dann wird dieser Wettbewerb noch intensiver, die Gewinnbeiträge werden geringer“, sagt Wolfgang Bernhart, Autoexperte bei Roland Berger.

Volkswagen ist nicht der einzige Hersteller, der Wertschöpfung von den Zulieferern abziehen will. Mercedes prüft, eine eigene Leistungselektronik zu fertigen, BMW verwendet in seinem Elektro-SUV iX bereits selbst entwickelte Inverter. Sie folgen beim Insourcing dem Beispiel von Tesla und den chinesischen Autobauern BYD und Nio.

VW will wichtige Bauteile selbst herstellen – Bosch, Valeo und Co. sind alarmiert

Es geht um einen gigantischen Markt. Roland Berger schätzt, dass der Markt für Komponenten des elektrischen Antriebsstranges bis 2030 weltweit auf 80,7 Milliarden Euro wächst.

Das Problem: Baut ein Hersteller wie VW wichtige Bauteile selbst, gehen Zulieferern auf einen Schlag bis zu zehn Prozent des Gesamtmarktes abhanden. VW begründet das verstärkte Engagement derweil mit wirtschaftlichen Erwägungen. „Alleine durch die optimale Abstimmung der Einzelkomponenten sind bis zu 20 Prozent mehr Effizienz möglich“, heißt es in der Mitteilung des Konzerns. Zum anderen würden auch höhere Skaleneffekte eine Rolle spielen. „Der Volkswagen-Konzern gehört damit zu den ganz wenigen Autoherstellern weltweit, die künftig ein ganzheitlich optimiertes Gesamtsystem anbieten können“, sagt Technikvorstand Thomas Schmall.

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Zu den Betroffenen des VW-Vorstoßes im Antriebsbereich zählen unter anderem Bosch, Valeo und Vitesco. Sowohl Bosch als auch Valeo liefern Inverter für Volkswagens MEB-Baureihe. Auf Anfrage wollen sich weder Bosch noch Valeo offiziell dazu äußern, welche konkrete Folgen es für das eigene Geschäft haben wird, wenn VW die Inverter ab 2025 selbst baut.

Große Preisunterschiede zwischen Autoherstellern und Zulieferern

Hinter den Kulissen der größten Antriebszulieferer der Welt aber herrscht Verwunderung. Es sei fraglich, ob die Wolfsburger bereits in zwei Jahren in der Lage sein werden, Inverter zu konkurrenzfähigen Kosten in Serie zu fertigen, heißt es aus Zulieferer-Kreisen.

Wie groß der Preisunterschied zwischen Bauteilen von Zulieferern und Autobauern sein kann, zeigen unter anderem Untersuchungen des Marktforschungsunternehmens Yole. Demnach kostet der Inverter für einen ID.3 von Volkswagen, den derzeit noch Valeo liefert, pro Einheit 1095 US-Dollar. BMWs eigener Inverter für den iX hingegen kostet über 5400 US-Dollar.

Einschüchtern lassen will sich Bosch von VW jedenfalls nicht. „Wir erleben, dass Hersteller unterschiedliche Strategien der Wertschöpfung verfolgen. Die Nachfrage nach unseren Systemlösungen ist insbesondere in China sehr hoch“, sagt ein Bosch-Sprecher und verweist auf die Worte von Bosch-Chef Stefan Hartung. Der hat kürzlich darauf aufmerksam gemacht, dass Bosch mit Antriebssträngen in China demnächst schwarze Zahlen schreibt.

Das sehen die Entscheider bei Valeo ähnlich. „Bei Valeo arbeiten wir mit allen großen Autoherstellern weltweit zusammen, was die Auswirkungen von Strategieänderungen einzelner Kunden begrenzt“, teilt der französische Zulieferer mit. Valeo geht davon aus, dass die Hersteller weltweit etwa 40 Prozent der Inverter auslagern werden. „Diese Zahlen sind wahrscheinlich konservativ, denn unsere Konkurrenten Vitesco und BorgWarner schätzen, dass der ausgelagerte Markt größer ist“, teilt das französische Unternehmen mit.

Intern rechnet Vitesco damit, dass der Fertigungsanteil der Zulieferer bei Invertern auf etwa 70 Prozent im Jahr 2030 steigen wird. dpa

Autozulieferer Vitesco

Intern rechnet Vitesco damit, dass der Fertigungsanteil der Zulieferer bei Invertern auf etwa 70 Prozent im Jahr 2030 steigen wird.

Für Vitesco ist das verstärkte Insourcing der Autobauer allenfalls eine Momentaufnahme. „Es wird sich jetzt über die Jahre zeigen, wie stark der Montageteil bei den Kunden sein wird. Wir schätzen, dass die Tendenz des Insourcings in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts wieder abflachen wird“, teilt der MDax-Konzern mit. Intern rechnet Vitesco damit, dass der Fertigungsanteil der Zulieferer bei Invertern (Leistungselektronik) von derzeit 50 auf etwa 70 Prozent im Jahr 2030 steigen wird.

Die Entscheidung von Volkswagen werde in Betriebsratskreisen von Vitesco daher sehr genau beobachtet. Es stelle sich die Frage, ob die bisherigen traditionellen Partnerschaften zwischen Autobauern und etablierten Antriebslieferanten weiterhin bestehen bleiben, berichtet eine Person aus dem Arbeitnehmerumfeld.

Mit der Ankündigung von Volkswagen sehen Branchenexperten erste Anzeichen, dass sich bei der Transformation zur Elektromobilität die traditionell enge Verbindung zwischen Autobauern und etablierten Zulieferern lockert. Anstelle von traditionellen europäischen Autoherstellern beginnen die Zulieferer immer stärker auch Elektro-Newcomer aus China zu beliefern.

Volkswagen will mit Insourcing eigene Arbeitsplätze sichern

Denn technische Argumente dürften für Volkswagen nur eine untergeordnete Rolle spielen. Was der Autobauer offiziell nicht erwähnt, ist das Thema Arbeitsplatzsicherheit. Es gelte im Rahmen der Transformation mithilfe einer höheren Wertschöpfungstiefe auch Arbeitsplätze bei VW zu sichern, heißt es aus Wolfsburger Kreisen.

Im Zuge der Transformation hin zur Elektromobilität fallen Tausende Jobs aus dem Verbrennerbereich weg. Es ist kein Geheimnis, dass ein Verbrenner aus deutlich mehr Komponenten besteht als ein Elektromotor. Die komplette Industrie sucht deshalb nach zusätzlichen Arbeitsinhalten.

Auch Thermomanagement-Spezialist Mahle wäre stark von Volkswagens Kurswechsel betroffen. Überraschend will Volkswagen auch das Thermomanagement künftig selbst fertigen, wie aus der Mitteilung des Konzerns hervorgeht. In der Mahle-Zentrale wird aber bezweifelt, dass Volkswagen alle wichtigen Systemkomponenten auch tatsächlich selbst herstellen wird. „Die besten Lösungen werden sich wie üblich am Markt durchsetzen – und da sehen wir uns stark positioniert“, sagte ein Mahle-Sprecher. Konkurrent Valeo rechnet sogar damit, dass die thermischen Systeme auf lange Sicht vollständig an Zulieferer ausgelagert werden.

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Volkswagen wagt daher auch nicht den kompletten Alleingang. Aus Industriekreisen heißt es, dass sich in den vergangenen Tagen irritierte Anfragen von Zulieferern bei VW bezüglich des Thermomanagements gehäuft hätten. Die Wolfsburger ruderten anschließend teilweise zurück. Einem Konzernsprecher zufolge wolle der Autobauer nun nicht mehr komplett fertige Module bei den Zulieferern von der Stange kaufen, sondern die werthaltigsten Komponenten des Thermomanagements selbst bauen. Die restlichen Bauteile würden aber weiterhin von Zulieferern bezogen. Das dürfte nur ein schwacher Trost für die Zulieferer sein.

Denn Bernhart zufolge würden einige Autohersteller die eigene Produktion mittlerweile so stark vertikal integrieren, „dass sie damit beginnen auch nicht wettbewerbsdifferenzierende Komponenten im Antriebsbereich zu fertigen“. Solche Komponenten werden in der Regel aus Kostengründen von Zulieferern produziert, weil sie die Bauteile für verschiedene Autohersteller fertigen und dadurch höhere Stückzahlen und so auch höhere Skaleneffekte erzielen können.

Eigenfertigung könnte Elektroautos von VW teurer machen

Der Betriebsratschef eines großen Zulieferers zweifelt daher daran, dass Autobauer mit der Eigenfertigung höhere Skaleneffekte erzielen können: „Man wird sehen, ob Volkswagen mit seinen Kostenstrukturen betriebswirtschaftlich wettbewerbsfähig ist.“ Volkswagen könnte beim Elektroauto durch hohe Preise massiv an Marktanteil verlieren, oder gezwungen sein, die Preise zu senken und auf Marge zu verzichten.

Das könnte sich Bernhart zufolge spätestens dann rächen, wenn die chinesischen Autobauer mit ihren Elektroautos auf einer weitaus günstigeren technischen Basis demnächst auf den deutschen Markt drängen werden. Wo beides für heimische Arbeitnehmer endet, wissen Arbeitnehmervertreter genau: „Insourcing der Autohersteller wird den bereits bestehenden massiven Verlagerungsdruck ins kostengünstigere Osteuropa weiter verstärken“, sagt der neue Mahle-Betriebsratschef Boris Schwürz. Er drängt darauf, mit seinem Arbeitgeber über die gesamte Transformationsproblematik in einem geordneten Prozess zu verhandeln.

ZF-Gesamtbetriebsratschef Achim Dietrich sieht das Ende der engen Partnerschaft zwischen den Autobauern und Zulieferern noch nicht gekommen. „Hervorragende Autos zu bauen wird ohne die Innovationskraft der Autozulieferer nicht gehen“, sagt er. „Wir müssen den Autoherstellern technologische und wirtschaftliche Angebote machen, auf die sie nicht verzichten können.“

Erstpublikation: 13.03.2023, 04:00 Uhr.

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