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SebastianKirstin
"Wir stecken inmitten einer Zeit multipler Krisen. Neue Technologien können helfen, die tiefgreifende Transformation zu bewältigen. Mit der Innovation Week beleuchten wir inspirierende Ideen und die Köpfe dahinter."

03.05.2021

12:57

Auto-Software

Mit diesen Ideen wollen Daimler, BMW und VW die Techkonzerne abhängen

Von: Hannah Krolle

Die deutschen Hersteller fordern Google und Tesla mit eigenen Betriebssystemen heraus. Der E-Autobauer Polestar setzt hingegen voll auf den Suchmaschinenkonzern. Ein Vergleich.

Die Software entscheidet über den Erfolg der Marke.

Mercedes-Benz EQS bei der Autoshow in Schanghai 2021

Die Software entscheidet über den Erfolg der Marke.

Düsseldorf Sprachsteuerung, Spurhalteassistent, Pulsmessung am Lenkrad: Was vor zehn Jahren an Science-Fiction-Filme erinnerte, ist heute in einigen Autos Realität. Inzwischen entscheidet die Software über den Erfolg einer Automarke, denn sie ist für viele Kunden ein wichtiges Kaufargument.

Das zeigt eine Studie der Beratungsgesellschaft McKinsey: 37 Prozent der Autokäufer geben an, sie würden für bessere digitale Angebote das Auto einer anderen Marke kaufen – bei den für deutsche Marken so wichtigen Käufern von Premiumfahrzeugen sind es sogar 47 Prozent.

Die Autoindustrie verstehe zunehmend, „dass Konnektivitätslösungen nicht nur zusätzlichen Umsatz und Kosteneinsparungen über den gesamten Lebenszyklus des Autos bringen, sondern den Kunden auch viel stärker an die Marke binden können“, erklärt Timo Möller, Partner bei McKinsey und Co-Autor der Studie.

Unterdessen wächst für die deutschen Hersteller der Konkurrenzdruck, denn die amerikanischen Techkonzerne schlafen nicht. Google drängt mit einem eigens für die Automobilindustrie entwickelten Betriebssystem auf den Markt, das drahtlos „over the air“ ständig aktualisiert wird. Auch Tesla hat seine Flotte mit einem eigenen Betriebssystem ausgestattet.

Deutsche Autobauer müssten beim Thema Software „technisch auf die neuesten Standards setzen“, um gegenüber den IT-Konkurrenten aus dem Silicon Valley bestehen zu können, erklärt Alexander Koster, Partner der Beratungsgesellschaft Boston Consulting Group. Die Hersteller reagieren und kündigen Neuerungen an. Mit diesen Ideen sagen die Autobauer Google und Tesla den Kampf an – ein Überblick.

VW: 27 Milliarden Euro in Digitalisierung

VW investiert bis 2024 rund 27 Milliarden Euro in die Digitalisierung. Konzernchef Herbert Diess will den Konzern zum Technologieunternehmen weiterentwickeln und ihn auf Augenhöhe mit Tesla und Apple bringen. „Die Digitalisierung ist eine Revolution, für uns als Branche und für die Kunden. Autos werden zukünftig selbst fahren. Damit wird sich das Geschäftsmodell grundlegend ändern“, sagte Diess dem Handelsblatt.

In jedem Fahrzeug, nicht nur in den Luxusklassen, sollen Computerprogramme für autonomes Fahren installiert sein. Dafür braucht VW ein leistungsfähiges Betriebssystem. Den Prozessor dafür soll laut Diess die Softwaretochter Cariad entwickeln. „Wir bauen diese Kompetenzen auf, und wir versuchen, das so schnell wie möglich zu leisten“, sagte der VW-Chef. Beschleunigen will der Konzern den Prozess durch Kooperationen mit den Techunternehmen Mobileye und Nvidia.

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Auch optisch will Diess die Volkswagen-Fahrzeuge der Zukunft verändern, nachdem das erste Elektromodell, der ID.3, im vergangenen Jahr heftiger Kritik ausgesetzt gewesen ist: zu viel Kunststoff, zu wenig Detailgenauigkeit, digitale Pannen.

Das zweite Elektromodell, der SUV ID.4, soll Softwareupdates „over the air“ ermöglichen und sich auch optisch vom Vorgänger unterscheiden: Der zwölf Zoll große Touchscreen ersetzt die meisten Knöpfe und Schalter, die Digitalanzeige hinter dem Lenkrad wird verkleinert.

BMW OS8: Neues Betriebssystem kommt noch in diesem Jahr

Ab 2025 will BMW mit der „Neuen Klasse“ alle Fahrzeugmodelle auf Elektromobilität umstellen und sie mit neuer Software und Batterietechnik ausstatten. „Die Neue Klasse ist für uns der Nukleus, um das Auto von Grund auf neu zu denken“, sagte BMW-Konzernchef Oliver Zipse im März dieses Jahres. Um den Angriff des US-Konkurrenten Tesla abzuwehren, will BMW den Elektro-SUV „iX“ und das Elektro-Coupé „i4“ noch in diesem Jahr auf den Markt bringen. Darin soll auch das neue Softwaresystem „OS8“ verbaut sein.

Dieses soll die Anzahl der Informationen für den Fahrer reduzieren, indem die Software durch Künstliche Intelligenz die relevanten Daten selektiert. Etwa 2,5 Millionen Fahrzeuge sind über das Betriebssystem miteinander vernetzt, der Datenaustausch erfolgt erstmals über den Mobilfunkstandard 5G, der Softwareupdates in großem Stil „over the air“ ermöglichen soll.

Technische Veränderungen im Fahrzeug sollen das neue Betriebssystem begleiten. Die Anzahl der Tasten im Cockpit etwa wird um die Hälfte verringert und durch eine erweiterte Sprachsteuerung und ein Zentraldisplay ersetzt. Für die Kunden solle die Bedienung durch die Sprachsteuerung einfacher und der Innenraum übersichtlicher werden, heißt es bei BMW. Schon jetzt können Fahrer ihr Auto per Smartphone öffnen und das Navigationssystem mit der Cloud verbinden. Im OS8 integriert BMW Drittanbieter-Apps, etwa Spotify, Apple Music, die Apple-Sprachsteuerung Siri und Google Maps.

Daimler MBUX: Hyperscreen in neuer Elektro-Limousine EQS

Auch Daimler will vor allem mit digitalen Features Kunden gewinnen. Die „Mercedes-Benz User Experience“, kurz MBUX, hat der Konzern überarbeitet und Mitte April in der neuen Elektrolimousine EQS vorgestellt. Die ist zwar nur ein Modell innerhalb der Fahrzeugflotte von Daimler; sie zeigt aber, auf welchem Stand sich der Konzern in den Bereichen Technik und Software befindet.

50 Fahrzeugfunktionen sollen per Update „over the air“ aktiviert werden, der „Drive Pilot“ steuert das Fahrzeug autonom im stockenden Verkehr. Die Sekundenschlafwarnung analysiert durch eine Kamera im Fahrzeugdisplay den Lidschlag des Fahrers und fordert ihn zu einer Pause auf, wenn sie Müdigkeit erkennt. Befindet sich ein Radfahrer im toten Winkel, schlägt die Gefahrenanzeige an, sobald der Autofahrer die Hand in Richtung Türgriff bewegt.

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Mit einem 1,40 Meter breiten Hyperscreen will Daimler „dem Wunsch nach mehr digitaler Interaktion“ nachkommen, sagte Britta Seeger, Vorstandsmitglied und Vertriebschefin von Daimler, bei der Vorstellung des neuen Elektroautos. Die gebogene Glasfläche verbindet drei Displays und erstreckt sich über das gesamte Cockpit.

Das System soll sich die Vorlieben von bis zu sieben Fahrern merken und durch Künstliche Intelligenz Funktionen vorschlagen, die der Fahrer brauchen könnte. Unter dem Touchscreen liegen insgesamt zwölf Sensoren, die eine Vibration auslösen, wenn der Finger bestimmte Stellen auf dem Display berührt. Trotz der vielen Extras wird es das eigene Betriebssystem „MBOS“ erst 2024 geben, vorher nutzt Daimler externe Software.

Wie zahlreiche deutsche Autokonzerne wehrt sich auch Daimler gegen eine Kooperation mit den US-amerikanischen Techkonzernen. „Wir definieren die Standards und behalten die Kontrolle über die Integration aller Systeme und Software“, erklärte Daimler-Technikchef Sajjad Khan.

Polestar: „Tesla aus Schweden“ setzt auf Google

Einen anderen Ansatz wählt Polestar. Der schwedische Elektroautobauer setzt vollständig auf das Google-Betriebssystem Android. 2017 präsentierte Polestar einen Sportwagen mit Hybridantrieb, von dem etwa 500 Stück pro Jahr gebaut wurden. Mit dem Polestar 2 geht der Volvo-Ableger, der zum chinesischen Konzern Geely gehört, ins Massengeschäft.

Die Bedienung des Elektroautos ist, ähnlich wie bei Tesla, einfach: Der Fahrer hat über einen Bildschirm Zugang zum Sprachassistenten „Google Assistant“, zum Kartendienst „Google Maps“ und zum App-Store „Google Play“. Updates von Google erhalten alle Polestar-Kunden automatisch „over the air“. Polestar-Chef Thomas Ingenlath erklärt: „Android hat aus Kundensicht riesige Bedienvorteile, allein der Sprachassistent ist in der Autoindustrie unerreicht.“ Google habe mehr Daten als jedes andere Unternehmen und könne Sprachassistenten oder Karten schneller verbessern als Polestar selbst.

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Experten sind sich einig, dass die deutschen Autobauer Hilfe bei der Software nötig haben. „Nur drei oder vier Autokonzerne haben die Fähigkeiten und Kapazitäten, das selbst zu machen“, sagte Stephan Keese, Auto-Experte bei Roland Berger, der „Wirtschaftswoche“. „Das lohnt sich aber auch nur, wenn die Funktionen markendifferenzierend sind – sprich: sie sich mit der eignen Lösung vom Wettbewerb abheben können.“

Beim Design und technischen Innovationen sind laut Branchenexperten die deutschen Autobauer weit vorn. Doch bei der Software haben sie einiges nachzuholen, vor allem in den Bereichen Kommunikation und Entertainment. Eine Kampfansage an die amerikanische Konkurrenz sind die Ideen von Daimler, BMW und VW dennoch.

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