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08.08.2021

19:00

Bertelsmann-Projekt

„Wo sollen die tollen Inhalte herkommen?“ – Das sagen Kritiker zur Fusion von RTL und Gruner + Jahr

Von: Hans-Jürgen Jakobs

PremiumDie Fusion von RTL und Gruner + Jahr soll gegen Netflix und Google helfen. Doch RTL-Gründungschef Thoma zweifelt: Die Idee des Medienverbunds ist oft gescheitert.

Durch die Fusion der beiden Medienhäuser RTL und Gruner + Jahr soll ein „Powerhouse“ des unabhängigen Journalismus entstehen. dpa

Firmenschild von RTL

Durch die Fusion der beiden Medienhäuser RTL und Gruner + Jahr soll ein „Powerhouse“ des unabhängigen Journalismus entstehen.

München Im Zustand der vollkommenen Innovation sieht sich Thomas Rabe, Chef des Medienkonzerns Bertelsmann und seines Hauptgewinnbringers RTL Group: „Wir betreten Neuland, es gibt weltweit dafür keine Blaupause.“ Man wolle, verkündet der 56-jährige Manager, „nicht einfach so weiterwerkeln“ wie bisher.

Gemeint sind seine Arbeiten an einem Medienverbund, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat: Fernsehen erweitert sich mit Zeitschriften, TV heiratet Print, RTL Deutschland übernimmt den Verlag Gruner + Jahr – der mal Europas Champion war, inzwischen aber auf kleiner Flamme kocht. Zum 1. Januar 2022 soll eine Fusion gelingen, die den beiden Firmen aus dem Bertelsmann-Reich gemeinsam eine bessere Zukunft im Mediengeschäft bereitet. Das wird von Giganten aus den USA beherrscht: im Publikumsmarkt, also im Vertrieb, von Streamingplattformen wie Netflix, Amazon Prime oder Disney Plus, im digitalen Werbegeschäft von Google, Facebook und wiederum Amazon dominiert.

Es ist ein ambitioniertes Experiment auf offener Bühne mit höchst ungewissem Ausgang. Wer immer sich bisher einer engen Kooperation zwischen gedruckten und flimmernden Medien genähert hat, ist gescheitert.

Konzernherr Rabe, ein Finanzexperte mit heraklischem Anspruch, ist überzeugt: Gegen die übermächtige Konkurrenz aus Amerika ist dieser Deal – zum Schnäppchenpreis von 230 Millionen Euro – genau das Richtige. Die neue, arg verkleinerte G+J Deutschland GmbH mit 1700 Mitarbeitern verbleibt in Hamburg, die Redaktionen von „Stern“, „Geo“ oder „Brigitte“ werden künftig organisatorisch von RTL in Köln geführt.

Man sinnt auf Gemeinsames in den Kategorien Print, Video und Audio. Begeistert zählt Rabe, den nach eigenem Bekunden „leichte Euphorie“ ergriffen hat, die – theoretischen – Vorteile eines solchen Medienverbunds auf: Man kann, wenn es gut läuft, exklusive Inhalte besser entstehen lassen, etwa im neuen Ressort „Stern investigativ“. Es ließe sich gegenseitig füreinander bessere Cross-Promotion betreiben, ein Magnet für die besten kreativen Talente könnte entstehen, die Marken würden sich ergänzen – und ein starkes gemeinsames Angebot wäre viel attraktiver für Werbekunden.

Ein neues Powerhouse für unabhängigen Journalismus soll entstehen

Schon sieht Rabe RTL als „Powerhouse für unabhängigen Journalismus, Inspiration und positive Unterhaltung“. Trashkönig Dieter Bohlen, lange Zeit Superstar im Kölner Sendebetrieb, musste gehen. Man setzt nun auf Seriosität. Die Ex-ARD-Kräfte Jan Hofer und Pina Atalay moderieren abends bald das Newsmagazin „RTL direkt“, parallel zu den „Tagesthemen“ des alten Arbeitgebers.

Schon jetzt arbeiten RTL und Gruner + Jahr in einer „Ad Alliance“ und „Content Alliance“ unter dem starken Einfluss des G+J-Chefs Stephan Schäfer eng zusammen. Er dürfte künftig das Fusionsprodukt mit aktuell 2,63 Milliarden Euro Umsatz und 500 Millionen Gewinn lenken. Dank der Integration soll vor allem das hauseigene Streamingportal gestärkt werden, das von „TV Now“ in „RTL Plus“ umgetauft wird. Für den Herbst plant RTL-Deutschlandchef Bernd Reichart, zwei Millionen Abonnenten zu erreichen. Zusammen mit den Niederlanden meldet die RTL Group insgesamt bereits mehr als drei Millionen Kunden, ein Plus von 72 Prozent.

Doch der österreichische RTL-Veteran Helmut Thoma, 82, ist skeptisch. Er hat den TV-Sender von kleinsten Anfängen in Luxemburg vor fast 40 Jahren aufgebaut und war 1998 im Streit mit Bertelsmann gegangen. „Was soll denn da herauskommen?“, fragt er süffisant: „Wo sollen denn, bitte schön, all die tollen Inhalte herkommen?“ Der Publikumsdauerbrenner „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ sei eine Ausnahme im Programm. Dokumentationen gebe es im Markt genug. Und mit „Alarm für Cobra 11“ werde nach 25 Jahren die letzte der einst erfolgreichen Eigenproduktionen eingestellt.

Damals in den 1980er-Jahren, als sich Bertelsmann stärker bei RTL engagierte, habe er auch gedacht, dass da eine kreative Welle heranrolle, so Thoma: „Aber da kam nichts.“ Versuche mit „Brigitte“ seien beispielsweise gescheitert. Und „Stern TV“, das bis 2018 über eine Drittsendelizenz und den Publizisten Alexander Kluge ins Programm kam, sei wegen des langjährigen Moderators Günther Jauch erfolgreich gewesen. „Medienverbund RTL/G+J: ‚Da lachen ja die Hühner!‘“, so Thoma.

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Er selbst sei zwar auch nicht im Besitz der absoluten Wahrheit, merkt der Mann aus Wien an, der Aufsichtsratschef der Freenet AG ist. Aber es scheine sich doch eher um ein „Marketingkonzept“ zu handeln und vielleicht um eine Art Abwicklung des einstigen Großverlags G+J. Von einer „Technokraten-Fantasie“ spricht ein anderer Kritiker. Die Kulturen beider Fusionspartner seien sehr unterschiedlich. In Köln lästere man schon mal über die linksorientierte „Geldvernichtungsmaschine“ aus Hamburg, bei G+J sehe man die alte Trashkultur noch nicht ganz überwunden.

Tatsächlich ist das Konzept des „Medienverbunds“ über all die Jahrzehnte eine Illusion geblieben. Das Copyright hierfür geht in den 1980er-Jahren auf den italienischen Medienunternehmer Silvio Berlusconi sowie den aus Australien stammenden Rupert Murdoch zurück. Sie investierten gleichermaßen in Fernsehen und Presse. Eindruck hinterließen aber weniger die betriebswirtschaftlichen Effekte als vielmehr der damit verbundene Machtzugewinn gegenüber der Politik.

In Deutschland machte sich der Münchener TV- und Filmunternehmer Leo Kirch (1926-2011) mit Verweis auf Berlusconi und Murdoch daran, seinen Einfluss als Großaktionär des Axel Springer Verlags immer weiter auszudehnen. Aber die Macher von „Bild“ weigerten sich einfach, wie verlangt die Kirch-Kanäle Sat 1 und Pro Sieben hochzujubeln.

Voller Hoffnung hatte der einstige US-Vorzeigekonzern AOL im Januar 2000 für 165 Milliarden Dollar den Medienkonzern Time Warner gekauft: Klassische Inhalte sollten über neue Vertriebswege zum Massenerfolg werden, man sprach von „grenzenlosen Chancen“. Nach fast zehn Jahren wurde AOL – mit horrenden Verlusten an Aktionärskapital – frustriert wieder abgestoßen. Nicht die AOL-Aktivitäten hatten prosperiert, sondern Google, Facebook und Amazon, jene US-Techkonzerne also, gegen die sich Bertelsmann-Lenker Rabe nun wehrt.

Bertelsmann-Chef Rabe sieht sich als Konsolidierer

Der gebürtige Luxemburger begeistert sich, sein Unternehmen habe in einem halben Jahr mehr in Europa konsolidiert als die gesamte europäische Medienindustrie in 20 Jahren. Rabe setzt auf „nationale Crossmedia-Champions“. So unterpflügte er in Frankreich den eigenen Sender M6 bei der größeren TF1-Gruppe und zementierte in den Niederlanden durch das Zusammengehen mit der Firma Talpa Network des Medienunternehmers John de Mol die eigene Dominanz.

Falls die Kartellbehörden den Transaktionen zustimmten, so Rabe, sei in zwei Jahren eine Fusion der Kölner RTL-Gruppe – zu der auch N-TV, Vox und Super RTL (bald „Toggo“) gehören – mit dem Privat-TV-Rivalen Pro Sieben Sat 1 möglich. „Deutschland, das Land, in dem die Monopole blühen“, kommentiert Ex-RTL-Chef Thoma. Wenn die Kartellbehörden ihre Existenzberechtigung nicht verlieren möchten, müssten sie hier einschreiten.

Gruner + Jahr ist keine Sache für Wettbewerbswächter, die Dealpartner gehören ja schon zu Bertelsmann. Nur bei der börsennotierten RTL Group halten freie Aktionäre – noch – rund 24 Prozent der Aktien. Das große Problem bei G+J ist die entschwundene Bedeutung. An die einst glorreiche Zeit erinnerten just Ende voriger Woche die Nachrufe auf den früheren G+J-Chef Gerd („Bela“) Schulte-Hillen. Der verdiente Manager war zwei Tage vor Verkündung der Übernahme seines alten Verlags durch RTL im Alter von 80 Jahren gestorben.

Erst durch das Wirken des Ingenieurs war das Zeitschriftenhaus zum Drei-Milliarden-Unternehmen geworden. Er trieb die internationale Expansion voran, kaufte Zeitungen, entwickelte TV-Formate. Schulte-Hillen meldete der Konzernzentrale in Gütersloh regelmäßig so stolze Gewinne, dass ein Handeln in schönster Autarkie möglich wurde.

Der Bertelsmann-CEO sieht in der Fusion von RTL und Gruner + Jahr Synergiepotenzial von 100 Millionen Euro – vor allem durch gemeinsames Wachstum. Reuters

Bertelsmann-CEO Thomas Rabe

Der Bertelsmann-CEO sieht in der Fusion von RTL und Gruner + Jahr Synergiepotenzial von 100 Millionen Euro – vor allem durch gemeinsames Wachstum.

Davon ist wenig übrig geblieben. Zuletzt schlug Rabe das einst vom legendären Axel Ganz hochgezogene Frankreichgeschäft an den Vivendi-Konzern los. Das Volumen der G+J-Geschäfte, die jetzt auf RTL Deutschland übergehen, liegt bei gerade mal 500 Millionen. 2020 waren noch 1,1 Milliarden Euro Umsatz angefallen. Digitale Beteiligungen, Kundenzeitschriften, die „Sächsische Zeitung“ oder die 25,5-Prozent-Beteiligung am „Spiegel“ verbleiben bei Bertelsmann.
Nach dem Weggang Schulte-Hillens, der 2003 nach einem Streit mit der Eigentümerfamilie Mohn den Dienst als Aufsichtsratschef quittierte, habe sich Gruner + Jahr nicht mehr auf Menschen, sondern auf Märkte konzentriert, analysiert ein ranghoher deutscher Medienmanager. Man habe seitdem primär nicht mehr an den Leser, den Endkunden, gedacht, sondern vor allem an den Anzeigenkunden: „Es ging einseitig um die Herstellung von Werbefläche.“ So habe man etwa die Reichweite des Internetangebots „chefkoch.de“ bejubelt, dabei jedoch vergessen, dass Google und Co. im Netz das Werbegeschäft kontrollieren. Der Niedergang sei bedauerlich, „nun verschwinden die Traditionsmarken wahrscheinlich aus dem Licht“. Es sei eine „hausgemachte Krise“.

Der Umsatz der deutschen Publikumszeitschriften ist rückläufig, die Nettowerbeerlöse sanken 2019 um 8,2 Prozent auf 840 Millionen Euro. Der Markt konzentriert sich nunmehr auf Verlage wie Burda, Bauer, die Funke-Gruppe oder auch Klambt, die stark auf Vertrieb setzen und sich auf andere Aktivitäten stützen können. Bei G+J scheiterten solche Pläne. Als der einstige Vorstandschef Bernd Buchholz 2012 neben dem schrumpfenden Magazingeschäft eine neue Säule („Professional Publishing“) für digitale Fachinformation und Datendienstleistungen hochziehen wollte, blockte Bertelsmann ab.

Die Gütersloher zahlten die Jahr-Familie, den Minderheitsgesellschafter, aus und regierten fortan durch. FDP-Mitglied Buchholz, heute Minister für Wirtschaft, Verkehr, Arbeit, Technologie und Tourismus in Schleswig-Holstein, musste gehen. Und die bereits ausgehandelte Übernahme des britischen Markt- und Meinungsforschungsinstituts Yougov wurde wieder abgesagt.

Fusion muss nicht im Sinne des Geschäfts sein

Seitdem war die jetzige Zäsur bei G+J abzusehen. Zeitschriften galten Rabe früh als „überreifes Geschäft“, er klagt über „strukturelle Rückgänge“. Ohne die Fusion hätte man immer nur Kosten drücken können. Eine Einschätzung, die von Eigentümer-Vertreter Christoph Mohn geteilt wird. Der Bertelsmann-Aufsichtsratschef warnt davor, Medien als „eine Art Museumsbetrieb“ aufrechtzuerhalten. So ist die jetzige Fusion logisch im Sinne der Gütersloher Granden, nicht aber zwangsläufig im Sinne des Geschäfts.

CEO Thomas Rabe fühlt sich derzeit bei der RTL Group beflügelt. 2020 noch war die Lage eher trist: Umsatz minus 9,5 Prozent auf sechs Milliarden Euro, der Gewinn um 35 Prozent auf 492 Millionen gesunken. Doch fürs erste Halbjahr kann das Unternehmen einen Überschuss von 929 Millionen Euro vermelden; er stieg um das Sechsfache. Der Umsatz ist um 13,7 Prozent auf drei Milliarden gewachsen. Die Erlösprognose für das gesamte Jahr liftet Rabe flugs um 300 Millionen auf nun 6,5 Milliarden. Am meisten vom Streamingboom profitiert die große britische Produktionstochter Fremantle. Hier soll sich der Umsatz bis 2025 auf insgesamt drei Milliarden Euro verdoppeln.
Mit diesem Schwung soll auch die Operation G+J gelingen. Die Fusion biete eine „einmalige Chance“ mit einem Synergiepotenzial von 100 Millionen Euro, schwärmt Rabe. Das meiste davon entstehe durch Wachstum, nur ein Viertel davon durch Kostenabbau. Man gehe in der Kooperation jetzt von „punktuell zu systematisch“. Der Bertelsmann-Chef hofft, was noch alle Konstrukteure eines Medienverbunds gedacht haben: „Wir können jetzt in der größeren Einheit ein ganz anderes Rad drehen.“

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