Der Chef des Traditionsverlags spielt mit dem Gedanken, das gesamte Zeitungsgeschäft zu verkaufen. Der Fall hat hohe Symbolkraft für die Medienbranche.
Christoph Bauer
„Preise findet man nur heraus, wenn man auf potenzielle Käufer zugeht. Dazu haben wir uns Ende vorigen Jahres entschieden.“
Bild: Martina Goyert/DuMont
Köln Die Kölner DuMont-Mediengruppe bestätigt erstmals offiziell Planspiele, möglicherweise alle ihre Zeitungen verkaufen zu wollen. „Wir prüfen derzeit gemeinsam mit unseren Gesellschaftern, ob wir Teile oder womöglich auch das gesamte Geschäft veräußern wollen“, sagte der Vorstandschef Christoph Bauer in einem Interview mit dem Handelsblatt.
Es gebe keine Denkverbote, „alles ist möglich“, so der Manager über sein Pressegeschäft, zu dem drei Regionalzeitungen („Kölner Stadt-Anzeiger“, „Berliner Zeitung“, „Mitteldeutsche Zeitung“) sowie drei Boulevard-Titel („Express, „Hamburger Morgenpost“, „Berliner Kurier“) gehören. Bis Mitte Juli soll die Bestandsaufnahme abgeschlossen sein.
Anfangs sei seine Belegschaft „schockiert“ gewesen, so Bauer, „was ich völlig verstehe. Wir waren darauf nicht gut vorbereitet und haben entsprechend schlecht kommuniziert. Das tut mir leid, und dafür habe ich mich intern auch entschuldigt.“
Die DuMont-Mitarbeiter hatten aus anderen Medien von den Planspielen erfahren. Bauer zeigt sich aber zufrieden mit dem bisherigen Prüfprozess zu möglichen Erwerbern: „Preise findet man nur heraus, wenn man auf potenzielle Käufer zugeht. Dazu haben wir uns Ende vorigen Jahres entschieden.“
Auch ein Verkauf an ausländische Firmen oder Finanzinvestoren sei nicht ausgeschlossen. Auf die Frage, was DuMont künftig sein wolle, wenn das Zeitungsgeschäft wegfiele, das heute noch rund zwei Drittel des Umsatzes ausmacht, sagte Bauer: „Ein kleineres Unternehmen als heute, aber zu annähernd hundert Prozent digital und stark wachsend.“
Die Nachkommen der traditionsreichen Verlegerdynastie suchen nach einem Plan für ihren Konzern. Auch eine Zerschlagung der Mediengruppe ist möglich.
Im Jahr 2018 machte die DuMont-Gruppe nach eigenen Angaben einen Umsatz von 621 Millionen Euro (plus 1,0 Prozent). Der Betriebsgewinn stieg demnach auf 74,6 Millionen Euro (plus 3,6 Prozent). Weil aber eine Kartellstrafe von 16 Millionen Euro und andere Altlasten zu verkraften waren, geht CEO Bauer nach eigenen Angaben „von einem Jahresfehlbetrag in Höhe dieser Kartellstrafe aus“.
Große Hoffnungen setzt er auf die neuen Geschäftsbereiche Business Information und Marketing Technology, die schon rund 1000 Menschen beschäftigen: „Sie sind noch klein, legen aber kraftvoll zu.“
Herr Bauer, richtige Zeitungsverleger, denen die Inhalte mehr am Herzen liegen als Geld, gebe es bald nicht mehr, sagte mal ein bekannter Medienmann. „Und wenn erst einmal das Damoklesschwert der Pleite über dem Verlag schwebt, verlieren die Redakteure ihre Freiheit.“ Stimmt diese Analyse noch?
Wer hat das denn gesagt?
Sie könnten es sich denken.
Also von mir stammt’s nicht, aber ich ahne es.
Es sind Kernsätze des 2015 verstorbenen Patriarchen Alfred Neven DuMont, der Sie noch eingestellt hat …
… und der durchaus für eine gewisse Janusköpfigkeit stand: Einerseits wollte er immer guten Journalismus anbieten, andererseits guter Unternehmer sein. Wir wollen auch beides. Uns geht es aktuell ja vor allem um rein ökonomische Fragen – angesichts der Transformation und Disruption, die uns wie die gesamte Medienbranche voll erfasst hat.
Die DuMont-Familie steuert das Verlagsunternehmen jetzt im 400. Jahr als Eigentümer. Was bedeutet solche Tradition noch in schnelllebigen Zeiten wie heute?
Diese Tradition zeigt, wie wichtig es ist, sich kontinuierlich selbst zu hinterfragen: Sind wir noch auf dem richtigen Weg? Wenn Sie so wollen, waren ja schon unsere Anfänge im 17. Jahrhundert von Start-up-Mentalität und neuer Technologie geprägt. Die hieß damals: Buchdruck. Heute ist es die Digitalisierung. Sie verändert alles. Unser Haus hat einen zentralen Wert: seine liberale Grundhaltung. Es gibt keine Dogmen. Unternehmen werden jedenfalls nicht 400 Jahre alt, wenn sie sich nur auf ihre Vergangenheit verlassen.
Sie selbst wurden 2013 als Sanierer geholt, oder?
So sehe ich das nicht. Ich sollte das Unternehmen zukunftsfähig machen.
Damals erlöste das Haus 540 Millionen Euro, machte aber, bedingt durch die Pleite der „Frankfurter Rundschau“, rund 112 Millionen Verlust.
Wir haben schnell erkannt, dass in der Bilanz doch tiefere Bremsspuren zu finden waren als ursprünglich angenommen. Das hier war ein Zeitungsverlag mit vielerlei Beteiligungen. Und das Zeitungsgeschäft war in Summe defizitär. Selbst hier am Sitz in Köln. Die Situation war sehr angespannt, der Handlungsbedarf groß. Das Unternehmen war zudem höchst intransparent und schwer zu führen. Mittlerweile sind wir mit drei Säulen modern aufgestellt: Regionalmedien, Business Information und Marketing Technology. Wir wachsen wieder und setzen heute 621 Millionen um.
Und doch führt eine Kartellstrafe über 16 Millionen Euro wegen verbotener Absprachen in Bonn vermutlich schon dazu, dass Ihr Haus 2018 rote Zahlen schrieb.
Unser Betriebsgewinn stieg auf 74,6 Millionen Euro, das macht uns stolz. Weil neben der Kartellstrafe auch andere Altlasten zu verkraften waren, gehen wir von einem Jahresfehlbetrag in Höhe dieser Kartellstrafe aus.
Ihr Motto lautet „Perspektive Wachstum“. Welche Vision treibt Sie dabei an?
Wir wollen ein fast hundertprozentig digitales Unternehmen werden.
Wann?
Das ist die Königsfrage. Meine Perspektive liegt bei zehn Jahren minus x.
DuMont-Pressehaus in Köln
Seit 1998 Sitz der Mediengruppe, die heute 4000 Mitarbeiter hat und 621 Millionen Euro umsetzt.
Bild: dpa
Gibt’s dann noch Zeitungen auf Papier?
Das wird der Markt entscheiden. Pauschal lässt sich das nicht beantworten. Die Mediennutzung wird dann überwiegend digital sein. An den Realitäten kann man ja nicht vorbei: In den vergangenen zehn Jahren haben allein die gedruckten Boulevardtitel in Deutschland gut die Hälfte ihrer Auflage verloren, die Abonnement-Tageszeitungen rund 30 Prozent. Der Trend ist klar.
Ist das der Grund, warum Sie nun all Ihre klassischen Zeitungen zum Verkauf anbieten: vom „Express“ bis zum „Kölner Stadt-Anzeiger“, von der „Hamburger Morgenpost“ über die „Berliner Zeitung“ und den „Kurier“ bis zur „Mitteldeutschen Zeitung“ in Halle?
Wir reden hier von Transformation, nicht vom Abgesang auf die Tageszeitung, die es noch lange geben wird. Genau deswegen prüfen wir derzeit gemeinsam mit unseren Gesellschaftern, ob wir Teile oder womöglich auch das gesamte Geschäft veräußern wollen, ja.
Die Option eines kompletten Exits gibt es demnach?
Bei den Regionalmedien durchaus …
… die immerhin noch zwei Drittel Ihres aktuellen Geschäfts ausmachen.
Das stimmt, mit den Regionalmedien machen wir heute einen relevanten Teil des Umsatzes. Unsere beiden neuen Bereiche Business Information und Marketing Technology sind mit rund 1 000 Mitarbeitern noch klein. Aber sie legen kraftvoll zu. Und wie gesagt: der Komplettverkauf der Regionalmedien ist nur eine Option unter mehreren. Es gibt keine Denkverbote. Alles ist möglich.
Also keine Bestandsgarantien für irgendein Objekt, Teil des Hauses DuMont zu bleiben?
Derzeit ist dieser Prozess komplett ergebnisoffen.
Starten Sie dieses Verfahren auch deshalb, um überhaupt mal zu sehen, was Ihre Zeitungen auf dem Markt noch wert sind?
Der Prüfprozess ist nicht mit einem Verkaufsauftrag verbunden. Preise findet man nur heraus, wenn man auf potenzielle Käufer zugeht. Dazu haben wir uns Ende vorigen Jahres entschieden. Wir sind mit dem bisherigen Verfahren zufrieden, auch wenn ich da leider nicht konkreter werden kann.
Im Jahr 2013 taxierte die Unternehmensberatung KPMG den Wert Ihrer Zeitungen auf nur rund 100 Millionen Euro.
Das Gutachten entstand in einem anderen Kontext. Aus heutiger Sicht würde ich sagen: Damals war selbst diese Summe eher optimistisch. Das Unternehmen war in deutlicher Schieflage. Mittlerweile stehen wir ganz anders da.
Die Lage auf dem Zeitungsmarkt ist kritisch: Funke fährt ein Sparprogramm, DuMont will seine Zeitungen loswerden. Wie Staat und Wirtschaft Verlagen helfen können.
Weitaus besser?
DuMont ist heute entschieden mehr wert als damals. Das gilt übrigens, und das ist bemerkenswert, für jeden unserer drei Bereiche. Mitte des Jahres wollen wir mit Aufsichtsrat und Gesellschaftern eine Bestandsaufnahme machen.
Konkreter bitte!
Wir rechnen mit Mitte Juli. Man darf aber nicht unterschätzen, dass solche Prozesse immer eine gewisse Eigendynamik entwickeln. Wir wollen schnell zu wohlüberlegten Entscheidungen ‧kommen.
Mit Madsack aus Hannover kooperiert DuMont schon beim Redaktionsnetzwerk Deutschland als Juniorpartner. Wäre da mehr möglich?
Dazu kann ich aktuell – wie zu allen kolportierten Namen – nichts sagen.
Auch Julia Becker, die starke Frau bei der Funke Mediengruppe aus Essen, hat bereits öffentlich Kaufinteresse angemeldet.
Und auch dazu werden Sie von mir nichts hören. Dafür bitte ich wirklich um Verständnis.
Wie sieht’s mit ausländischen Firmen oder sogar Finanzinvestoren als potenzielle Käufer aus?
Der Prozess ist offen, und wir haben keine Einschränkungen vorgenommen.
Ihre Mitarbeiter haben jedenfalls lange nach der Konkurrenz aus anderen Medien von Ihren Plänen erfahren müssen …
… und waren schockiert, was ich völlig verstehe. Wir waren darauf nicht gut vorbereitet und haben entsprechend schlecht kommuniziert. Das tut mir leid, und dafür habe ich mich intern auch entschuldigt. Ich bin an alle Standorte gereist und habe die Situation persönlich erklärt. Natürlich ist da eine große Verunsicherung.
Zu Recht, oder?
Zu Recht, ja. Auf der anderen Seite habe ich seither eine sehr konstruktive Atmosphäre erlebt. Unsere Leute sind sehr realistisch und verstehen unsere Strategie. Niemand macht sich mehr etwas vor, wie schwierig die nächsten zehn Jahre noch werden können.
Haben Sie bei diesem Umbau Vorbilder im Medienmarkt?
Ich analysiere natürlich, wie sich andere Verlagshäuser früh sehr unabhängig gemacht haben von ihren alten, journalistischen Geschäftsmodellen: Schibsted aus Norwegen etwa, Springer, Burda, Ringier und Tamedia. Aber jeder Fall liegt da anders und ist allenfalls bedingt als Vorbild brauchbar.
Klingt, als sei nicht nur der Vertriebsweg Papier bedroht, sondern der Journalismus als solcher.
Nein, gar nicht. Ich sehe sehr große Chancen in der Digitalisierung des Journalismus. Tatsache ist: Das Marktumfeld ist brutal, und Verlage mit einer langen Tradition müssen hier besondere Herausforderungen meistern. Daran arbeiten wir. Und genauso richtig ist: Es gibt unglaublich viel mehr Möglichkeiten, Journalismus heute zu verbreiten.
Die Frage ist nur, wie sich dieser Journalismus in Zukunft noch finanziert.
Das ist der zentrale Punkt. Ich behaupte, dass die Leser in der Digital-Ära noch nie eine derart hohe Zahlungsbereitschaft besaßen wie heute. Unser aller Aufgabe ist es, ihnen kluge Angebote zu machen. Paid-Modelle werden ein wichtiger Teil, können aber nicht annähernd die Erlöse ersetzen, die wir heute noch mit Print schaffen.
Mal ehrlich: Wird Journalismus überhaupt der künftige Kern von DuMont sein?
DuMont investiert in Inhalte, Daten und Technologie. Wir sind und bleiben ein Inhalte-Haus, suchen aber nach den richtigen Formen und Formaten. Unsere Möglichkeiten sind bei Weitem nicht ausgeschöpft, wir haben noch viel Spielraum, auch für Zukäufe.
Von Journalismus reden Sie explizit nicht.
Weil Journalismus für mich Inhalt ist. Nur wird er bei uns flankiert von den genannten Säulen Business Information und Marketing Technology – und das ist in diesem Marktumfeld unerlässlich. Ein Beispiel: Wir konnten in der Vergangenheit nicht von den Werbegeldern profitieren, die Unternehmen in Social Media stecken. Das gelingt nun mit unserer Tochter Facelift, Europas Nummer eins in dem Geschäft, Marketingaktivitäten auf Social Media-Plattformen umzusetzen, zu analysieren und zu bewerten. Wo früher eine Zeitungsanzeige war, sind heute Algorithmen. Das ist eine junge Industrie, die stark wächst. Außerdem: Firmen wie Ikea verwalten und steuern ihre Konzerndaten mit Software unserer Tochter Censhare. Und schließlich arbeiten wir auch an automatischen, selbstlernenden Marketingprozessen.
Der Deutsche Journalistenverband hat Sie aufgefordert, sich zu den journalistischen und gesellschaftlichen Werten des Altverlegers zu bekennen. Und?
Jede Zeit hat ihre eigenen Chancen. Ich bin sicher, wir handeln in Alfred Neven DuMonts Sinn. Ich hatte eine sehr gute persönliche Beziehung zu ihm.
Aus alten Zeiten ist DuMont noch an der angesehenen linksliberalen Zeitung „Haaretz“ in Israel mit 20 Prozent beteiligt, die Ihrem Altverleger eine Herzensangelegenheit war. Was wird daraus?
Wir suchen seit Jahren nach einem strategischen Partner. Der Zeitung ging es nicht gut, als wir eingestiegen sind. Mittlerweile hat sich das geändert. Unsere Aufgabe dort ist erfüllt. Schon Alfred Neven DuMont hatte den Prozess in Auftrag gegeben.
Eines Ihrer Sorgekinder ist der Berliner Verlag mit der „Berliner Zeitung“ und dem „Kurier“.
Beide haben sich zuletzt aber erfreulich entwickelt, mit einer zweistelligen Umsatzrendite für die „Berliner Zeitung“ 2018, bezogen auf das Betriebsergebnis. Insgesamt macht der Verlag ein ausgeglichenes Ergebnis. Auch hier bauen wir das Digitalangebot aus, die Reichweite aller unserer sechs Tageszeitungsmarken hat sich in den letzten fünf Jahren verdoppelt, und wir sind als einer der Digitalisierungsführer anerkannt.
In Berlin konkurrieren mit „Berliner Zeitung“, „Tagesspiegel“ und „Berliner Morgenpost“ gleich drei Titel. Es ist ein knochenharter Markt. Würde es in dieser Situation helfen, wenn ein Wettbewerber aufgäbe?
Das sind drei etablierte Titel, deren Leser fast nie zum Konkurrenzangebot greifen würden. Die Zielgruppen und Gebietsverteilungen sind völlig klar, es gibt kaum Überschneidungen. Wir hoffen daher, dass alle drei Anbieter im Markt bleiben, auch weil wir den Vertrieb gemeinsam machen.
Was fasziniert Sie eigentlich persönlich am Journalismus?
Ich habe großen Respekt vor gutem Handwerk im Journalismus. Das ist wertvoller als Effekthascherei und wichtig für die Demokratie an sich. Gute Recherche heißt, viel zu wissen und nur einen Teil davon zu schreiben.
Fühlen Sie sich persönlich ungerecht behandelt, wenn nun etwa vom Ausverkauf bei DuMont zu lesen ist?
Wir haben 2014 unsere Strategie geändert und ‧machen jetzt bald 40 Prozent unserer Erlöse im digitalen Geschäft. Es gab in den Segmenten starke Verschiebungen und generell einen großen Kulturwandel, hin zu Offenheit und direkter Diskussion. Wer da wie ich an vorderster Front aktiv ist, sollte seine Harmonie-Erwartungen weitgehend zurückschrauben.
Fanden Sie es sonderlich geschickt, im Kölner Karneval im Superman-Kostüm aufzutreten?
Ich trat nicht als Superman auf, sondern als Clark Kent in der Verwandlungsphase, also mit Brille. In der momentanen Situation hätte ich wohl alle möglichen Kostüme tragen können, es wäre immer kommentiert geworden.
Angenommen, Sie würden demnächst tatsächlich all Ihre Zeitungen verkaufen. Dann wäre DuMont noch … ja, was?
Ein kleineres Unternehmen als heute, aber zu annähernd hundert Prozent digital und stark wachsend. Heute haben wir von rund 4000 Mitarbeitern 2900 im Regionalmediengeschäft, drei Prozent weniger als 2015. Insgesamt beschäftigen wir aktuell rund 1000 Mitarbeiter mehr als 2013. Ich persönlich gehe davon aus, dass wir dem Journalismus eng verbunden bleiben.
Herr Bauer, vielen Dank für das Interview.
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