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21.01.2019

16:56

Digitalkonferenz DLD

Europa sucht neue Antworten auf Amazon und Google

Von: Britta Weddeling, Alexander Demling

Mit einer Steuer und eigenen Plattformen wollen deutsche Politiker und Manager US-Giganten beikommen. Doch die denken bereits einen Schritt weiter.

Der US-Professor sieht Europas Medienkonzerne als Googles und Amazons Prügelknaben. picture alliance for DLD

Scott Galloway

Der US-Professor sieht Europas Medienkonzerne als Googles und Amazons Prügelknaben.

München Wenn Scott Galloway auf die Bühne schreitet, ist auch der größte Saal auf der Burda-Digitalkonferenz DLD gut gefüllt. Der schnellsprechende Marketingprofessor aus New York hat den Ruf als unterhaltsamster Wahrsager der Digitalindustrie, der die Pläne von Tech-Konzernen wie Amazon und Facebook für das Jahr 2019 voraussagt.

Europäische Konzerne kommen bei Galloway allenfalls als Prügelknaben der Amerikaner vor: „Amazons Wachstum auf dem digitalen Werbemarkt geht nicht auf Kosten von Facebook und Google – es ist aber ein Schlag in die Magengrube von Unternehmen wie Pro Sieben“, sagt Galloway später im Gespräch mit dem Handelsblatt.

Er erwartet, dass der Medienkonzern weiter Werbeerlöse an das „Oligopol“ von der US-Westküste verliert. Schon heute ist der Unterföhringer Medienkonzern mit gut 3,5 Milliarden Euro an der Börse so wenig wert wie seit sieben Jahren nicht.

Den europäischen Beutezug der „Reiter der Apokalypse“, wie Galloway die großen US-Digitalkonzerne nennt, wollen europäische Politiker und Manager nicht kampflos hinnehmen. Die Zeit, in der die US-Konzerne in Europa monopolartige Gewinne einfahren, aber relativ geringe Steuern darauf zahlen, soll zu Ende sein.

Manfred Weber (CSU), Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei (EVP), will nach der Europawahl im Mai einen neuen Anlauf für eine Steuer auf das Geschäft der Digitalkonzerne nehmen: „Es ist etwas, das wir tun müssen, um Fairness in diesem neuen Markt zu schaffen“, sagte Weber am Montag auf dem DLD in München.

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Weil die Plattform-Unternehmen keine große Präsenz in Europa bräuchten, würden sie niedrigere Steuern als Unternehmen klassischer Branchen zahlen, kritisiert Weber, der gute Chancen hat, nach der Wahl nächster EU-Kommissionspräsident zu werden. Mit den Einnahmen aus der Steuer könne die Politik die Verlierer der Digitalisierung unterstützen.

Neuer Anlauf für Digitalsteuer

Webers Initiative ist nicht nur bemerkenswert, weil CSU-Politiker für gewöhnlich nicht mit dem Versprechen neuer Steuern in Wahlkämpfe ziehen. Sondern auch, weil eine europaweite Digitalsteuer im vergangenen Jahr vorerst scheiterte, nachdem sich die EU-Finanzminister im Dezember nicht auf eine gemeinsame Position einigen konnten.

Die EU-Kommission hatte vorgeschlagen, für große Digitalunternehmen mit einem weltweiten Jahresumsatz von mindestens 750 Millionen Euro sowie einem Onlineumsatz von 50 Millionen Euro in Europa drei Prozent Ertragsteuer zu erheben.

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Doch selbst wenn die Steuer kommt – ohne ein attraktives Konkurrenzangebot für Nutzer und Werbekunden werden sich die europäischen Medienkonzerne kaum erholen. Max Conze, seit vergangenem Sommer CEO von Pro Sieben Sat 1, arbeitet an einer Verteidigungsstrategie: Die Mitte 2017 angekündigte, eigene Streaming-Plattform des Senders soll bis zum Spätsommer starten.

Ein „deutsches Hulu“ nennt Conze das neue Portal, in Anlehnung an den kostenpflichtigen Streamingdienst traditioneller US-Unterhaltungskonzerne wie Disney und NBC. Die Pro-Sieben-Plattform soll neben eigenen Inhalten von Pro Sieben und Sat 1 und selbst produzierten Serien, etwa mit dem Youtuber LeFloid, auch Sendungen des Discovery Networks enthalten, zu dem der Männersender DMAX und der Frauensender TLC gehören.

Eine Mischung aus Serien, Nachrichten, Sport und Fernsehshows – die deutsche Perspektive vieler Sendungen, hofft Conze, könne neben den großen Konkurrenten Netflix und Amazon Video bestehen: „Man fordert Netflix heraus, indem man nicht versucht, Netflix zu sein“, sagt der Manager.

Ulrich Wilhelm, Intendant des Bayerischen Rundfunks (BR), regt an, eine europäische Konkurrenz zu den hochprofitablen Cloud-Sparten von Amazon, Microsoft und Google aufzubauen. „Wir brauchen eine europäische Cloud, eine Infrastruktur, die neue Produkte mit unseren Werten ermöglicht“, sagt der einstige Regierungssprecher von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).

Die deutschen und europäischen Start-ups könnten entsprechend ihre Geschäftsideen innerhalb dieser europäischen Cloud entwickeln, technisch sei es möglich, entsprechende Werkzeuge dort vorzuhalten, das Geld sei ebenfalls da. „Wir brauchen eine Cloud für Europa, auf der neue europäische Ideen entstehen können.“ Eine solche sei auch das europäische Youtube, das Wilhelm bereits im September im Interview mit dem Handelsblatt vorschlug.

Das neue Ziel heißt „Rundle“

Ein Konkurrent für Amazon Prime Video, einer für Amazons Gewinnmaschine Web Services, einer für Googles Videoplattform Youtube – zusammengenommen sind die Ideen, die die Panels der Münchener Konferenz bestimmen, der Versuch einer digitalen Defensive Europas.

Doch die Schlagworte „europäisches Youtube“ oder „deutsches Hulu“ sind verräterisch. Es sind Konzepte, die sich am Bekannten orientieren und allenfalls versprechen, einen kleineren Teil des Marktes zurückzuerobern.

Zum Vergleich: Selbst Conzes Vorbild Hulu hat in seinen beiden Märkten USA und Japan 23 Millionen Abonnenten, Netflix hat alleine in den USA 59 Millionen. Und die Mediatheken von Wilhelms BR und anderen ARD-Anstalten können mit Youtubes Algorithmen keineswegs mithalten.

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Digitalexperte Galloway glaubt, dass Amazon und die anderen Konzerne längst an ein weitergehendes Geschäftsmodell als reine Inhalteplattform denken: das „Rundle“, ein Kofferwort aus „recurring revenue bundle“, was übersetzt etwa „Paketangebot mit wiederkehrendem Umsatz“ bedeutet.

Amazons Prime-Programm ist dafür das erfolgreichste Beispiel. Amazons Videoservice ist nur ein Element von Prime, etwa neben kostenlosem Produktversand oder Musikstreaming.

Die „Rundles“ würden in der Zukunft immer vielfältiger und damit attraktiver. Künftig, so glaubt Galloway, könnte in „Prime“ auch eine Krankenversicherung buchbar sein, die Amazon gemeinsam mit JP Morgan und Berkshire Hathaway für seine eigenen Mitarbeiter bereits vorbereitet.

Auf der Bühne spielt Galloway einen Clip, in dem Amazons virtueller Assistent Alexa ihm eine Versicherung anbietet – weil Amazon aus seinen anderen Geschäftsfeldern über das ungefähre Einkommen des Kunden, seine Kleidergröße, und, dank der Übernahme der Supermarktkette Whole Foods, seine Ernährung Bescheid wisse, könne der Konzern den gesündesten Kunden ein günstiges Angebot machen und die Versicherung trotzdem profitabler betreiben als Konkurrenten.

Auch wenn Amazons Technologievorstand Werner Vogels die Krankenversicherungs-Allianz auf dem DLD als „Erkundung“ bezeichnet – im Vergleich zu Amazon Primes Netzwerkeffekten scheint Conzes Plan, auf der Pro-Sieben-Plattform „How I Met Your Mother“-Wiederholungen, die Wissenssendung „Galileo“ und die „Asphalt-Cowboys“ zu bündeln, eher bescheiden.

Aus Galloways Sicht geht die stärkste Bedrohung für Amazon, Google und Facebook nicht von ihren europäischen Konkurrenten, sondern von den Wettbewerbsbehörden der USA und der EU aus. In den USA eint die Angst vor der Marktmacht der Westküsten-Konzerne viele Demokraten und Republikanern.

„Alle drei Konzerne sind gute Ziele für Wettbewerbshüter“, sagt Galloway dem Handelsblatt. „Google hat bei der Internetsuche 95 Prozent Marktanteil, niemand kennt ihre Algorithmen. Sie wären das lohnendste Ziel.“

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