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12.03.2023

12:51

Großbritannien

BBC zerfleischt sich im Kulturkampf über Flüchtlinge, Fußball und Filz

Von: Torsten Riecke

Der Streit über einen kritischen Tweet der Fußballikone Gary Lineker zur aktuellen Flüchtlingspolitik der konservativen Regierung stürzt den öffentlich-rechtlichen Sender in eine Führungskrise.

Der ehemalige Profifußballer und heutige Sportmoderator wurde von der BBC wegen seiner Kritik an der Flüchtlingspolitik suspendiert. dpa

Gary Lineker

Der ehemalige Profifußballer und heutige Sportmoderator wurde von der BBC wegen seiner Kritik an der Flüchtlingspolitik suspendiert.

London Ein Kulturkampf über einen Tweet hat die BBC in eine der schwersten Krisen seiner 100-jährigen Geschichte gestürzt. Es begann am Dienstag mit einer harten Kritik des BBC-Sportmoderators Gary Lineker an der aktuellen Flüchtlingspolitik der konservativen Regierung auf Twitter, für die der ehemalige Fußball-Weltstar vom britischen Fernsehender am Freitag suspendiert wurde. Am Wochenende eskalierte der Streit um die Grenzen der Meinungsäußerung im Umfeld des öffentlich-rechtlichen Rundfunks einerseits und zu starke Regierungsnähe andererseits.

Die BBC, auch unter dem Spitznamen „The Beeb“ bekannt, musste ihre gesamte Fußball-Berichterstattung über die englische Premier League wegen einer Meuterei von Moderatoren, Prominenten und Sportlern auf ein Notprogramm schrumpfen. Und nun müssen sowohl BBC-Chef Tim Davie als auch Richard Sharp, Chairman des Senders, um ihre Jobs bangen. Davie hatte Lineker selbst kaltgestellt.

Aus Solidarität mit Lineker weigerten sich daraufhin andere Sportmoderatoren, auf Sendung zu gehen. Auch aktive Trainer und Spieler solidarisierten sich mit Lineker. Das führte dazu, dass sich Premierminister Rishi Sunak in die Krise eingeschaltet hat. Er forderte den Sender auf, den Konflikt schnell zu lösen. „Ich hoffe, dass die derzeitige Situation zwischen Gary Lineker und der BBC zeitnah gelöst werden kann“, ließ der Regierungschef verlauten.

Der 62-jährige Lineker ist mit 238 Toren in mehr als 460 Spielen eine Fußballikone in Großbritannien. Seit Ende der 1990er-Jahre moderiert er die beliebteste BBC-Sportsendung „Match of the Day“ und ist mit einer Gage von zuletzt umgerechnet 1,5 Millionen Euro der bestbezahlte Moderator des Senders.

Lineker ist zudem meinungsfreudig und hatte die Begründung von Innenministerin Suella Braverman für die von ihr verkündeten drakonischen Maßnahmen gegen illegale Einwanderer mit dem Fremdenhass der Nazis verglichen. „Das ist einfach eine unermesslich grausame Politik, die sich gegen die Schwächsten richtet, und zwar in einer Sprache, die derjenigen Deutschlands in den 30er-Jahren nicht unähnlich ist“, schrieb Lineker.

Großbritannien

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Der Einspruch von Lineker löste dennoch einen Proteststurm im konservativen Lager aus. Insbesondere der Vergleich mit Nazi-Parolen führte dazu, dass Tory-Politiker und konservative Zeitungen wie die „Daily Mail“ und „The Telegraph“ die Entlassung des Sportstars forderten, der als Freiberufler für die BBC arbeitet. In den sozialen Medien wurde dagegen die Suspendierung von Lineker als Eingriff in das Recht auf freie Meinungsäußerung heftig kritisiert.

„Die feige Entscheidung der BBC, Gary Lineker aus dem Programm zu nehmen, ist ein Angriff auf die Meinungsfreiheit angesichts des politischen Drucks der Tory-Politiker“, kritisierte die stellvertretenden Vorsitzende der oppositionellen Labour-Partei, Angela Rayner. Aber auch der ehemalige BBC-Direktor Greg Dyke sieht die Reaktion des Senders kritisch: „Es herrscht der Eindruck, dass sich die BBC dem Druck der Regierung gebeugt hat. Und wenn die BBC das tut, hat man ein echtes Problem.“

BBC-Chairman gerät wegen politischem Filz unter Druck

BBC-Chef Davie begründete die Absetzung seines Starmoderators mit einem Verstoß gegen die Richtlinien der BBC, die Mitarbeiter des Senders zu „Überparteilichkeit“ verpflichten. Allerdings ist Lineker nicht fest bei der BBC angestellt und arbeitet dort auch nicht als politischer Journalist. Seine Kritik an der Flüchtlingspolitik äußerte er als Privatperson.

Davie, der früher selbst in der lokalen Parteiführung der Tories in London aktiv war, räumte ein, dass die Richtlinien der BBC im Fall von Lineker nicht eindeutig seien, und sagte, er wolle sicherstellen, dass der beliebte Sportmoderator wieder auf Sendung gehen könne. Einen Rücktritt lehnte er jedoch ab.

Der BBC-Chef ist jedoch nicht der Einzige, der unter Druck steht. Kritiker fordern seit Wochen den Rücktritt von Richard Sharp. Der Chairman der BBC hatte vor seinem Amtsantritt nicht nur 400.000 Pfund an die Konservative Partei gespendet, sondern auch dem früheren Premierminister Boris Johnson zu einem Kredit von 800.000 Pfund verholfen. Johnson hatte Sharp später als BBC-Chairman vorgeschlagen. Die Vorgänge werden nun intern und von einer Berufungskommission untersucht.

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