Mit ihrem Medien-Start-up Rappler machte sich die philippinische Managerin Maria Ressa mächtige Feinde. Ihre Auszeichnung mit dem Friedensnobelpreis sieht sie als Anerkennung für kritischen Journalismus.
Bangkok Von ihrer Auszeichnung als Friedensnobelpreisträgerin erfährt die Medienunternehmerin und Journalistin Maria Ressa mitten in einer Zoom-Konferenz. Als am späten Freitagnachmittag philippinischer Zeit der Anruf aus Stockholm eintrifft, diskutiert Ressa gerade bei einer Onlineveranstaltung über Pressefreiheit in Südostasien. Für ein paar Augenblicke verschwindet sie vom Bildschirm, um die Nachricht entgegenzunehmen – und kehrt mit Tränen in den Augen vor die Kamera zurück: „Diese Auszeichnung ist für uns alle“, sagt Ressa, die gemeinsam mit dem russischen Journalisten Dmitri Muratow geehrt wird. „Es ist eine Anerkennung dafür, wie hart es ist, heutzutage Journalist zu sein.“
Die 58 Jahre alte Managerin weiß, wovon sie spricht: Ihr Digitialmedien-Start-up Rappler, das auf den Philippinen mit unabhängigem und kritischem Journalismus bekannt wurde, machte Ressa zum Feindbild der mächtigsten Männer ihrer Heimat. Präsident Rodrigo Duterte und dessen Verbündete überzogen sie mit einer Schmutzkampagne und einer Flut von Gerichtsverfahren. Nach einer Verleumdungsklage eines Unternehmers drohen ihr bis zu sechs Jahre Haft – derzeit läuft das Berufungsverfahren.
Doch die Versuche, die in den USA aufgewachsene Unternehmerin mundtot zu machen, scheiterten bislang an Ressas Standfestigkeit. Der Satz „Wir halten die Stellung“ wurde zum Motto ihres Redaktionsteams.
Ressa, die zuvor zwei Jahrzehnte für den US-Sender CNN aus Südostasien berichtet hatte, gründete Rappler vor zehn Jahren in Manila – mit dem Ziel, eine kommerziell erfolgreiche, digitale Medienmarke zu etablieren. Rappler wurde auf den Philippinen zum Pionier des sogenannten „Native Advertising“. Die Anzeigenform, die unter anderem von US-Portalen wie Buzzfeed vorangetrieben wurde, präsentiert Werbung optisch ähnlich wie redaktionelle Inhalte und ist deshalb nicht unumstritten.
Für Rappler funktionierte das Geschäftsmodell aber, zumindest vorübergehend: Bereits zwei Jahre nach dem Start meldete Ressa schwarze Zahlen. Doch die investigativen Berichte des Mediums über Korruption und den brutalen Antidrogenkrieg von Präsident Duterte brachten dem Start-up mächtige Gegner ein – und damit auch eine finanzielle Krise.
Duterte, dessen populistischer Politikstil oft mit dem des früheren US-Präsidenten Donald Trump verglichen wird, attackierte Rappler direkt in einer seiner jährlichen Reden zur Lage der Nation. Der Politiker, der sich wegen der außergerichtlichen Tötung Tausender angeblicher Drogenkrimineller vor dem Internationalen Strafgerichtshof verantworten muss, bezeichnete das Start-up als Fake-News-Medium und schloss eine renommierte Rappler-Reporterin von der Berichterstattung aus dem Präsidentenpalast aus.
Gleichzeitig starteten die Behörden eine Reihe von Verfahren gegen Rappler und Gründerin Ressa – unter anderem wegen angeblicher Steuerdelikte und des Vorwurfs, das Start-up verschleiere seine wahren Besitzer. Rappler und Ressa wiesen die Anschuldigungen stets zurück. Kurzfristig verlor Rappler seine Betriebslizenz. Ein Berufungsgericht machte dies jedoch wieder rückgängig. Der öffentliche Streit schlug sich aber in der Bilanz des Start-ups nieder: Auf dem Höhepunkt des Konflikts brachen die Werbeumsätze um 50 Prozent ein.
Erst 2019 schaffte Rappler das finanzielle Comeback: Das globale Interesse an dem Kampf zwischen dem unabhängigen Medienhaus und dem umstrittenen Präsidenten hatte dem Start-up einen Umsatzschub beschert – unter anderem über mehr Abschlüsse von kostenpflichtigen Abos. 2020 setzte sich das Wachstum nach Unternehmensangaben fort. Genaue Zahlen teilte Rappler, das derzeit rund 100 Beschäftigte hat, nicht mit. Ressa kommentierte lediglich: „Unsere Werte zu verteidigen ist gut für das Geschäft.“
Wo sie ihre Werte verletzt sieht, macht Ressa den Mund auf – nicht nur mit Blick auf die Philippinen. Sie gehört zu den schärfsten Kritikerinnen des US-Konzerns Facebook. Dem Unternehmen wirft sie vor, zu wenig gegen Desinformationskampagnen und Hassbotschaften zu unternehmen. Die Algorithmen der Plattform würden der Verbreitung von mit Wut und Hass durchsetzten Lügen Vorrang vor Fakten geben, sagte sie in einem Interview am Wochenende. Facebook sagte dazu, man würde weiterhin massiv investieren, um schädliche Inhalte zu entfernen.
Mit seiner russischen Zeitung „Nowaja Gaseta“ setzt sich auch der zusammen mit Ressa vom Nobelpreiskomitee ausgezeichnete Chefredakteur Dmitri Muratow kritisch mit sozialen Medien auseinander und beleuchtet dabei unter anderem die Rolle sogenannter Troll-Fabriken aus Russland. Diese versuchen im Auftrag der russischen Regierung, die öffentliche Meinung im Internet zu beeinflussen. Muratow teilte mit, er wolle den Preis nun nutzen, um den russischen Journalismus zu stärken – und unabhängigen Kollegen zu helfen, die von den Behörden unter Druck gesetzt werden.
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