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06.08.2021

11:27

Medienhäuser

„Leichte Euphorie“ bei Bertelsmann-Chef Rabe: RTL will mit Gruner + Jahr stärker wachsen

Von: Hans-Jürgen Jakobs

Bertelsmann-Chef Thomas Rabe sieht sich an der Spitze bei der Konsolidierung von Europas Medienindustrie. Dabei wird der einstige Großverlag Gruner + Jahr zum Teil der TV-Gruppe RTL. Das soll im Kampf gegen Netflix und Google helfen.

Der Abschluss der Transaktion ist für den 1. Januar 2022 vorgesehen. dpa

RTL übernimmt Magazingeschäft von Gruner + Jahr

Der Abschluss der Transaktion ist für den 1. Januar 2022 vorgesehen.

München Ein Todesfall erinnerte am Donnerstagabend an die große Zeit des Zeitschriftenhauses Gruner + Jahr (G+J). Unter dem langjährigen Vorstands- und Aufsichtsratschef Gerd Schulte-Hillen, genannt „Bela“, war die Heimstatt von „Stern“, „Brigitte“ und „Geo“ einst zu Europas Champion aufgestiegen.

Im Reich des Gütersloher Bertelsmann-Konzerns spielte die gewinnstarke Hamburger Tochter dank „Bela“ deshalb eine Sonderrolle. Er sei „eine der prägenden Figuren der Verlagsgeschichte der Bundesrepublik“ gewesen, würdigte der jetzige G+J-Chef Stephan Schäfer den Manager, der am Mittwoch im Alter von 80 Jahren verstorben ist.

Am Freitagmorgen, wenige Stunden nach Bekanntwerden des Ablebens, wurde bei Bertelsmann eine Zäsur verkündet: Danach wird die einst so autarke Tochter G+J zum 1. Januar 2022 in die Fernsehgruppe von RTL integriert. Kaufpreis für die übernommenen Einheiten: 230 Millionen Euro in bar, schuldenfrei. Das ist noch nicht einmal die Hälfte des übernommenen Umsatzes von 500 Millionen Euro.

Die journalistischen Marken sollen die Kraft der Senderfamilie stärken – eine Abwehrmaßnahme gegen die großen US-Streamingdienste wie Netflix oder Disney +, die immer mehr an Reichweite gewinnen. Ziel müsse es sein, „nationale Crossmedia-Champions“ stark zu machen, glaubt Thomas Rabe, der gleichermaßen das Familienunternehmen Bertelsmann als auch die RTL Group lenkt.

An seinem 56. Geburtstag malte er die Zukunft in hellen Farben: Man sei „ausgesprochen erfolgreich, sowohl operativ als auch strategisch“. RTL stünde an der „Spitze der Konsolidierung der europäischen Medienindustrie“, G + J biete eine „einmalige Chance“ mit einem Synergiepotenzial von 100 Millionen Euro. Ein Viertel davon soll durch Kostenabbau erreicht werden. Man könne jetzt, so Rabe, in der größeren Einheit „ein ganz anderes Rad drehen“. Den CEO überfällt „leichte Euphorie“.

Bekräftigt fühlt er sich durch einen Rekordgewinn im ersten Halbjahr von 929 Millionen Euro, er stieg ums Sechsfache. Der Umsatz war um 13,7 Prozent auf drei Milliarden Euro gestiegen. Die Umsatzprognose fürs gesamte Jahr hebt Rabe um 300 Millionen Euro auf nun 6,5 Milliarden Euro an.

Projekt mit dem Codenamen „Discovery“

Ein gemeinsames Team aus 50 Personen, ergänzt um Experten der Unternehmensberatung McKinsey, hatte drei Optionen geprüft: RTL kauft G+J ganz, teilweise oder gar nicht. In dem Projekt mit dem Codenamen „Discovery“ wurde es schließlich Variante eins. Nach dem aktuellen Grundsatzbeschluss sollen nun gemeinsam die Details erarbeitet werden.

Man ist, auch aus juristischen Gründen, sehr vorsichtig – schließlich könnten die freien Aktionäre der RTL Group, die 24 Prozent der Aktien halten, Einspruch erheben, wenn sie die Interessen des Hauptgesellschafters Bertelsmann als zu einseitig gefördert sähen.

Verlagschef Schäfer dürfte eine noch wichtigere Rolle spielen. Schon heute ist er bei RTL Deutschland auch Inhalte-Chef. Hochwahrscheinlich, dass er zum Vorsitzenden der neuen Veranstaltung aufsteigt. Das sei eine wichtige Bündelung der Kräfte, heißt es intern. „Stern“ & Co. könnten jetzt ganz neu zur Entfaltung kommen. Kritiker reden dagegen von der Abwicklung eines einstigen Premium-Verlags.

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Seit Langem hat Stratege Rabe auf die jetzt gefundene Lösung hingearbeitet, unter anderem über eine gemeinsame „Ad Alliance“ und „Content Alliance“. Der Finanzexperte, der nach der Wende auch mal bei der Treuhand gewirkt hat, ist über die RTL Group in seinem Heimatland Luxemburg bei Bertelsmann groß geworden. Zeitschriften galten ihm früh als „überreifes Geschäft“, er klagt jetzt über „strukturelle Rückgänge“. Eine Einschätzung, die von Eigentümer-Vertreter Christoph Mohn geteilt wird. Der Bertelsmann-Aufsichtsratschef warnte öffentlich davor, Medien als „eine Art Museumsbetrieb“ aufrechtzuerhalten.

Das Haupttrachten in Gütersloh gilt nun dem Wachstum des eigenen Streamingdienstes „TV Now“, der es künftig als Digital-Abo namens „RTL +“ zur Festgröße im hart umkämpften Markt bringen soll. Für den Herbst plant RTL-Deutschlandchef Bernd Reichart, bei den Abonnenten die Zahl von zwei Millionen zu erreichen. Zusammen mit den Niederlanden meldet RTL schon jetzt mehr als drei Millionen Kunden und ein Plus von 72 Prozent.

Im digitalen Werbemarkt soll der neue Bertelsmann-Bund den US-Internetriesen Google, Facebook und Amazon mehr entgegensetzen, die das Geschäft weltweit zu 80 Prozent dominieren. 2020 war der Umsatz der RTL Group um 9,5 Prozent auf sechs Milliarden Euro gesunken, der Gewinn um 35 Prozent auf 492 Millionen Euro.

Positive Unterhaltung – ohne Dieter Bohlen

Flankierend wurde zuvor schon der Disney-Konzern als 50-Prozent-Mitgesellschafter bei Super RTL herausgekauft. Bei Bertelsmann liebt man das Prinzip der vollen Kontrolle. Zusammen mit Vox, N-TV und eben dem, was einmal Gruner + Jahr war, soll ein Powerhouse für unabhängigen Journalismus, Inspiration und positive Unterhaltung entstehen. Trash-König Dieter Bohlen, lange Superstar bei RTL, gehört nicht mehr dazu und wurde gefeuert.

Geld für Investitionen kommt auch von Verkäufen. So schlug Rabe im Frühjahr die amerikanische Werbe-Tech-Firma SpotX für gut eine halbe Milliarde Euro in bar los plus Aktien des Erwerbers Magnite. Zuletzt unterpflügte er in Frankreich den eigenen Sender M6 in die größere TF1-Gruppe der Bouygues-Familie, was mit einer Zahlung von 641 Millionen Euro für RTL verbunden sein wird, wenn der Deal bis Ende 2022 plangemäß läuft.

In Belgien gab der Bertelsmann-Chef das Rundfunkgeschäft auf, in den Niederlanden dagegen übernimmt die RTL Group 70 Prozent eines Gemeinschaftsunternehmens mit dem Talpa Network des Medienunternehmers John de Mol. Bei positiver Prüfung der brisanten Kartellfälle durch die Wettbewerbsbehörden hält CEO Rabe Fusionsprojekte in Deutschland mit Pro Sieben Sat 1 Media SE für möglich.

Der Gewinn der RTL Group dürfte nach all den Transaktionen im laufenden Jahr wieder kräftig steigen, die Luxemburger selbst gehen nun von einem „adjusted Ebitda“ in Höhe von 1,05 Milliarden aus. Als große Stütze erweist sich die Produktionstochter Fremantle, die vom Auftragsboom der Branche profitiert. 2025 soll der Umsatz insgesamt drei Milliarden Euro betragen.

Der Name Gruner + Jahr (Umsatz 2020: 1,1 Milliarden Euro) wird künftig keine Rolle mehr spielen. Die G + J Deutschland GmbH mit 1700 Mitarbeitern verschmilzt mit RTL Deutschland in Köln. Das Personal bleibt in Hamburg, die Redaktionen werden aber organisatorisch von der Domstadt aus geführt. Es soll in den Kategorien Print, Video und Audio Gemeinsames entstehen. Es geht um mehr exklusive Inhalte, bessere Crosspromotion, einen Magneten für Talente, gemeinsame Angebote für Werbekunden und eine Ergänzung der Marken.

Marke soll nie wieder für „Trash-TV“ stehen

Man wolle nicht „einfach so weiterwerkeln“, so Rabe: „Wir betreten Neuland, es gibt weltweit dafür keine Blaupause.“ Man gehe in der Kooperation jetzt von „punktuell zu systematisch“. Zusammen setzt man 2,63 Milliarden Euro um bei 500 Millionen Euro Gewinn.

Das einst lukrative Auslandsgeschäft wurde verkauft, zuletzt Prisma Media in Frankreich. Das frühere Vorzeigegeschäft fiel an den Medienkonzern Vivendi – zu einem nicht genannten Preis, der allerdings nicht sehr hoch sein soll. Zu den von RTL nicht übernommenen Teilen von G + J gehören etwa die „Sächsische Zeitung“, eine Beteiligung von mehr als 25 Prozent am „Spiegel“ oder die für Kundenzeitschriften zuständige Territory. Sie sollen bei Bertelsmann weiterentwickelt werden, Verkäufe seien nicht geplant. Das seien gute Geschäfte, sie passten nur nicht zu RTL.

„Wir haben bei RTL unglaublich viel vor“, sagte G+J-Chef Schäfer intern, die Marke solle nie mehr mit dem Begriff „Trash-TV“ in Verbindung gebracht werden.

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