Seit Wochen erschüttern Skandale die Rundfunkanstalten. Für Lutz Hachmeister sind das logische Auswüchse eines überbürokratischen Systems. Dabei gäbe es sinnvolle Reformideen.
ZDF-Fernsehgarten-Moderatorin Andrea Kiewel
Die öffentlich-rechtlichen Sender seien zu bequem geworden, sagt Medienforscher Lutz Hachmeister.
Bild: IMAGO/STAR-MEDIA
München Lutz Hachmeister, 63, ist einer der profiliertesten Medienforscher Deutschlands. Seit Jahrzehnten beobachtet der einstige Chef des Adolf-Grimme-Instituts den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, beriet zeitweise das ZDF und tritt immer wieder als Buchautor und Filmemacher auf.
Die derzeitige Debatte rund um ARD und ZDF sieht er auch als Bürokratieproblem: Solche Systeme hätten sich immer wieder gegen entscheidende Reformen gewehrt, „Bürokratien wollen nicht irritiert werden“. Ziel sei es, quotenstarke Standardformate für Fernsehen und Hörfunk aufrechtzuerhalten: Im Grunde genommen gehe es um „Ruhe sanft“.
Herr Hachmeister, im Sommer gab es etliche Skandale in der öffentlich-rechtlichen ARD. Alles nur eine Summierung unglücklicher Einzelfälle oder ein Systemschaden?
Es ist das System, wie es leibt und lebt. Es hat sich immer erfolgreich gegen alle entscheidenden Reformen gewehrt. Das ist charakteristisch für alle Bürokratien. Bürokratien wollen nicht irritiert werden.
Ein harter Vorwurf. Was macht diese Sender-Bürokratien aus?
Standardformate für Fernsehen und Hörfunk aufrechtzuerhalten, die von der Quote her gut laufen. Alles andere ist lästig. Im Grunde genommen geht es um „Ruhe sanft“. Das ist durch die Urteile des Bundesverfassungsgerichts zementiert worden und durch die Politik der zuständigen Bundesländer.
Lutz Hachmeister
Bild: imago/Horst Galuschka
Ruhe sanft? In diesen Tagen reden die Parteien über eine Reform von ARD und ZDF. Was ist ihnen zur Lösung der Probleme zuzutrauen?
Die Medienpolitik hat es einfach laufen lassen, es gab ja keine Massenproteste der Beitragszahler. Nun sind alle erschreckt über die jüngsten Skandale. Dabei ist das nur die Spitze des Eisbergs. Frau Schlesinger ist ein Bauernopfer. Sie hat sich ungeschickt benommen, eine linke Journalistin als Raffke-Intendantin ist für Medien ein gefundenes Fressen. Aber der RBB ist in Wahrheit nur ein kleiner Sender, der von den eigenen Problemen der großen ARD-Anstalten gut ablenken konnte.
Was mich sehr überrascht, ist der inzwischen eklatante Mangel an satisfaktionsfähigen Persönlichkeiten im System. Selbst ein Patriarch wie Dieter Stolte vom ZDF hatte immer eine philosophische Grundierung und war bereit, mit andersdenkenden Leuten zu diskutieren. Heute regiert der machtbewusste Technokrat, der komplett in einem inzestuösen System groß geworden ist.
>> Lesen Sie hier: Im Irrgarten der Skandalanstalten – Wie ARD und ZDF wieder auf Kurs kommen können
Dabei will der kommissarische ARD-Vorsitzende Tom Buhrow nun alles auf den Prüfstand stellen, so wie bisher gehe es nicht mehr weiter.
Ja, da hat er sich entschlossen hinter den fahrenden Zug geworfen. Es wirkt auch etwas komisch, wenn jemand sehr spät entdeckt, dass er selbstständig denken kann. Der WDR-Chef wird ja sogar ARD-intern als „Leichtmatrose“ eingestuft. Das alles wirkt wie ein Stück aus Schlumpfhausen. Bezeichnend ist doch, dass es in Köln eine kopfstarke Intendanz nebst Pressestelle gibt, die aber das für Medien normale Geschäft der Kommunikation offenbar nicht erfüllen kann. Also beschäftigt man für viel Geld externe Kommunikationsberater. Das scheint wohl auch nötig zu sein.
Es wird um jeden Preis vermieden, zu viel Geld für den eigentlichen Geschäftszweck auszugeben. Lutz Hachmeister
Wie kann man eine einfachere Struktur für die Öffentlich-Rechtlichen schaffen?
Jemand müsste den Bürokratie-Abbau medienpolitisch in Gang setzen, aber einen Überblick haben nur die Entscheidungsträger selbst, die vom Status quo profitieren. Federführend kann jedenfalls nicht die bisherige Medienpolitik unter Vorsitz von Rheinland-Pfalz sein, wo die Ministerpräsidentin zugleich den Verwaltungsrat des ZDF leitet. Der Mainzer Sender wird übrigens als zentrale Anstalt besser gemanagt, andererseits ist der Einfluss der parteipolitischen Farbenlehre dort höher, repräsentiert durch zwei „Freundeskreise“.
ARD und ZDF bekommen jährlich 8,4 Milliarden Euro. Inwiefern wird diese Summe falsch ausgegeben?
Es wird um jeden Preis vermieden, zu viel Geld für den eigentlichen Geschäftszweck auszugeben, also die Produktion von Programm. Innovation bedeutet hier mehr Arbeit. In klassischen Bereichen wie Nachrichten und Auslandsberichterstattung funktionieren ARD und ZDF noch halbwegs gut. Darüber hinaus aber waren der alltägliche Trott und die Beschäftigung mit sich selbst viel bequemer als jede Veränderung. Das hat für alle gegolten, für die Führungsebene, die Rundfunkräte und auch für die Medienpolitiker.
Damit scheint es zu Ende zu gehen. Länder wie NRW und Bayern fordern eine Kommission oder einen Konvent, um die Basis für die Öffentlich-Rechtlichen neu zu bestimmen.
Das ist zumindest einmal eine Ansage. Es wird natürlich darauf ankommen, für eine solche Kommission Leute zu finden, die sich mit dem Betrieb und den Programmen von ARD und ZDF wirklich auskennen. Der große Schock kam schon in den 1990er-Jahren mit den neuen privaten Sendern. Man wusste nicht, wie man reagieren sollte: anpassen oder eher eine eigene Linie verfolgen? Es ist nie gelungen, dieses Problem zu lösen. Ein großer Teil der öffentlich-rechtlichen Identität ist so verloren gegangen. Es fehlt heute an vielem: an mehr Dokumentationen zur Hauptsendezeit, an Geld für Intensivrecherchen, an kenntlichen Autoren. Es ist doch ein Witz, dass es jenseits der vielen Talkshows kein einziges vernünftiges Interviewformat gibt.
Die Intendanten und Programmchefs verstehen es, die Gremien einzunebeln. Lutz Hachmeister
Die aktuellen ARD-Skandale haben gravierende Defizite in der Aufsicht aufgezeigt…
Wenn eine Laienspielschar Aufsicht führen soll, kann nichts anderes herauskommen. Selbst ein gut ausgebildeter Betriebswirt oder Wirtschaftsprüfer würde nicht verstehen, welche Spiele in diesen Bürokratien gespielt werden. Dazu fehlen interne Einblicke.
Dieser Rundfunk wird von allen Bürgern bezahlt, die in den Gremien durch gesellschaftlich relevante Gruppen vertreten werden. Das ist doch ein demokratisches Modell.
Dagegen habe ich nichts. Diese Gruppenvertreter könnten ja in Programmbeiräten bei den einzelnen Sendern wirken. Ich plädiere aber sehr für eine externe zentrale Aufsichtsinstanz nach dem britischen Vorbild der Ofcom. Sie kontrolliert das gesamte Medienwesen, in Teilen auch die BBC. Das wäre ein zentraler Reformschritt, wie es ihn auch in Kanada, Australien, der Schweiz und Österreich gibt. Nur in Deutschland mit seinem Hyper-Föderalismus ist so etwas nicht zu finden.
Die ARD will sich künftig mit externen Experten helfen, die in oder für die Gremien arbeiten.
Das führt zu nichts. Gerade die Rundfunkräte sind bisher reine Akklamationsgremien, manchmal wird bei Vorträgen der Hierarchen sogar auf den Tisch geklopft. Die Intendanten und Programmchefs verstehen es, die Gremien einzunebeln.
ARD und ZDF müssten experimenteller werden. Lutz Hachmeister
In der Privatwirtschaft ist eine leistungsbezogene Bezahlung mit Zielvereinbarungen gang und gäbe. Das führte beim RBB aber sogleich zum Skandal. Wie kann das sein?
Boni sind für die Öffentlich-Rechtlichen totaler Quatsch. Denn im Grunde werden dann nur Einsparungen am Programm belohnt. Nur da kann man das Geld herausholen. Alles andere sind durchlaufende, legalisierte Posten. Ein Cut ist nötig. Das System braucht wieder eine Nullmessung – mit dem zentralen Kriterium, wie viel vom Budget wirklich ins Programm fließt und was der reinen Selbstverwaltung dient.
Die FDP fordert unter anderem, ein Intendant solle nicht mehr verdienen als ein Bundeskanzler.
Völlig zu Recht. Von der FDP kam aber auch der Vorschlag, den Rundfunkbeitrag um die Hälfte zu kürzen – dann wäre vom Programm gar nichts mehr übrig. Da wäre es schon besser, die „Anstalten“ – die sie leider auch sind – wie in Frankreich über Steuern zu finanzieren. Das hätte zumindest den Vorteil, dass die bürokratische Gebührenerfassung wegfiele.
In Umfragen zeigen sich Bürger neuerdings sehr kritisch gegenüber ARD und ZDF. Schwindet die Akzeptanz?
Ja, immer mehr halten ARD und ZDF nicht mehr für unverzichtbar. Das gilt gerade für junge Leute, die sich über multiple Plattformen informieren. Der Markenwert sinkt drastisch. Das öffentlich-rechtliche System ist ästhetisch und dramaturgisch von Netflix, Amazon und Co weit abgehängt worden. Das hätte so nicht sein müssen. ARD und ZDF müssten experimenteller werden. „Tatort“-Folgen, „Das Boot“ oder Fassbinder-Produktionen der 1970er-Jahre waren für ihre Zeit absolut vorwärtsweisend.
Es gibt ja noch nicht mal eine gemeinsame Mediathek von ARD und ZDF.
Wenn es nicht von außen verordnet wird, dann wird es nie passieren. Das ZDF will das rein gar nicht. In Mainz wollen sie so viel wie möglich in ihrem Senderberitt behalten und auf keinen Fall mit der ARD in zu enger Verbindung gebracht werden. Dann würde wieder die alte Idee einer deutschen BBC auftauchen.
Herr Hachmeister, vielen Dank für das Interview.
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