Beim weltgrößten Lastwagenbauer stehen viele fertige Lastwagen im Lager, weil Kunden schlicht keine Fahrer haben. Der Konzern verdient temporär kein Geld.
Daimler Truck
Die Umsätze des Lastwagen-Herstellers legten zwar zu, beim Free Cashflow gibt es jedoch Probleme.
Bild: Bloomberg
München Ausgerechnet logistische Probleme trüben das Geschäft von Daimler Truck. Konkret kämpft die globale Nummer eins unter den Herstellern von schweren Sattelschleppern und Bussen mit vollen Lagern, weil Lkw-Fahrer und Halbleiter fehlen. Die Schwaben können derzeit Tausende fertig produzierte Fahrzeuge nicht an ihre Kunden ausliefern.
Das schlägt voll in der Bilanz der unabhängigen Tochter des Autobauers Mercedes-Benz durch. Das heißt: Im ersten Quartal hat Daimler Truck de facto kein Geld verdient, sondern 628 Millionen Euro im Industriegeschäft verbrannt. Der freie Mittelzufluss (Free Cashflow) ist negativ, im zweiten Quartal beträgt das Minus sogar 756 Millionen Euro.
Insbesondere für Aktionäre ist der Free Cashflow eine der wichtigsten Finanzkennzahlen. Schließlich zeigt er auf, ob ein Unternehmen ausreichend Liquidität zur Verfügung hat, um beispielsweise eine Dividende ausschütten zu können. Daimler Truck bemüht sich daher, die aktuell unerfreuliche Entwicklung einzuordnen. Im Gesamtjahr soll der freie Mittelzufluss bei etwa plus 1,6 Milliarden Euro liegen.
Für das aktuelle Minus seien mehrere Sonderfaktoren verantwortlich, heißt es. Demnach gab es im zweiten Quartal im Nachgang zur Abspaltung von Mercedes-Benz noch eine Einmalzahlung von 250 Millionen Euro in den Pensionsfonds des Konzerns. Zudem seien ungewöhnlich hohe Ertragsteuern angefallen.
Hauptverantwortlich für den im Vergleich zum Vorjahr um 2,1 Milliarden Euro rückläufigen freien Mittelzufluss sei aber ein „temporär“ deutlich erhöhter Lagerbestand – der wiederum am allgegenwärtigen Mangel an Lkw-Fahrern liegt.
In den Werken von Daimler Truck stehen nach Angaben von Finanzvorstand Jochen Goetz aktuell mehrere Tausend Lastwagen einfach herum, die grundsätzlich sofort ausgeliefert werden könnten. „Es ist eine riesige Menge, ein dreistelliger Millionenbetrag an Vorräten“, sagt Goetz.
Allein in Deutschland fehlen derzeit zwischen 80.000 und 100.000 Lkw-Fahrer, schätzt der Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL). Viele Transportunternehmen müssten mittlerweile Aufträge ablehnen und Fahrzeuge stilllegen, da für deren Betrieb schlichtweg kein Personal verfügbar sei, erklärt Dirk Engelhardt, Vorstandssprecher des BGL.
Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine dürfte den seit Jahren bestehenden personellen Engpass in der Logistikwirtschaft noch erheblich verschärft haben. Für ganz Europa prognostiziert der Branchenverband International Road Transport Union (IRU) für 2022 einen Anstieg des Anteils an unbesetzten Fahrerstellen von zehn auf 14 Prozent. Zur Einordnung: Im vergangenen Jahr konnte die Industrie für mehr als 380.000 offene Jobs kein Personal finden.
Dass die Engpässe in der Logistik mittlerweile selbst Lkw-Riesen wie Daimler Truck ausbremsen, gilt als Warnsignal. Seit Jahren fordert die Industrie, die Arbeitsbedingungen für Lkw-Fahrer zu verbessern und deren Jobs attraktiver zu machen. Denn es finden sich kaum noch junge Menschen, die bereit sind, sich die vielen Staus und den Termindruck anzutun, zumal das Lohnniveau vergleichsweise gering ist.
Zumindest Daimler Truck sieht aber für sein Geschäft nur kurzfristige Einschränkungen. Grundsätzlich läuft es bei den Schwaben nämlich gut, auch dank gestiegener Preise. Im ersten Halbjahr konnte der Konzern den Umsatz auf rund 22 Milliarden Euro steigern. Das entspricht einem Zuwachs von fast einem Fünftel im Vergleich zum Vorjahr.
„Wir haben bisher keine Abbestellungen gesehen, die Kunden akzeptieren höhere Preise“, sagte Vorstandschef Martin Daum. Da auf Dauer von einem inflationären Umfeld auszugehen sei, gebe es gute Argumente dafür, die Preise auch bei nachlassendem Kostendruck von der Rohstoffseite beizubehalten. „Wir werden definitiv die Preise halten, um zu normalen Margen zurückzukommen“, sagte Daum.
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Obwohl der Absatz parallel nur um sechs Prozent anstieg, legte der um Sondereffekte bereinigte Betriebsgewinn (Ebit) mehr als doppelt so stark zu. Allein im zweiten Quartal stand unter dem Strich rund eine Milliarde Euro.
Der weltgrößte Lkw-Hersteller glaubt, dass sich die Verfügbarkeit von Halbleitern in den kommenden Wochen verbessern wird, und rechnet nicht mit Produktionsausfällen infolge eines etwaigen Gasnotstands. In Summe bestätigt Daimler Truck seinen Ausblick und erwartet im Industriegeschäft eine bereinigte Umsatzrendite von bis zu neun Prozent.
Der Konzern betont allerdings, dass die Prognose von den Auswirkungen des Ukrainekriegs, der höheren Inflation und der steigenden Zinsen auf die Weltwirtschaft abhängig ist. Außergewöhnlich große Unsicherheit herrsche außerdem weiter wegen der Coronapandemie.
Erstpublikation: 11.08.22, 07:58 Uhr (aktualisiert 11.08.22, 11:55 Uhr).
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