Der harte Fokus auf Wachstum ist Vergangenheit, Gorillas muss jetzt Geld verdienen. Mehrere Länder stehen zur Disposition, 300 Mitarbeiter müssen gehen.
Gorillas-Fahrer in Berlin
Im Oktober hatte der Lieferdienst bei einer Finanzierungsrunde rund 860 Millionen Euro bei Investoren eingesammelt und war dabei mit 2,5 Milliarden Euro bewertet worden.
Bild: dpa
Düsseldorf Der Schnelllieferdienst Gorillas gerät im hart umkämpften Markt des Onlinehandels mit Lebensmitteln immer stärker unter Druck. Um die Kosten in den Griff zu bekommen, will das Unternehmen rund 300 Mitarbeiter in der Verwaltung entlassen, teilte es am Dienstag mit.
Zugleich wird die rasante Expansion gebremst. Gorillas will sich künftig auf die Kernmärkte Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Niederlande und USA konzentrieren. In diesen Ländern erzielt das Unternehmen nach eigenen Angaben 90 Prozent seiner Umsätze. Für dieses Jahr hatte Gorillas bisher mit einem Umsatz von etwa 800 Millionen US-Dollar geplant – das wäre mehr als eine Verdopplung zum Vorjahr.
Offensichtlich haben die Investoren, die den Wachstumskurs des Lieferdienstes in der Vergangenheit bereitwillig mit hohen Millionensummen finanziert hatten, Gründer Kagan Sümer ein Ultimatum gestellt. Zurzeit wird die Series-D-Finanzierungsrunde verhandelt, und neues Geld soll es nur geben, wenn das Unternehmen perspektivisch Gewinn vorweisen kann.
In einem Brief an die Mitarbeiter bestätigte Sümer, dass am Kapitalmarkt zurzeit Unternehmen mit einem niedrigeren Risikoprofil bei der Kapitalvergabe bevorzugt würden. Habe zuvor jeder Zugang zu Kapital gehabt, habe sich im März der Markt gedreht. „Sehr schnell wurde die Gier an den Märkten durch Vorsicht ersetzt“, schreibt er. Das werde einen natürlichen Ausleseprozess bei den Schnelllieferdiensten auslösen.
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Teil der neuen Strategie von Gorillas dürfte auch der Rückzug aus den Märkten Italien, Spanien, Dänemark und Belgien sein. Das Unternehmen teilt dazu nur mit, dass in diesen Ländern „alle strategischen Optionen geprüft“ würden.
Vor einem guten halben Jahr hatte Gorillas noch deutlich ehrgeizigere Ziele formuliert. Bei einer Finanzierungsrunde im Oktober hatte das Unternehmen rund 860 Millionen Euro von Investoren bekommen. Damals schwärmte Sümer noch vom „enormen Marktpotenzial“ und erklärte, das Unternehmen habe jetzt die finanziellen Mittel zur „Stärkung unserer marktführenden Position in Europa und darüber hinaus“.
Doch aktuelle Zahlen zeigen, dass Gorillas nicht einmal im Heimatmarkt Deutschland unangefochten an der Spitze steht. Nach Daten des Dienstleisters Similar Web hat der härteste Konkurrent Flink im März rund 500.000 Zugriffe auf sein Onlineangebot verzeichnet (Unique Visitors) – dreimal so viele wie Gorillas. Auch bei den App-Downloads liegen sowohl Flink als auch der Wettbewerber Getir aus der Türkei mittlerweile deutlich vor Sümers Start-up.
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Im wichtigen Markt Frankreich setzt Flink, das von Investoren ähnlich hoch bewertet wird, Gorillas massiv unter Druck. So hat Flink dort den Wettbewerber Cajoo übernommen und wird damit nach eigenen Angaben in Frankreich Marktführer. Außerdem steigt im Zuge dieses Deals der Handelskonzern Carrefour bei dem Schnelllieferdienst ein und wird exklusiver Handelspartner.
Finanzkreise teilen Sümers nun intern geäußerte Erwartung einer Konsolidierungswelle. Entsprechend wenig Risiko wollen Investoren bei neuen Engagements in diesem Bereich eingehen. „Wer in einem Land nicht die Nummer eins ist, hat es schwer“, sagt ein Insider.
Das dürfte auch für Gorillas Auswirkungen haben. So hatte Sümer noch Anfang des Jahres davon gesprochen, dass er sich für die aktuelle Finanzierungsrunde, die eigentlich Ende Mai abgeschlossen sein sollte, eine Summe von 630 Millionen Euro erhofft. Nun ist in Finanzkreisen eher von 200 Millionen Euro die Rede. Auch von einer weiter steigenden Bewertung des Unternehmens geht kaum noch jemand aus.
In welchen Bereichen Gorillas Personal abbauen will, um Kosten zu sparen, möchte das Unternehmen noch nicht sagen. Man wolle künftig noch gezielter am Sortiment, der Preisgestaltung, dem Bestellprozess und der Logistik arbeiten, teilte Gorillas nur vage mit. Entlassungen soll es aber sowohl in der Berliner Zentrale als auch in den Ländergesellschaften geben. In jüngster Zeit hatten bereits zahlreiche Führungskräfte das Unternehmen wieder verlassen – teils nach nur wenigen Monaten im Job.
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Das Unternehmen, das erst seit zwei Jahren am Markt ist, war in jüngster Zeit erheblich gewachsen. So hatte es den Personalbestand von 400 im März 2021 auf zuletzt 15.000 Mitarbeiter aufgestockt. Da dieses Personalwachstum erst einmal der Vergangenheit angehört, dürften auch die Abteilungen für Personalgewinnung und -entwicklung wieder schrumpfen.
Einsparungen soll es laut Insidern auch im Marketing geben, in dem bis zu 100 Mitarbeiter tätig waren – zusätzlich zu mehreren eingesetzten externen Agenturen. „Die Zentrale ist in den vergangenen Monaten sehr stark aufgebläht worden“, berichtet eine ehemalige Führungskraft. Das wieder etwas zu fokussieren müsse kein Fehler sein.
Dieser Artikel erschien zuerst am 24.05.2022 um 9:52 Uhr.
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