PremiumRussische Airlines dürfen fast nirgendwo landen, westliche Flugzeugbauer nicht mehr liefern. Doch der Kreml plant eine Luftfahrt-Offensive – mit einem mächtigen Unterstützer.
Der Superjet 100 auf der Paris Air Show
Noch fliegt das Flugzeug aus russischer Fertigung mit vielen Teilen aus dem Westen, doch die sollen sukzessive durch russische Komponenten ersetzt werden.
Bild: Reuters
Frankfurt Der Plan ist ehrgeizig. Bis Ende 2030 soll die russische Luftfahrtindustrie gut 1000 neue Passagierflugzeuge bauen. So hat es der stellvertretende Premierminister des Landes Ende Juni bei einer Kabinettsitzung angekündigt. Das klare Ziel: Westliches Gerät aus den Fabriken etwa von Airbus, Boeing oder Embraer soll durch heimische Produkte ersetzt werden.
Das Vorhaben zeigt: Die russische Regierung geht davon aus, dass das Land noch für viele Jahre wirtschaftlich vom Westen isoliert sein wird. Der Westen hatte die Lieferung von Flugzeugen und Ersatzteilen sowie Wartungsdienstleistungen im Zuge der Sanktionen gegen das Land untersagt. Das hat die Luftfahrt in dem Land in schwere Turbulenzen versetzt. Denn Airlines wie Aeroflot oder S7 hatten bis zum Überfall Russlands auf die Ukraine stark auf Flugzeuge westlicher Hersteller gesetzt.
Die Lücken soll nun die heimische Wirtschaft stopfen. Ob das gelingt, ist offen. In den zurückliegenden Jahrzehnten wurde die russische Luftfahrtbranche stark vernachlässigt. Neue Flugzeuge wurden kaum entwickelt, die wenigen Projekte, die es etwa zusammen mit chinesischen Firmen gibt, sind bisher noch nicht bis zur Marktreife gekommen.
Dennoch setzt die Regierung in Moskau stark auf Eigenentwicklungen, die schon auf dem Markt sind und deren westliche Komponenten nun „nationalisiert“ werden sollen. Dazu zählt etwa die Irkut MS-21, die bisher unter anderem mit Motoren aus dem Westen unterwegs ist, oder der Suchoi Superjet New.
Gleichzeitig sollen neue Flugzeugmuster endlich marktreif gemacht werden, wie etwa der Regionalflieger TWRS-44, eine Turboprop-Maschine. Sogar ein Vierstrahler, der Großraum-Jet Iljuschin Il-96-300, ist in dem Plan enthalten. Mit dessen Bau will das Land ab 2025 beginnen.
Umgerechnet gut 14 Milliarden Euro will sich die Regierung in Moskau die Ertüchtigung der heimischen Luftfahrt kosten lassen. Schon diese Summe lässt Zweifel an dem Plan aufkommen. Allein die Entwicklung des Großraumjets Airbus A350 hat zum Beispiel schon mehr als zehn Milliarden Euro gekostet.
Hinzu kommt: Bei den Motoren mag die russische Industrie die Lücke schließen können, aber eine komplexe Steuerung oder die Avionik selbst zu bauen ist eine gewaltige Herausforderung.
Bis das eigene Fluggerät verfügbar sein wird, dauert es. Bis dahin müssen also andere Lösungen her, damit die Luftfahrt in Russland nicht komplett am Boden bleiben muss. Schon das Verbot, in den meisten westlichen Ländern nicht mehr starten und landen zu dürfen, setzt der Branche schwer zu. Sind damit doch jede Menge Märkte verschlossen.
Aeroflot etwa hat keine internationalen Ziele mehr im Angebot, mit Ausnahme von Belarus. Und selbst im riesigen Russland sind bestimmte Ziele nicht erreichbar. Die Regierung hat wegen des Kriegs im Süden des Landes elf Flughäfen vorerst gesperrt. Das Risiko dort ist einfach zu groß. Betroffen sind auch beliebte Urlaubsziele vieler Russen.
Damit wenigstens die verbliebenen Ziele weiter bedient werden können, muss die bestehende Flotte so weit wie möglich in der Luft gehalten werden. Fluggesellschaften wie der russische Billiganbieter Pobeda haben deshalb begonnen, ihre Flotte zu reduzieren. Die nicht genutzten Flugzeuge werden als Teilespender verwendet, allerdings eine zeitlich limitierte Lösung.
Gleichzeitig hat die Luftfahrtaufsicht russischen Unternehmen erlaubt, westliche Ersatzteile nachzubauen. Die dafür notwendigen Zertifikate wurden bereits erteilt. Dennoch traut in Russland nicht jeder einer solchen improvisierten Wartung.
So hat die Russian National Reinsurance Company, ein staatlicher Rückversicherer, die Konditionen für die Versicherung von Flugzeugen deutlich verschärft, wie die Wirtschaftszeitung „Kommersant“ kürzlich schrieb. Ausgeschlossen vom Versicherungsschutz sind zum Beispiel Unfälle, die durch eine mangelhafte oder gar fehlende Wartung verursacht wurden.
Die aus Sicht russischer Fluggesellschaften gute Nachricht: Entgegen früheren Aussagen will China nun wohl doch westliche Ersatzteile nach Russland liefern. Das hat jedenfalls der chinesische Botschafter in Moskau angedeutet, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Tass kürzlich. Danach wird bereits an entsprechenden Liefermöglichkeiten gearbeitet. Was genau aber aus China kommen wird, ist bisher offen.
Ein Airbus von S7
Die russische Fluggesellschaft hatte bis zum Krieg auf Fluggerät aus dem Westen gesetzt und muss wegen der Sanktionen nun neu planen.
Bild: imago images/ITAR-TASS
Alle die genannten Maßnahmen sollen dabei helfen, vorerst ohne Lieferungen aus dem Westen auskommen. Das russische Verkehrsministerium hofft, so die kommenden fünf Jahre überbrücken zu können.
Die russischen Fluggesellschaften stehen damit vor einer Zeitenwende. Aeroflot etwa hatte sich mit der Flotte, in der fast nur Airbus-Flugzeuge im Einsatz waren, sowie einem gewissen Qualitätsstandard auch im Westen einen guten Namen verschafft. Bis zum Beginn des Kriegs steuerte die Airline weltweit 56 Länder an.
Nun wird der Fuhrpark radikal umgebaut – auch mithilfe staatlicher Subventionen. Künftig werden zum Beispiel der Suchoi Superjet New und die Irkut MS-21 mit dem Aeroflot-Logo unterwegs sein. Außerdem will die Airline die TU-214 bestellen. Vor allem dieses Flugzeug zeigt die Herausforderungen, die eine „Nationalisierung“ der russischen Luftfahrt mit sich bringt.
Die TU-214 flog das erste Mal 1996, ist also nicht mehr das modernste Gerät. Zwar ist das Flugzeug technisch durchaus auf dem Niveau westlicher Flugzeuge aus dieser Zeit. Aber der Treibstoffverbrauch war deutlich höher als etwa bei einer vergleichbaren A321 von Airbus.
Auch deshalb hatte Aeroflot den Jet nie bestellt. Nun also die Kehrtwende, weil es nicht anders geht. Die höheren Kerosinkosten mag Aeroflot vorerst verkraften können. Die russische Regierung hat bereits Hilfen angekündigt und will beim Treibstoff gegebenenfalls regulatorisch eingreifen.
Doch sollte der westliche Bann der russischen Luftfahrt irgendwann doch aufgehoben werden, hätte Aeroflot ein Produkt, mit dem es kaum wettbewerbsfähig wäre. Das Airline-Management müsste erneut eine gewaltige Modernisierung starten, wie es das nach dem Zerfall der Sowjetunion bereits einmal gemacht hat.
Erstpublikation: 21.07.2022, 13:47 Uhr.
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