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21.03.2023

13:19

Consulting

„Wir sind keine deutsche Beratung mehr“: USA werden für Simon-Kucher zum wichtigsten Markt

Von: Tanja Kewes

Die Gesellschaft entwickelt sich zur weltweit gefragtesten Beratung aus Deutschland. Die Konkurrenz ist bei der Internationalisierung noch nicht so weit.

Die deutsch-britische Doppelspitze verkörpert den internationalen Anspruch.

Simon-Kucher-Chefs Andreas von der Gathen (l.) und Mark Billige

Die deutsch-britische Doppelspitze verkörpert den internationalen Anspruch.

Düsseldorf Simon-Kucher, die zweitgrößte deutsche Beratungsgesellschaft, legt stark zu – vor allem im Mutterland des Consultings. „Wir sind 2022 um 21 Prozent auf einen Jahresumsatz von 535 Millionen Euro gewachsen“, sagt Co-Chef Andreas von der Gathen im Gespräch mit dem Handelsblatt. Die USA haben Deutschland dabei erstmals als der wichtigste Markt für das Bonner Unternehmen abgelöst.

In den USA setze man inzwischen fast jeden dritten Euro um und habe dort im vergangenen Jahr ein Plus von 28 Prozent erzielt, erklärt von der Gathen. Deutschland trägt nur noch rund ein Viertel zu den Erlösen bei.

Das starke Wachstum in den USA ist für das 1985 von Hermann Simon, Eckhard Kucher und Karl-Heinz Sebastian gegründete Unternehmen ein bemerkenswerter Erfolg – aus zwei Gründen. Zum einen verlief die Expansion bisher eher umgekehrt: Die drei international führenden Strategieberatungen McKinsey, Boston Consulting Group und Bain machen auf dem deutschen Markt jeweils bis zu einer Milliarde Euro Umsatz.

„Wir sind keine deutsche Beratung mehr“

Zum anderen ist Simon-Kucher damit Vorreiter eines Trends unter den deutschen Beratungen. Auch Roland Berger, mit einem erwarteten Umsatz von rund 850 Millionen Euro im vergangenen Jahr die Nummer eins, wächst international stark. Noch ist für die Gesellschaft aus München aber Deutschland der wichtigste Markt.

Auch bei Horvath aus Stuttgart – Nummer vier mit einem prognostizierten Jahresumsatz von 250 Millionen Euro – macht das Geschäft hierzulande mit 65 Prozent ebenfalls den größten Anteil aus – bei deutlichen Zuwächsen im Ausland.

Simon-Kucher muss sich ebenso wie Roland Berger und die anderen großen deutschen Beratungen wie Horvath und Q Perior internationaler aufstellen. Jörg Hossenfelder, Chef des Marktanalysten Lünendonk

Simon-Kuchers Co-Chef von der Gathen nutzt den starken internationalen Auftritt, um sich von der heimischen Konkurrenz abzugrenzen. „Wir sind keine deutsche Beratung mehr“, sagt er. Das zeige sich auch an der Belegschaft. In den USA beschäftige die Gesellschaft derzeit 390 Mitarbeitende, im Deutschland-Geschäft seien 360 Personen tätig. Hinzu kämen in Deutschland noch 160 Kollegen, die globale Rollen erfüllten.

Für Jörg Hossenfelder, geschäftsführender Gesellschafter des Marktanalysten Lünendonk, ist klar: „Simon-Kucher muss sich ebenso wie Roland Berger und die anderen großen deutschen Beratungen wie Horvath und Q Perior internationaler aufstellen.“ Gerade der US-Markt biete aktuell große Chancen.

Zum Erfolg in den USA beigetragen hat laut von der Gathen die Strategie, vor Ort mit eigenen Büros präsent zu sein und sowohl deutsche als auch amerikanische Berater zu beschäftigen. Simon-Kucher habe sich vor allem mit den Büros an der Westküste stark in der Technologiebranche engagiert und in Teilen auch etabliert. „Wir monetarisieren die Geschäftsmodelle von Techfirmen“, erklärt der 55-Jährige.

Zu den Kunden zählten Konzerne wie der Fahrdienstvermittler Uber und der Rechtsdienstleister Legalzoom. Zudem berate man Industrieunternehmen wie Corning (Glas, Keramik) und Keysight Technologies (Messgeräte). Nach Informationen des Handelsblatts hat Simon-Kucher in den USA auch schon für Tech-Größen wie Tesla und LinkedIn gearbeitet. Das will von der Gathen im Gespräch aber nicht kommentieren.

Simon-Kucher verstehe sich als eine Beratung für Unternehmen, denen „es prinzipiell gut geht, die vor allem ihre Profitabilität steigern möchten“, erklärt der Manager. Die hohe Inflation und die durch Krisen und Kriege gestiegene Kostenvolatilität seien Treiber dieses Geschäfts. „Wir wachsen von daher vor allem organisch. Übernahmen wollen wir nicht ausschließen, sie sind aber kein strategisches Ziel“, sagt von der Gathen.

Deutsch-britische Führungsspitze

Gestartet als „Preisberatung“, stellt sich Simon-Kucher aber zunehmend breiter auf. „Wir helfen Firmen, mehr Geld zu verdienen und auch besser zu wachsen, also etwa in Hinblick auf Nachhaltigkeit und Digitalisierung“, sagt von der Gathen. Man sei auf der „Sonnenseite“ des Beratergeschäfts, im Gegensatz zu den Restrukturieren, die sich um Sanierungsfälle kümmern.

Auch im Branchenmix positioniert sich Simon-Kucher vielfältiger. Das traditionell starke Geschäft in der Pharmaindustrie – 24 der 25 weltgrößten Konzerne der Branche sind Kunden – wird inzwischen flankiert von vielen Aufträgen aus den Feldern Konsumgüter und Handel, von Technologiefirmen und aus der Industrie.

Nach Einschätzung des Branchenexperten Hossenfelder ist eine „behutsame Erweiterung des Leistungsspektrums“, wie sie Simon Kucher angehe, folgerichtig: „Eine Spezialisierung auf eine konkrete Leistung ist zwar gut für die Positionierung, aber ab einer bestimmten Größe hinderlich für überdurchschnittliches Wachstum.“ Allerdings müsse sowohl der neue Außenauftritt als auch die Differenzierung zum Wettbewerb gelingen.

Den internationalen Anspruch vertritt Simon-Kucher auch durch eine deutsch-britische Doppelspitze. Andreas von der Gathen führt die Geschäfte seit 2020 gemeinsam mit Mark Billige. Der 45-jährige Brite sitzt in London und ist auf die Telekommunikationsbranche spezialisiert.

Das Duo ist erst die dritte Führungsriege bei Simon-Kucher. Gründer Hermann Simon (75) führte die Beratung bis 2009. Dann übernahmen mit Georg Tacke und Klaus Hilleke zwei seiner ersten Mitarbeiter für zehn Jahre die Leitung.

Simon Kucher stellt sich auf geringere Wachstumsraten ein

In Hinblick auf das laufende Jahr ist von der Gathen grundsätzlich optimistisch, allerdings erwartet er kein Rekordwachstum mehr: „Die Beratungsbranche hat drei fantastische Jahre hinter sich. Dieser Zyklus könnte nun zu Ende gehen“, sagt er. 2020 sei die Branche zwar aufgrund der Corona-Einschränkungen wenig gewachsen. Die Profitabilität sei jedoch aufgrund geringerer Kosten sehr hoch gewesen.

Auch in den beiden Folgejahren habe man starke Nachfrage gespürt. Nun wachse das Geschäft langsamer, wenn auch noch zweistellig, und Ausgaben wie Reisekosten seien zurückgekehrt. Für 2023 erwartet er deshalb ein Umsatzplus von 13 bis 15 Prozent.

Dabei will Simon-Kucher weiter Personal aufbauen. Derzeit hat das Unternehmen weltweit 2070 Mitarbeiter. Bei einer Fluktuation von branchenüblichen 15 Prozent liege der Bedarf voraussichtlich bei 400 bis 500 neuen Leuten, so von der Gathen. „Wir planen mit zehn bis 15 Prozent mehr Mitarbeiter und damit leicht unter unserem erwarteten Umsatzplus. Denn wir wollen natürlich – wie unsere Kunden auch – im Idealfall wachsen und gleichzeitig unsere Profitabilität steigern.“

Ein Ziel, das Marktführer McKinsey aus dem Blick verloren zu haben scheint. Die weltweite Nummer eins muss und will sich offenbar selbst eine neue Strategie verpassen. In einer an die Alumni der Firma verschickten Mail, die dem Handelsblatt vorlag, hieß es dazu Anfang März: „Unser Geschäftsmodell passt nicht mehr für die Zwecke einer modernen Firma.“ Die Firma sei heute mit 45.000 Mitarbeitern dreimal so groß wie vor zehn Jahren.

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