Joachim Löw
Der Bundestrainer bei der Niederlage der deutschen Nationalmannschaft gegen England.
Bild: AFP
Der Bundestrainer scheitert mit seiner Nationalmannschaft unrühmlich bei der EM. Wie Angela Merkel hat der „Bundes-Jogi“ den optimalen Zeitpunkt des Rücktritts verpasst.
München 15 Jahre „Bundes-Jogi“ endeten mit einer Entschuldigung. „Es tut uns leid, dass wir aus diesem Turnier heraus sind“, sagte Joachim Löw, 61, Trainer der Fußball-Nationalmannschaft seit 2006. Das sei eine „große Enttäuschung“, gerade jetzt, wo sich Begeisterung im Land breitmache. Ein enttäuschendes 0:2 gegen England markierte sowohl das Aus seiner Mannschaft im Achtelfinale der Europameisterschaft als auch das Ende seiner Ära.
Es ist ein Abschied mit einem neuerlichen Frust-Erlebnis, das weit entfernt ist von der Euphorie der ersten Löw-Jahre. Damals, als zu Europa- und Weltmeisterschaften begeisterte Bundesbürger sich Deutschland-Fahnen an die Autos steckten, selbst Fußballmuffel plötzlich über Abseits redeten und Public Viewing zum gesellschaftlichen Großverbrüderungsritual wurde.
2014 kam dann der Höhepunkt dieser guten ersten Hälfte der Löw-Schaffensperiode, als Deutschland in Brasilien Weltmeister wurde. Nun erscheint es wie ein Symbol, dass in diesem Jahr auch die Ära jener Frau endet, die damals in Rio de Janeiro zum Gratulieren in die Kabine kam: Bundeskanzlerin Angela Merkel, seit 16 Jahren im Amt.
Beide Verantwortlichen sind international sehr anerkannt. Sie gelten sowohl anderen Trainern als auch anderen Politikern als Vorbild. Eine Zeit lang begeisterte eben das technisch gute Spiel einer Mannschaft, die einst als Ensemble von „Rumpelfußballern“ geschmäht worden war. Man war wieder wer und nicht mehr – wie in der Wirtschaft vor 20 Jahren – der „kranke Mann Europas“.
Bei der Kanzlerin erschien in jenen Jahren des frühen Glücks ihr moderierender Politstil als geeignetes Mittel, Europas Einheit weiter voranzubringen. Doch in den vergangenen Jahren häuften sich die Zweifel, sowohl an der Politik der Christdemokratin als auch an der Arbeit des mit badischem Akzent sprechenden Übungsleiters.
„Ich übernehme die Verantwortung für dieses Ausscheiden, ohne Wenn und Aber“, sagte Löw am Mittwoch bei der Pressekonferenz. Vieles werde in positiver Erinnerung bleiben – weniger einzelne Spiele als der Weg, den er mit vielen Spielern zusammen gegangen sei. „Ich bin mit mir selbst im Reinen“, so Löw, dessen Herz weiterhin Schwarz-Rot-Gold schlage.
Seit Rio 2014 führte der Weg der DFB-Nationalmannschaft mehr oder weniger kontinuierlich bergab – auch zur Kümmernis der Sponsoren. Immerhin hat ja beispielsweise Volkswagen den Daimler-Konzern mit Mercedes als „Mobilitätspartner“ und größten Geldgeber abgelöst, was eine schöne Summe kostete. Wenig war übrig vom einstigen Wert der „Marke Nationalmannschaft“, die DFB-Sportdirektor Oliver Bierhoff in eine vom Löw-Fußball berauschte und begeisterte Öffentlichkeit hineingesetzt hatte.
Der Trainer selbst empfand nach großen Turnieren immer Einsamkeit, selbst nach dem furiosen 7:1 gegen Gastgeber Brasilien bei der WM 2014 war er nicht weit weg von einer depressiven Verstimmung: „Es war vielleicht das schönste Spiel meiner Karriere, aber es war für mich als Trainer zu viel“, sagte er vor einigen Wochen in einem Interview mit der Wochenzeitung „Die Zeit“. Man kann das jetzt, nach dem EM-Debakel, als eine Art Nachruf in eigener Sache lesen.
Kabinenjubel mit Kanzlerin und Bundespräsident in Rio 2014
Joachim Löw auf dem Höhepunkt seiner Trainerlaufbahn.
Bild: dpa
Anders als der kluge Spielführer Philipp Lahm, der nach dem WM-Triumph mit 30 Jahren zurücktrat, wollte der Coach das süße Gefühl des Erfolgs noch weiter auskosten. 2016 bei der Europameisterschaft kam er wieder, so wie immer, ins Halbfinale, doch zwei Jahre später mussten seine Schützlinge schon nach der Vorrunde der Weltmeisterschaft in Russland wieder nach Hause fahren. Das hatte es noch nie gegeben im deutschen Fußball.
Danach vermasselte die Nationalelf den sportlichen Verbleib in der „Nations League“, verlor schon mal 0:6 gegen Spanien und mit 1:2 gegen das recht niedrig klassifizierte Nordmazedonien. Bei der „Euro 2020“ schließlich gewann man von vier Spielen gerade mal ein Match, lag aber immer 0:1 in Rückstand.
Löw hatte das Glück, dass der DFB ihm vor der Pleite-WM in Russland schon einen langfristigen Vertrag bis 2022 gewährt hatte, den er dann aber doch lieber selbst vorzeitig zur Europameisterschaft auflöste. Sein Jahressalär soll bei rund 3,8 Millionen Euro liegen, was der DFB nicht bestätigt.
Joachim Löw
Der Bundestrainer auf der Fanmeile einen Tag nach dem EM-Finale 2008.
Bild: AFP
Auf die Frage, ob er irgendeine Entscheidung bereue, antwortete Löw im ARD-Interview nach dem Flop von Wembley sehr allgemein. „Fehler macht ja jeder, Fehler werden immer gemacht. Wenn ich zu einem Turnier gehe, kann ich auch am ersten Tag sagen, dass ich Fehler machen werde, wie alle anderen auch.“
Es ist ein typischer, philosophierender, irgendwie dahintrudelnder Satz des Trainers, den er nach dem 198. und damit letzten DFB-Spiel seiner Karriere formulierte. Der allerdings in der Stunde der Niederlage ganz anders wirkt als in der Stunde des Sieges. „Der Selbstbetrug ist aufgeflogen“, kommentiert die „Frankfurter Allgemeine“. Seine „bleierne Zeit“ sei endlich vorbei, barmt die „Zeit“. In solchen Momenten ist man der einsamste Mensch der Welt.
Das alles sind unkomfortable Situationen für einen, der für seine „Sonnyboy“-Attitüde bekannt war. Seine eigentliche Botschaft war einmal: „Alles ist möglich!“
So einen liebte man, so einen sah man gern selbst bei einer sportfernen Veranstaltung wie der Bundesversammlung zur Wahl des Bundespräsidenten. Hier war er 2017 Mitglied, als Vertreter des baden-württembergischen Landtags für Bündnis 90/Die Grünen.
Nun ist, bei der Nationalelf jedenfalls, nichts mehr möglich für den früheren Fußballprofi, der im Schwarzwaldort Schönau geboren wurde. Er spielte als Stürmer zumeist beim damaligen Zweitligisten SC Freiburg, aber auch in der Ersten Bundesliga (VfB Stuttgart, Eintracht Frankfurt, Karlsruher SC). In der Schweiz, in der Jugend des FC Winterthur, begann schließlich 1994 die Trainerkarriere des Sohns eines Ofensetzers.
Schon 1996/97 trainierte Löw den Erstligisten Stuttgart, der sogleich Vierter und Pokalsieger wurde. Istanbul, Karlsruhe, Adana, Innsbruck und Wien waren weitere Stationen, ehe er 2004 Co-Trainer der neu aufzubauenden deutschen Nationalelf unter Chefcoach Jürgen Klinsmann wurde.
Joachim Löw und Hansi Flick (l.)
Der Bundestrainer und sein damaliger Assistent feiern den Sieg der Nationalmannschaft bei der WM 2014.
Bild: AFP
Mit dem „Sommermärchen“ 2006, dem dritten Platz bei der WM im eigenen Land, begann das Comeback des deutschen Fußballs nach mehr oder minder dürren Jahren. Nun wird es an dem Löw-Nachfolger „Hansi“ Flick liegen, einen ähnlichen Neuaufbau wie damals Mitte der 2000er-Jahre zu verwirklichen.
Joachim Löw – der Mann, der das Land mal verzaubert hat – spricht nun von einer „emotionalen Pause“. Nach 15 Jahren an der Spitze würde man sich nicht sofort nach etwas Neuem umsehen. Er müsse „die Leere, die kommt, auch zulassen“, man benötige Zeit, um ein solches Turnier abzuschütteln.
Dankbar sei er für die „unglaublich starken Verbindungen“ zu seinen Spielern und Weggefährten in all den Jahren: „Es gab Momente, die unvergesslich sind.“ Prinzipiell fühle er sich gerüstet für neue, interessante Aufgaben, sagt der DFB-Dauercoach noch: „Vom Ruhestand habe ich nie gesprochen.“
Er muss jedoch mit dem Makel leben, den optimalen Zeitpunkt zum Rücktritt verpasst zu haben. Auch beim nächsten Einstellungsgespräch.
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