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13.12.2018

21:57

Absteiger des Jahres

Thyssen-Krupp-Chefaufseher Ulrich Lehner – Eine Legende hat aufgegeben

Von: Dieter Fockenbrock

Im Sommer hat der Aufsichtsratsvorsitzende überraschend den Konzern verlassen. Die Folge: Personalchaos. Ulrich Lehner ist der Absteiger des Jahres.

Julius Brauckmann; picture alliance / Sven Simon [M]

Diese Worte klingen wie ein großer, peinlicher Irrtum. „Gerade in unruhigen Zeiten“, heißt es in der Laudatio der Schutzgemeinschaft für Wertpapierbesitz (DSW), „ist es wichtig, dass erfahrene und kompetente Manager wie Ulrich Lehner an Bord bleiben.“ Vorgetragen aus Anlass der Verleihung des Preises „für gute Unternehmensführung“ im Jahre 2016.

Professor Dr. Ulrich Lehner ist nicht an Bord geblieben. Im Sommer 2018 warf der 72 Jahre alte Manager zur Überraschung aller bei Thyssen-Krupp hin. Ausgerechnet bei diesem auf Traditionen bedachten Konzern. Und in dieser extrem kritischen Lage.

Am 16. Juli 2018 kündigte Lehner sein Mandat als Aufsichtsratschef, mehr oder weniger mit sofortiger Wirkung. Begründung: Mangelhafte Rückendeckung durch die Eigentümer. Zuvor war dem Industriekonzern schon sein Vorstandsvorsitzender Heinrich Hiesinger im Streit mit den Aktionären um die strategische Ausrichtung abhandengekommen. Der Konzern und seine 150.000 Mitarbeiter waren von einem Tag auf den anderen kopflos.

Was folgte, ist bekannt: ein Personalchaos sondergleichen. Die offenen Toppositionen konnten nur unter schwierigsten Umständen besetzt werden. Kein Manager von Rang traute sich, bei Thyssen-Krupp anzuheuern. Keiner hatte Lust, zwischen die Fronten zu geraten. Zu offensichtlich prallten in der Revierstadt Essen die Interessen von Mitarbeitern, Krupp-Stiftung und zwei kompromisslosen Finanzinvestoren aufeinander. Wenn schon ein Lehner die Brocken hinwirft!

Die Entscheidung des einstigen Henkel-Chefs zu einem abrupten Abgang löst zwiespältige Reaktionen aus. „Ich hätte es genauso macht. Wenn man sich selbst verleugnen muss, dann muss man gehen“, sagt einer, der Lehner gut kennt und der weiß, was es heißt, Chefkontrolleur eines milliardenschweren Dax-Konzerns zu sein.

Dieter Fockenbrock ist Chefkorrespondent Unternehmen & Märkte des Handelsblatts. Nach dem Studium der Volkswirtschaft in Münster kam er über journalistische Stationen beim Wirtschaftsmagazin „Capital“, bei den Tageszeitungen „Westfälische Nachrichten“ und „Der Tagesspiegel“ zum Handelsblatt. Dort betreut er die Kommentarseiten sowie die Themen Deutsche Bahn und Corporate Governance.

Der Autor

Dieter Fockenbrock ist Chefkorrespondent Unternehmen & Märkte des Handelsblatts. Nach dem Studium der Volkswirtschaft in Münster kam er über journalistische Stationen beim Wirtschaftsmagazin „Capital“, bei den Tageszeitungen „Westfälische Nachrichten“ und „Der Tagesspiegel“ zum Handelsblatt. Dort betreut er die Kommentarseiten sowie die Themen Deutsche Bahn und Corporate Governance.

„In dieser Situation zu gehen geht gar nicht“, sagen andere, selbst genauso erfahren in Führungsetagen dieses Landes. Soll heißen: Lehners Pflicht wäre es gewesen, so lange zu bleiben, bis ein Nachfolger wenigstens für seinen Posten gefunden ist. Jetzt bleibt vor allem die Fahnenflucht an Ulrich Lehner hängen.

Dabei wird dieses Urteil dem unprätentiösen Rheinländer nicht gerecht. Lehner gilt als zuverlässig, ausgleichend, kooperativ. Lehner verkörpert das Gegenteil des Alphatiers. Eine Spezies, die im Topmanagement weit verbreitet ist.

Er selbst sagte einmal, er sei eine Art Überzeuger-Moderator. Lehner zählte mit zahlreichen Aufsichtsmandaten zeitweise zu den mächtigsten Kontrolleuren. Auch Eon, Novartis, Oetker, Telekom und Porsche bedienten sich seiner Aufsicht. Porsche und Telekom tun dies heute noch. Lehner genießt das Ansehen.

Bei Thyssen-Krupp konnte er dann wohl niemanden mehr überzeugen, gab es nichts mehr für ihn zu moderieren, war der Genuss verloren. Die Finanzinvestoren Cevian und Elliott drängten immer heftiger auf eine neue Konzernstruktur. Die einen moderat, wollten sich von Firmenteilen trennen. Die anderen radikal, bis hin zu einer Zerschlagung des Unternehmens. Mit einem Lehner war weder das eine noch das andere zu machen.

Plötzliche Streitlust

Dritte im Bunde der maßgeblichen Eigentümer, die Krupp-Stiftung. Mit 21 Prozent Anteil immerhin das Schwergewicht. Eigentlich. Was zu Zeiten des legendären Krupp-Nachlassverwalters Berthold Beitz zu viel an Stiftungseinfluss war, das ist es heute wohl zu wenig. Die Stiftung schafft es nicht, den schlingernden Ruhrkonzern zu stabilisieren.

Am Ende hatte Lehner die Rückendeckung aller Großaktionäre verloren. Sein plötzlicher Abgang allerdings passt so gar nicht zu seiner Philosophie, die Dinge zu Ende zu denken. Diesmal hat er nicht bis zum Ende gedacht.

In einem bemerkenswerten Interview in der Wochenzeitung „Die Zeit“, gedruckt nur wenige Tage vor seiner Demission, konnte der aufmerksame Leser plötzlich einen ganz anderen Ulrich Lehner entdecken als den umgänglichen, kompromissbereiten und dank seines leichten rheinischen Sprachklangs immer deeskalierenden Mannes. Es war Lehners Abrechnung.

Industriekonzern: Aufruhr im Aufsichtsrat bei Thyssen-Krupp

Industriekonzern

Aufruhr im Aufsichtsrat bei Thyssen-Krupp

Finanzinvestor Cevian will den Aufsichtsratsvorsitz nach wenigen Wochen neu besetzen. Die Krupp-Stiftung stützt das Vorhaben – aber es gibt auch Widerstand.

Attacke statt Ausgleich, lautete die Botschaft. Lehner sprach von öffentlicher Destabilisierung, dem Verbreiten von Unwahrheiten (vulgo Lügen), gekauften Stimmen, Belästigung und gar Psychoterror. Solche Worte hatte man aus seinem Munde noch nicht vernommen, jedenfalls nicht auf offener Bühne.

Selbst in schwierigen Zeiten pflegte er bis dahin den angemessenen Umgangston, sprach vom „engen Verhältnis“ zur Krupp-Stiftung und rief trotz des inzwischen über Medien offen ausgetragenen Streits um die richtige Strategie dazu auf, die Dinge „gemeinsam und rational“ anzugehen. Vorbei.

Selten genug, dass Lehner Namen nannte. Bei der Stiftung hatte es natürlich die besondere Bewandtnis, dass der inzwischen verstorbene Berthold Beitz ihn persönlich 2013 bat, den Aufsichtsratsvorsitz zu übernehmen. Lehner saß zu diesem Zeitpunkt schon fünf Jahre als Entsandter der Stiftung im Thyssen-Krupp-Aufsichtsrat.

Und er sah sich nicht nur deshalb einem Krupp’schen Vermächtnis verpflichtet, den Konzern zusammenzuhalten. Es dürfte auch seine eigene Überzeugung sein, dass krawallige Investoren wie Elliott und 200 Jahre Industrietradition nicht zusammenpassen.

Manches geht nicht „so zack, zack“

Veränderungen, das hatte Lehner bei vielen Gelegenheiten betont, „brauchen Zeit“. Ein Unternehmen könne man eben nicht „so zack, zack“ wie Legosteine auseinandernehmen und neu zusammensetzen. Diese Metapher begleitet ihn durch sein ganzes Managerleben.

Und sie dürfte geprägt sein von seiner wichtigsten beruflichen Station beim Konsumgüterkonzern Henkel. Der Sohn eines Düsseldorfer Holzhändlers stieg dort schnell zum Vorsitzenden der Geschäftsführung auf, noch heute berät er die Familie im Gesellschafterausschuss.

Henkel ist zwar börsennotiert, das Sagen hat die Familie. Für den Chef einer Kommanditgesellschaft auf Aktien, der Lehner von 2000 bis 2008 war, eine Gratwanderung. Einerseits muss er die Erwartungen des Kapitalmarkts befriedigen. Andererseits die Vorstellungen einer weitverzweigten Unternehmerdynastie bedenken. Beides meisterte Lehner. Die Kunst des Ausbalancierens hat er bei Henkel perfektioniert.

Auch bei seinem zweiten großen Aufsichtsmandat scheint das geschickte Austarieren der Interessen die richtige Rezeptur zu sein. Seit zehn Jahren ist er Aufsichtsratschef der Deutschen Telekom, an dem der Staat immer noch einen Minderheitsanteil hält. Interessen auszugleichen ist in so einem Unternehmen erste Pflicht.

Kaum hatte der Düsseldorfer aber in Bonn seinen Job angetreten, erschütterte ein unglaublicher Skandal den Konzern. Das Management hatte seine eigenen Aufsichtsräte und Journalisten bespitzeln lassen. Es ist auch Lehners Verdienst, dass diese schmutzige Angelegenheit heute kein Thema mehr ist. Und die Telekom nicht nachhaltig beschädigt hat.

Aber das ist Vergangenheit. Für Ulrich Lehner bestand die Kunst des Führens darin, zu wissen, „wie man einen Elefanten zum Tanzen bringt“. Das Geschick könnte ihm verloren gegangen sein.

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