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13.12.2018

22:02

Aufsteiger des Jahres

Wirecard-Chef Markus Braun – Ein Hauch von Silicon Valley

Von: Daniel Schäfer

Der Chef von Wirecard läuft den großen Banken den Rang ab. Und damit gibt sich Markus Braun nicht zufrieden. Er ist der Aufsteiger des Jahres.

Julius Brauckmann; Thomas Einberger/Argum für Handelsblatt [M]

Glamour mag es woanders geben. Wer Markus Braun in der Firmenzentrale von Wirecard trifft, wird in einem schmucklosen Besprechungszimmer eines vierstöckigen Zweckgebäudes in Aschheim bei München empfangen. Die Gewerbegebiets-Tristesse des kleinen Örtchens östlich der bayerischen Landeshauptstadt ist so etwas wie die Antithese zur glitzernden Hochhaus-Bankenwelt Frankfurts.

Doch spätestens seit September schaut kein Banker mehr auf das Provinzunternehmen oder dessen Vorstandschef herab: Dank eines in den vergangenen Jahren rasant gestiegenen Aktienkurses verdrängte der Finanzdienstleister die Commerzbank aus dem Deutschen Aktienindex – und überholte mit einem Börsenwert von derzeit knapp 17 Milliarden Euro längst auch die Deutsche Bank.

Der größte Nutznießer heißt Braun. Der seit vielen Jahren amtierende Chef des Bezahldienstleisters hält eine Beteiligung von sieben Prozent und avancierte damit zum Milliardär. Seine höchste Motivation ist aber nicht Geld. Es ist ein Faible für Technologie, er glaubt an den Siegeszug vom elektronischen und mobilen Zahlungsverkehr.

Seine Gemütslage ist ein Gegenentwurf zur depressiven Stimmung in den nur äußerlich noch schicken Bankentürmen in Frankfurt. Der 49 Jahre alte Österreicher legt einen derart überschwänglichen Optimismus an den Tag, dass ein Gast mit deutsch-pessimistischer Grundhaltung einen gehörigen Kulturschock erleidet – und sich eher im Silicon Valley wähnt als in Aschheim.

Der Aktienkurs mehr als verdreifachte sich in den vergangenen zwei Jahren. Für Braun ist das erst der Anfang, der Kurs soll sich in den kommenden Jahren nochmals mindestens vervierfachen. Wunschdenken? Nun, allein in diesem Jahr hob Wirecard dreimal die Ergebnisprognose an. Laut Braun geht noch viel mehr – bis 2025 soll sich der Betriebsgewinn auf 3,3 Milliarden Euro verachtfachen. Das gesamte Geschäftsvolumen könne sich locker verdreißigfachen.

Daniel Schäfer leitet das Finanzressort des Handelsblatts. Schäfer studierte in England und an der Universität Hohenheim in Stuttgart. 1997 fing er bei Reuters an, es folgten Stationen bei „FAZ“ und „Financial Times“. Der Kapitalmarkt ist sein Thema, er hegt engen Kontakt zu allen wichtigen Finanzmanagern – nur mit Braun lange Zeit nicht. Das änderte sich im September mit einem Interview. Seitdem telefonieren die beiden – dabei ist spürbar, dass Braun das Rampenlicht nicht mag.

Der Autor

Daniel Schäfer leitet das Finanzressort des Handelsblatts. Schäfer studierte in England und an der Universität Hohenheim in Stuttgart. 1997 fing er bei Reuters an, es folgten Stationen bei „FAZ“ und „Financial Times“. Der Kapitalmarkt ist sein Thema, er hegt engen Kontakt zu allen wichtigen Finanzmanagern – nur mit Braun lange Zeit nicht. Das änderte sich im September mit einem Interview. Seitdem telefonieren die beiden – dabei ist spürbar, dass Braun das Rampenlicht nicht mag.

Seine Vision: Wirecard beteiligt sich an der Revolution des globalen Bezahlens. Die Menschen werden immer weniger mit Bargeld bezahlen und mehr auf Kreditkarten oder andere elektronische Zahlungsmittel umsteigen – davon profitiert Wirecard als Infrastrukturanbieter.

Die hochfliegenden Ziele mögen für Skeptiker übertrieben positiv oder gar angeberisch klingen. Doch der bisherige Erfolg gibt Braun recht. Und wer mit ihm spricht, erlebt seine Worte gerade in diesen Zeiten mit vielen negativen Schlagzeilen als wohltuende Portion Zukunftsgläubigkeit. Seine Persönlichkeit schiebt der von Chefallüren gänzlich befreite Manager dabei nicht in den Vordergrund.

Im Gegenteil: Ihm ist der mit dem Aufstieg in die oberste deutsche Börsenliga über Wirecard gekommene mediale Rummel eher zuwider. Auch als Aufsteiger will er eigentlich nicht gefeiert werden. „Die Öffentlichkeitsarbeit gehört zu meinen Aufgaben dazu, ich persönlich ziehe es aber vor, nicht im Rampenlicht zu stehen“, sagt der unauffällige Topmanager mit der randlosen Brille.

Authentisch unnahbar

Mit seiner Start-up-Kultur, dem rasanten Wachstum und der äußerst hohen Börsenwertung ist Wirecard das wohl untypischste Dax-Unternehmen aller Zeiten– und das spiegelt sich auch im Charakter des Vorstandschefs. Der Sohn einer Gymnasiallehrerin und eines Volkshochschuldirektors hat nichts von der kalkuliert charismatischen und medial trainierten Schein-Authentizität vieler Dax-CEOs. Im Gegenteil – er ist auf eine authentische Art unnahbar.

Er sagt offen, dass er eigentlich lieber andere Dinge machen würde, als Interviews zu geben. Bei Fragen nach seinem Privatleben bleibt der Familienvater und Opernfan bewusst vage, noch nicht einmal seine bevorzugten Sportarten will der drahtige Endvierziger verraten. Stattdessen schafft es der promovierte Wirtschaftsinformatiker zumeist, die Diskussion wieder auf neue Finanztechnologien zu lenken – sein Lieblingsthema.

Dass der ebenso ehrgeizige wie unprätentiöse Manager lieber im Verborgenen agiert, hat eine lange Historie. Und es mag auch mit den eher halbseidenen Anfängen des Unternehmens zusammenhängen. Schließlich agierte Wirecard in den unternehmerischen Flegeljahren Anfang des Jahrtausends vor allem als Zahlungsdienstleister für Schmuddelbranchen wie die Porno- und Glücksspielindustrie – weil diese Branchen zu den ersten gehörten, die Online-Bezahlmodelle benötigten.

Jahre später machte die mangelnde Transparenz das Unternehmen angreifbar für spekulative Angriffe. Mehrfach musste sich Braun in den vergangenen Jahren gegen bislang stets haltlose Vorwürfe angeblicher Bilanztricks wehren, die den Aktienkurs zum Teil drastisch einkrachen ließen – und den darauf wettenden „Shortsellern“ große Gewinne bescherten.

Fern der Managerzirkel

Bis heute ist es Wirecard nicht gelungen, den leicht obskuren Ruf gänzlich abzuschütteln. Wer unter Deutschlands Bankern nach einem Laudator für Braun sucht, stößt immer noch auf eine eher reservierte bis skeptische Haltung. Was auch daran liegen mag, dass der privat in Wien wohnende Braun keinen Wert darauf legt, in die klassischen Managerzirkel einzutreten. Networking in den Reihen der Deutschland AG ist seine Sache nicht.

Wozu auch – als Hauptgesellschafter, CEO und Technikvorstand genießt Mister Wirecard eine enorme Machtfülle in seinem Unternehmen. Doch Macht scheint keine Kategorie zu sein, die für Braun im Vordergrund steht. Den Firmenchef begeistert zuvorderst der technologische Wandel in der Finanzbranche, der Wirecard an den Banken vorbei katapultiert hat.

„Ich sehe die Arbeit bei Wirecard als großes Privileg. Es macht mir viel Spaß, an Innovationen mitzuwirken und diese an der Realität des Marktes zu messen“, sagt er.

Und während in anderen Dax-Unternehmen der Vorstandschef gefühlt im Dreijahrestakt ausgewechselt zu werden scheint, will Braun, dessen derzeitiger Vertrag Ende 2020 ausläuft, auch nach fast zwei Dekaden an der Spitze noch lange weitermachen – sofern es Aktionäre und der Aufsichtsrat erlauben. „Ich mache den Job jetzt seit knapp 20 Jahren und kann mir vorstellen, ihn auch noch viele weitere Jahre auszuüben“, sagt er dem Handelsblatt.

Die vorläufige Krönung der Karriere war der Aufstieg in den Dax vor zweieinhalb Monaten – auch wenn Braun das nur als „positiven Zwischenschritt“ für Wirecard bezeichnet. Bisher allerdings bescherte die Dax-Aufnahme dem Unternehmen nicht viel Glück: Der Aktienkurs stürzte um rund 30 Prozent auf derzeit 137 Euro ab.

Doch für den unerschütterlichen Optimisten Braun war ein solcher Kursverfall in der Vergangenheit immer vor allem eins: ein Grund, Aktien nachzukaufen. „Kurzfristige Kursentwicklungen kommentieren wir nie“, sagte er. „Aber ich bin zuversichtlich, dass wir auch in den nächsten zehn bis 15 Jahren einen schwungvollen Kursanstieg sehen werden.“

Dax-Aufsteiger kann Braun nur in diesem einen Jahr sein. Doch wenn es nach dem Himmelsstürmer aus Wien geht, wird die in einem Aschheimer Gewerbegebiet ausgetüftelte Wachstumsstory in der Welt noch sehr lange weitergehen.

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