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13.12.2018

21:58

Enttäuschung des Jahres

Bundestrainer Joachim Löw – Von der Notwendigkeit zur Veränderung

Von: Hans-Georg Näder

Trainer werden an Ergebnissen gemessen. Bei der DFB-Elf fielen die 2018 desaströs aus. Coach Löw und sein Team macht das zur Enttäuschung des Jahres.

Julius Brauckmann; FIFA/Getty Images [M]

Die K.-o.-Phase der Fußball-Weltmeisterschaft in Russland ohne deutsche Beteiligung? Undenkbar! Dementsprechend segelten wir Ende Juni in lockerer Vorfreude auf meiner „Pink Gin“ in Richtung Sankt Petersburg. Dort wollten wir das Achtelfinale sehen und selbstverständlich abends auf der Jacht den Einzug ins Viertelfinale feiern. – Denkste! Viel lieber hätte ich mit Joachim Löw, den ich im Sommer 2018 auf Sardinien persönlich kennen und schätzen gelernt habe, über die Perspektive Titelverteidigung gesprochen. Nun aber: Aus der Traum. Chance vergeigt. Der Trainer wackelt.

Für gute Freunde und mich hatte ich Stadiontickets frühzeitig gesichert. Die Nachricht vom frühen Aus einer deutschen Mannschaft, die völlig von der Rolle in ihrem letzten Gruppenspiel „Angstgegner“ Südkorea unterlag, war nur noch mit Galgenhumor zu ertragen. Bitteres Wendemanöver auf der Ostsee: „Wir könn’n nach Hause fahr’n ...!“

Vier Jahre zuvor als Weltmeister heroisiert, jetzt dem Hohn und Spott der Weltpresse ausgeliefert. Wie oft haben wir schon beobachten können, wie Menschen, die im Mittelpunkt der Medien stehen, zu deren Spielball werden, von heute auf morgen gemodelt vom angehimmelten Idol zum tragischen Clown. Die Fallhöhe bringt Schlagzeilen. Fair geht nicht immer vor.

Ich glaube, Jogi Löw war sich dieser Gefahr von Anfang an bewusst und hat sich deshalb so geschickt verhalten. Er hat einen Einblick in seine Trainerseele gestattet und beschrieben, wie für ihn der Titelgewinn schon zu einer Belastung wurde, als die anderen noch im Zustand der maximalen Euphorie in Rio die Korken knallen ließen. Ich kann ihn verstehen. Und ich finde, es verdient hohen Respekt, wenn sich jemand ganz authentisch gegen die Rollen behauptet, die ihm von außen aufgedrängt werden sollen.

Der Betriebswirt ist Eigentümer und Verwaltungsratschef von Ottobock. Näder übernahm die Führung des weltweit aktiven Prothesenherstellers 1990 von seinem Vater. 2017 übergab der 57-Jährige, der beim Mittelständler aus Duderstadt die dritte Generation repräsentiert, seinen Chefposten an einen Externen. Näder ist treuer Förderer der Paralympics. Joachim Löw traf er nach dem WM-Aus der Deutschen zufällig im Urlaub auf Sardinien. imago/localpic

Über den Autoren Hans Georg Näder

Der Betriebswirt ist Eigentümer und Verwaltungsratschef von Ottobock. Näder übernahm die Führung des weltweit aktiven Prothesenherstellers 1990 von seinem Vater. 2017 übergab der 57-Jährige, der beim Mittelständler aus Duderstadt die dritte Generation repräsentiert, seinen Chefposten an einen Externen. Näder ist treuer Förderer der Paralympics. Joachim Löw traf er nach dem WM-Aus der Deutschen zufällig im Urlaub auf Sardinien.

Auf die Rolle als Triumphator festgelegt zu sein, kann ja nur im Scheitern enden. Jogi Löw hat dagegen vor der WM wiederholt klar gesagt, dass jeder Erfolg immer wieder neu erarbeitet werden muss. Und er hat trotzdem nach dem WM-Aus sich selbst „fast schon Arroganz“ vorgeworfen, weil doch nicht alles Erforderliche umgesetzt worden war.

Wohl gemerkt, sich selbst hat er das vorgeworfen – und nicht den hochdekorierten Profis auf dem Platz, die uns doch manchmal so erschienen, als hätte sie der Mannschaftsgeist verlassen. Ein charakterstarker Trainer, der in einer solchen Situation sein eigenes Defizit sucht und keine Sündenböcke im Team.

„Fast schon arrogant“, das hat er auf der längsten Pressekonferenz gesagt, die es in der DFB-Geschichte jemals gab. 110 Minuten, gemeinsam mit Nationalmannschafts-Manager Oliver Bierhoff ein Spießrutensitzen in aller Öffentlichkeit. Zwei Monate nach der WM. Jogi Löw warf sich vor, er habe alles perfektionieren und auf die Spitze treiben wollen. Sich neu zu besinnen war dabei zu kurz gekommen.

Ich finde, das ist einer der Punkte, bei denen deutlich wird, warum man die Herausforderungen für Trainer und Unternehmer ganz gut vergleichen kann. Ich habe mich bei Ottobock ja stets als Teamchef definiert, der – wie bei einer Fußballmannschaft – die richtigen Leute am richtigen Platz einsetzen muss.

Man kann auch in einer Firma das Bestehende eine ganze Zeit lang perfektionieren, aber irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem man das Erreichte den sich verändernden Rahmenbedingungen anpassen muss. Am Ende werden auch wir an Ergebnissen gemessen.

Ballbesitzfußball ist pfui

Vielleicht hat mich ja auch deshalb schon auf dem Rückweg über die Ostsee die Frage so sehr beschäftigt, wie es jetzt weitergeht, mit Jogi Löw, der Nationalmannschaft, Fußball in Deutschland. Jeder schien ganz plötzlich zu wissen, dass der Ballbesitzfußball à la FC Barcelona oder Bayern München pfui ist.

Als hätte sich etwas an der Weisheit geändert, dass der Gegner keine Tore schießen kann, solange du selbst am Ball bist. Richtig bleibt natürlich auch: Was nützt der Ballbesitz, wenn die Kreativität verloren geht, selbst Tore zu schießen.

Löw hat die bei der WM 2018 von ihm und seinem Team gemachten Fehler analysiert und eingesehen. Nachdem er aus Loyalität und Dankbarkeit zu lange an seinen Weltmeistern von 2014 festgehalten hat, wird er für die EM 2020 einen Umbruch einleiten und eine rundum erneuerte Mannschaft aufbauen!

Hier werden die Spieler Sané, Gnabry, Draxler, Goretzka, Süle , Reus, Brandt, Kimmich, Werner und Kehrer eine entscheidende Rolle spielen. Dass er ein Team aufbauen kann, hat er mit den Erfolgen bei der WM 2006 und 2010 mit jeweils Platz 3 und vor allem mit dem WM-Titel 2014 bewiesen! Eine zweite Blamage wie 2018 wird es nicht geben, und er wird das in ihn gesetzte Vertrauen mit Erfolgen zurückzahlen!

Es gehört wohl zum Schicksal ergebnisorientierter Menschen, dass sie Euphorie eher verdächtig finden und stattdessen stabile Aufwärtsentwicklungen anstreben. Das schließt gelegentliche Enttäuschungen zwar nicht aus, verändert aber die Reaktion darauf. Die Antwort ist nämlich dann, die Notwendigkeit von Veränderungen zu akzeptieren.

Nicht selten ist damit verbunden, sich von Gewohnheiten zu verabschieden und im Kreis der maßgeblichen Akteure Verjüngungsprozesse auf den Weg zu bringen. Mut statt Wehmut. Wir greifen noch mal an.

Jogi Löw hat mit dieser Einstellung die kritische Phase nach dem WM-Aus überstanden. Aber auch er wird nicht ewig Bundestrainer bleiben. Wenn es so weit ist, will er eine erfolgreiche und spielstarke Mannschaft hinterlassen. Gut dran sind diejenigen, die den Zeitpunkt selbst bestimmen können, an dem sie sich aus der Verantwortung zurückziehen. Dafür wünsche ich unserem Bundes-Jogi ein gutes Händchen.

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