Kantig, aber uneitel: Der Alleskönner an der Spitze des Schweizer Konzerns bewertet Sachfragen höher als sein Ego. Das macht ihn zum Manager des Jahres.
Bild: Julius Brauckmann; Gene Glover/Agentur Focus
Was macht einen Topmanager besonders? Der Börsenwert, den er schafft? Ein Abschluss von der Harvard Business School? Die Loyalität und Bewunderung, die ihm seine Mitarbeiter entgegenbringen? Sein Geschick als Verhandlungsführer? Der Ehrgeiz, immer und überall vorne mitzuspielen? Oder was?
Ulf Mark Schneider, seit Januar 2017 der Chef des weltgrößten Nahrungsmittelherstellers Nestlé, kann bei all den genannten Punkten ein Kreuzchen machen. Das macht ihn zu einem guten Manager, aber nicht zu einem überragenden. Dass das Handelsblatt ihn zum Manager des Jahren 2018 kürt (übrigens zum zweiten Mal, 2012 trug er diese Krone schon einmal), hat andere, wichtigere Gründe.
Schneider ist kein Schwätzer. Schneider ist uneitel. Schneider hört zu. Schneider ist vor allem kein „one trick pony“, wie die Amerikaner jemanden nennen, der nur eine Sache besonders gut kann. Schneider ist wirklich ein General Manager im besten Sinne des Wortes und ein Mann, der nie aufhört zu lernen.
So war er von Anfang an auf der Überholspur und kann nun auch bei Nestlé ebenso überzeugen wie zuvor schon bei Fresenius, dem einzigen Konzern, der gleich mit zwei Unternehmen im Dax vertreten ist: mit dem Mutterkonzern selbst und der Tochtergesellschaft Fresenius Medical Care. 2003 stieg er zum Vorstandsvorsitzenden der Mutter auf, wo sich der Konzernumsatz bis zu seinem Ausscheiden Mitte 2016 vervierfachte, der Gewinn mehr als verzwölffachte.
Bei Nestlé – wo mit dem Deutsch-Amerikaner im Januar 2017 zum ersten Mal seit knapp hundert Jahren ein Außenseiter Firmenchef wurde – hat er ein Jahr lang geprüft, evaluiert, gelernt und diskutiert. Dann begann er, dem Konzern seinen Stempel aufzudrücken. Sein jüngster Coup ist ein Joint Venture mit der Kaffeehauskette Starbucks zur Vermarktung der Konsum- und Gastronomieprodukte, mit dem die Schweizer nun im Kaffeegeschäft wieder Boden gutmachen, den sie zuletzt abgeben mussten.
Über den Autoren Heiner Thorborg
Der Personalberater ist einer der Grandseigneurs der Branche. 2006 gründete er das Frauennetzwerk Generation CEO, in dem heute knapp 200 Führungsfrauen versammelt sind. Immer wieder konnte er prominente Besetzungen vermitteln, zuletzt Anfang 2018 den Wechsel der Credit-Suisse-Deutschlandchefin Helene von Roeder zum Dax-Konzern Vonovia.
Bild: Heiner Thorborg
Dennoch gibt es noch viel zu tun in Vevey. Der Konzern, der mit Marken wie Maggi, KitKat, Nescafé oder Nespresso 2017 einen Umsatz von knapp 90 Milliarden Franken machte, wächst nicht mehr so schnell wie früher. Konsumenten in aller Welt verspeisen zunehmend gerne frische Lebensmittel, Fertigware gerät aus der Mode. Zudem läuft das Geschäft mit der Skin Care nicht so schwungvoll, wie erhofft; 2017 wurde dort eine Abschreibung von 2,8 Milliarden Franken fällig.
Was nun? Raus aus den wenig rentablen Bereichen wie dem Süßwarengeschäft in den USA und rein ins Geschäft mit der Gesundheit. Da kennt Schneider sich schließlich aus wie kaum ein zweiter. Der Bereich Nestlé Health Science soll bis zu zehn Milliarden Franken Umsatz erzielen und damit das auch klappt, legt der 1,90 Meter große Chef selber Hand an: Das Gesundheitsbusiness und das der Skin Health leitet er persönlich.
An Herausforderungen fehlt es ihm also nicht, und die größte trägt wohl den Namen Daniel Loeb. Der hält mit seinem aktivistischen Hedgefonds zwar nur 1,3 Prozent der Nestlé-Aktien, agiert dafür aber umso öffentlichkeitswirksamer und fordert „Eile statt Weile“.
Loeb will, dass der Konzern Geschäftsbereiche wie Eiscreme, Tiefkühlkost und Süßigkeiten abstößt, die derzeit für rund 15 Prozent des Umsatzes stehen, aber in seiner Wahrnehmung nicht zu den von Schneider definierten Wachstumsfeldern zählen. Mit der gleichen Begründung soll auch der milliardenschwere 23-Prozent-Anteil an L’Oréal versilbert werden.
Schneider hält dagegen – und liefert Wachstum. Zuletzt übertrafen die Zahlen mit 2,8 Prozent die Erwartungen der Märkte und auch ein Plus von 19 Prozent auf 5,8 Milliarden Franken beim Reingewinn kam gut an. Ein Zugeständnis konnten die Investoren Schneider jedoch abringen: Erstmals versprach der Konzern ein Gewinnmargenziel. Bis 2020 soll die bereinigte operative Rendite von 16 Prozent in 2016 auf mindesten 17,5 steigen. Beim organischen Wachstum peilt der Konzern ein Wachstum von drei Prozent an. Daran wird sich Schneider nun messen lassen müssen.
Der deutsch-amerikanische Manager Ulf Mark Schneider soll den Konzernriesen auf Touren bringen. In der Bilanz zeigen sich erste Erfolge.
Über sein Privatleben schweigt Schneider. Aber ein paar Fakten und Anekdoten, die helfen, den Mann verstehen zu lernen, gibt es doch. Als Junge bekommt er die Chance, die zehnte Klasse seines Gymnasiums in Rheinland-Pfalz zu überspringen. Als er zögert, sagt ihm sein Vater: „Warum willst du zwölf Monate länger in der Schule sein, wenn du die Zeit sparen und irgendwo in der Welt etwas machen kannst, das dich wirklich interessiert?“ Es wird ein Lebensmotto: Lieber aktiv werden als herumsitzen, gestalten und sich ausleben.
Es folgt das Studium der Wirtschaftswissenschaften im schweizerischen St. Gallen. Mit 22 Jahren ist er damit fertig, als einer der Jahrgangsbesten. Das nächste Ziel hat er da schon fest im Visier: Harvard. Die elitäre Business School akzeptiert ihn auch – fordert aber, dass er wie alle anderen Kandidaten auch erst einmal zwei Jahre Berufserfahrung erwerben muss. Schneider schreibt einen verärgerten Brief nach Boston und wird kühl abgebürstet. Auch Überflieger müssen sich in Geduld üben.
Wenn Schneider ausnahmsweise einmal über sich redet, kommt noch eine zweite Niederlage ans Licht: Wie er sich bei McKinsey in New York bewarb und alle überzeugte, sich aber schließlich vom damaligen Senior Director Marshall Lux provozieren ließ. Das Gespräch entgleiste und Schneider konnte den Job vergessen.
Als Schneider Lux ein paar Jahre später wiedersieht, sagt ihm der: „Du warst ein kluger Junge – aber einfach kein Berater.“ Daraus hat Schneider eine Botschaft gemacht, die er auf Anfrage auch gerne an jüngere Talente weitergibt: Es kann nicht darum gehen, sich für einen Traumarbeitgeber passend zu machen, sondern es muss darum gehen, einen Platz zu finden, der für einen richtig ist.
Der erste Job, der für Schneider passte, war beim Duisburger Familienkonzern Haniel. Da fängt er als Assistent von Hans Dieter Neumann an, dem Chef der Baustoffsparte, der nach der Wende damals gerade jede Menge kleine Unternehmen aufkauft. Schneider sitzt immer mit am Tisch und spitzt die Ohren – das Thema Mergers & Acquisitions hat er so von der Pike auf gelernt.
Zurück aus den USA mit dem Harvard-Examen in der Tasche, sucht sich Schneider wieder ein Unternehmen, dass ihm viel Spielraum lässt: Fresenius. Der Rest ist Geschichte: 2001 wird Schneider Finanzvorstand, ein Jahr später fragt ihn sein Chef Gerd Krick, ob er sein Nachfolger werden wolle.
Als CEO bekommt Schneider bei Fresenius seine PS auf die Straße: 2005 stemmt er die Übernahme der privaten Krankenhauskette Helios Kliniken, 2006 folgt die Übernahme des US-amerikanischen Dialyseanbieters Renal Care Group, 2008 die des US-amerikanischen Pharmaunternehmens APP Pharmaceuticals, 2011 die von Liberty Dialysis, eines weiteren großen US-Dialyseanbieters.
Das Meisterstück des Berufsverhandlers wird jedoch die Übernahme der Rhön-Kliniken, die Helios zum größten privaten Krankenhausbetreiber in Deutschland machen. 2013 gelingt es Schneider, anstatt der kompletten Firma einfach einen Großteil der Krankenhäuser zu übernehmen. Mit diesem Schachzug überraschte er seine Gegner.
Vor diesem Hintergrund wird es spannend werden zu sehen, wie sich der Stratege Nestlés Zukunft vorstellt. Hat er neue Deals im Auge? Nestlés freier Cashflow lag 2017 bei 8,5 Milliarden Franken, das Kreditrating lautet „AA“. Akquisitionen wären also kein Problem.
Sein Team bei Fresenius ging mit ihm durch dick und dünn, in seinem Umfeld sind Kündigungen selten. Wenn Medien seine Kollegen zitieren, lautet der Tenor: „Schneider ist fair.“ Doch Fairness ist es nicht allein. Schneider kann mit Menschen umgehen und nutzt sein bekanntermaßen ausgezeichnetes Gedächtnis, sich Namen und private Details der Leute zu merken, denen er begegnet.
Nicht nur die der Bosse übrigens, sondern auch die von Betriebsräten oder Empfangsdamen. Zudem ist er in seinem Büro durchaus mal in Hemdsärmeln anzutreffen und vermeidet auch sonst die Statussymbole, auf die viele Topmanager so viel Wert legen. Bei Fresenius war er bekannt dafür, wie alle anderen auch in der Kantine zu essen, auf innerdeutschen Geschäftsreisen Economy zu fliegen und vor Ort einfach ein Taxi zu nehmen.
Womit wir wieder bei der Ausgangsfrage wären: Was macht einen Manager zum Ausnahmetalent? Das Fachwissen und die Fähigkeit, eine kohärente Strategie zu entwickeln und umzusetzen? Sicherlich. Das auch. Aber vor allem eine uneitle Persönlichkeit, die Sachfragen und Menschen in den Mittelpunkt stellt und nicht das eigene Ego.
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