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13.12.2018

20:26

Skandal des Jahres

Fahrverbot statt Fahrspaß – „Dieselgate“ und die weitreichenden Folgen

Von: Sönke Iwersen

Die Diesel-Affäre hat aus der Bewunderung für Autokonzerne Scham werden lassen. Die Konsequenzen spüren nun alle Bürger. Der Skandal des Jahres.

Julius Brauckmann; AS Syndication ullstein bild – Thielker, ullstein bild, Moritz Küstner / Agentur Focus [M]

Es ist die Unverschämtheit der Handelnden, die so betroffen macht. 2018 war wahrlich nicht das erste Jahr, in dem die deutschen Dieselmotoren und ihre Unzulänglichkeiten die Schlagzeilen bestimmten. Doch in den vergangenen zwölf Monaten verdichteten sich die Details. Das Bild, das wir nun sehen, lässt uns erschaudern, dann erzürnen.

Es begann mit Tierversuchen. „Zehn Affen und ein Käfer“ lautete die Überschrift eines Artikels, den die „New York Times“ am 25. Januar veröffentlichte. Absatz für Absatz entblößte die Zeitung die Schamlosigkeit der deutschen Autogarde.

Gemeinsam hatten BMW, Daimler und Volkswagen eine Gesellschaft gegründet, um „Forschung für Umwelt und Gesundheit im Transportsektor“ zu leisten, so versprach es jedenfalls der Name des Instituts. Tatsächlich wurden dann aber Versuche inszeniert, die mit Wissenschaft nichts zu tun hatten.

Zehn Affen mussten stundenlang Dieselabgase eines VW-Beetle einatmen. Zur Beruhigung wurden ihnen Zeichentrickfilme vorgeführt. Zweck der Tests war nicht die Forschung. Die Versuche, in Auftrag gegeben bei einem Institut in den USA, dienten dem Marketing. Die deutschen Motoren stießen ganz andere Stickstoffmengen aus, als die Hersteller den Wissenschaftlern versprachen. Die Amerikaner weigerten sich, die nutzlosen Forschungsergebnisse zu veröffentlichen. Dann gab es Streit um die Rechnung.

Die Reaktion auf diese Details war blankes Entsetzen. Die Tierversuche seien „unethisch, abstoßend und zutiefst beschämend“, sagte Matthias Müller, zu Jahresbeginn noch Vorstandschef bei Volkswagen. Der Hersteller des Versuchsautos hatte die Federführung bei dem Scheininstitut – Cheflobbyist Thomas Steg musste wenige Tage nach Bekanntwerden der Versuche gehen.

Sönke Iwersen leitet das Ressort Investigative Recherche beim Handelsblatt, Skandale sind sein tägliches Brot. Als er 2011 berichtete, mit welchen Methoden die Hamburg-Mannheimer Versicherung besonders erfolgreiche Versicherungsvertreter belohnte, bebte die ganze Branche. In der Folgezeit recherchierte Iwersen über den Aufstieg und Niedergang von Anton Schlecker, Steuerhinterzieher in aller Welt und das Versagen der deutschen Autowirtschaft. Seine Arbeit ist vielfach ausgezeichnet.

Der Autor

Sönke Iwersen leitet das Ressort Investigative Recherche beim Handelsblatt, Skandale sind sein tägliches Brot. Als er 2011 berichtete, mit welchen Methoden die Hamburg-Mannheimer Versicherung besonders erfolgreiche Versicherungsvertreter belohnte, bebte die ganze Branche. In der Folgezeit recherchierte Iwersen über den Aufstieg und Niedergang von Anton Schlecker, Steuerhinterzieher in aller Welt und das Versagen der deutschen Autowirtschaft. Seine Arbeit ist vielfach ausgezeichnet.

Stephan Weil, Ministerpräsident in Niedersachsen und Aufsichtsrat bei Volkswagen, sagte: „Die Meldungen über Tierversuche im Zusammenhang mit Dieselabgasen haben mit Recht eine Welle der Empörung ausgelöst. Vor diesem Hintergrund halte ich die Beurlaubung von Herrn Steg für folgerichtig und unausweichlich.“

Sie war aber auch nur kurz. Ende Januar musste Steg gehen, Anfang Juni kam er wieder zurück. Die Konzernrevision habe eine Sonderprüfung vorgenommen und sei zu dem Ergebnis gelangt, dass „Thomas Steg keine persönlichen rechtlichen Verfehlungen vorzuwerfen sind“, sagte Rechtsvorständin Hiltrud Werner. Das merkwürdige Forschungsinstitut hatte sich eh bereits aufgelöst, also lautete die VW-Devise im Sommer: Schwamm drüber.

Matthias Müller, der sich im Januar noch öffentlich geschämt hatte, war zu dem Zeitpunkt schon nicht mehr da. „Die Volkswagen Aktiengesellschaft erwägt eine Weiterentwicklung der Führungsstruktur“, meldete der Konzern am 10. April. Müller, Ende September 2015 als Vorstandschef angetreten, erfüllte seinen Vertrag nur halb. Er habe „grundsätzliche Bereitschaft signalisiert, an den Veränderungen mitzuwirken“, formulierte Volkswagen.

Geld heilt alle Wunden

Wie die beiden Seiten sich einigten, wurde nicht im Detail ausgeführt. Üblich wäre, dass Müller bis zum Ende seines Vertrags 2020 vergütet würde. Sein plötzliches Ende an der Spitze von Volkswagen dürften auch seine Rentenansprüche von geschätzten 2 900 Euro pro Tag bis zum Lebensende nicht schmälern.

Geld, so lehrt uns der Dieselskandal, heilt alle Wunden. Vorstände, die nach eigener Auskunft keine Ahnung von millionenfachen Manipulationen in ihrem Unternehmen hatten, wurden mit zweistelligen Millionenbeträgen verabschiedet.

Führende Ingenieure, die der Staatsanwaltschaft schon haarklein geschildert hatten, wie der Betrug ablief, sagten plötzlich ihre Gerichtstermine mit Volkswagen ab. Und selbst Kunden, mit denen sich Volkswagen lange vor Gericht gestritten hatte, erhielten vor einer Entscheidung bei einem Oberlandesgericht üppige Entschädigungen.

Nur die Justiz ließ sich nicht kaufen. Gegenüber der Staatsgewalt probierte der Volkswagen-Konzern, an dem zumindest der niedersächsische Staat selbst beteiligt ist, offenbar eine andere Taktik: Blockade.

„Der eingeschlagene Weg der Aufklärung und Transparenz muss weitergehen“, sagte Martin Winterkorn am 23. September 2015. Dann trat er zurück. In der Folgezeit wurden Vorstände und Aufsichtsräte bei Volkswagen nicht müde, ihren Willen zur Transparenz und „vollumfänglichen Zusammenarbeit mit den Behörden“ zu wiederholen.

Winterkorn selbst freilich verweigerte gegenüber der Staatsanwaltschaft jede Auskunft. Und als die Behörden den Einzelheiten des Betrugs zu nahe kamen, wurden seine Nachfolger giftig.

„Wir halten das Vorgehen der Staatsanwaltschaft München in jeder Hinsicht für inakzeptabel“, sagte VW-Sprecher Eric Felber, als die Beamten fanden, was VW selbst über die Krise herausgefunden hatte. Bei einer Razzia im März 2017 fielen der Staatsanwaltschaft Unterlagen der Kanzlei Jones Day in die Hände.

Bitte keine Transparenz

Das mochte Volkswagen nicht. Im Konzernauftrag hatte die US-Kanzlei 700 Interviews mit VW-Mitarbeitern geführt, 550 Terabyte an Daten gesichtet. 500 Juristen, Techniker und andere Spezialisten waren an der internen Untersuchung beteiligt. Das Ergebnis sollte veröffentlicht, zumindest der Staatsanwaltschaft übergeben werden. Genau dies geschah nie. Und als die Beamten den Bericht trotzdem holten, zweifelte Volkswagen am Rechtsstaat.

„Wir werden mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln hiergegen vorgehen“, drohte Volkswagen – diesmal machte der Konzern seine Ankündigung wahr. Er zog vor Gericht, verlor – und ging in die nächste Instanz. Mehr als ein Jahr lang musste die Staatsanwaltschaft die 185 sichergestellten Ordner in einem versiegelten Raum lagern. Es brauchte das Bundesverfassungsgericht, um im Juli 2018 zu entscheiden: Die Staatsanwaltschaft darf lesen, was Volkswagen selbst über seine Affäre weiß.

Parallel stellte der Konzern in diesem Jahr einen Befangenheitsantrag gegen einen Richter, der ein Schadensersatzverfahren gegen Volkswagen in Stuttgart führt. „Unbelehrbar und rechthaberisch“ sei der Mann, behaupteten die VW-Juristen. Als sie unterlagen, stellten sie einen neuen Antrag.

All das wäre Stoff für eine reizvolle Komödie, wären wir darin nicht alle selbst Statisten. Die Grenzwerte, die Volkswagen fast eine Dekade lang nicht erfüllen konnte, wurden zu unserem Schutz festgelegt. Das Unternehmen hielt sie nicht ein, nun ist die Luft so schlecht, dass die Autos stehen müssen.

Die Deutsche Umwelthilfe klagt in einer Stadt nach der anderen auf Einhaltung der Umweltgrenzwerte. Und ein Richter nach dem anderen kann nur notieren: Die Luft ist zu schmutzig, die Diesel müssen von der Straße.

So kommt es zum Schrecklichsten aller Schrecken für den deutschen Autofahrer: Fahrverbot statt Fahrspaß. In Essen steht gleich die Sperrung eines ganzen Autobahnabschnitts für Dieselmotoren an. Volkswagens Führung wiederholt unterdessen immerzu, es gebe gar keinen Schaden für die Kunden.

Die Tatsachen werden damit für alle sichtbar. Es gibt im Dieselskandal unbelehrbare Köpfe. Aber sie gehören nicht den Richtern.

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