Von der Ministerpräsidentin zur Parteichefin: AKKs Karriere verläuft steil – doch sie bringt familiäre Wärme in die Union. Die Umsteigerin des Jahres.
Bild: Julius Brauckmann; Henning Schacht [M]
Die alten Zugänge zum Mathildenschacht, der Sportplatz, die „Edelweißhütte“: ein Ort, der typisch ist fürs Saarland. In der Vergangenheit war es leicht möglich, hier am Waldrand von Püttlingen die Schlagzeilen-Heldin dieser Tage beim Wochenendgrillen zu erleben. Der „Schwenker“ gehört zu Deutschlands kleinstem Bundesland wie die katholische Soziallehre, die Bergbau-Nostalgie und die frankophile Lebenslust.
Annegret Kramp-Karrenbauer, 56, wohnhaft ganz in der Nähe des „Edelweiß“-Grillparadieses, genießt solche Alltagssituationen. Bloß nicht in einer Blase leben. Bloß nicht irgendeinen Habitus antrainieren, um Eindruck zu schinden.
Es sind die Kategorien „Normalität“, „Menschennähe“ und „Heimat“, aus denen die CDU-Politikerin Kraft schöpft für ihre außergewöhnliche Karriere. Die ihr die Saarländer und Angela Merkel im Übrigen zugetraut haben, nicht aber die Grand Old Men ihrer Grand Old Party und erst recht nicht der in Leader-Lyrik verliebte Teil der Hauptstadtpresse. An solchen Gegnern kann man nur wachsen.
Nun ist die Frau, die als „AKK“ über Deutschland kommt, weit oben angelangt nach einem überaus turbulenten Jahr. Sie ist gleich zweimal die Umsteigerin des Jahres, was ihr prompt doppelten Respekt eingebracht hat: Im Februar den ihrer CDU, als sie die Sicherheit einer Staatskanzlei tauschte gegen die Fron des Generalsekretariats.
Und am zweiten Adventswochenende den des Landes, als sie sich auf dem Parteitag gegen den gewesenen Superstar Friedrich Merz und gegen den kommenden Superstar Jens Spahn durchsetzte. Sie rührte mit ihrer Rede die Seele einer emotional ausgelaugten Partei.
Der Autor
Hans-Jürgen Jakobs ist Senior Editor des Handelsblatts und informiert die Leser im Morning Briefing über die wichtigsten Wirtschaftsereignisse. Von Februar 2013 bis Ende 2015 war Jakobs Handelsblatt-Chefredakteur. Der Diplom-Volkswirt leitete zuvor das Wirtschaftsressort der „Münchner Abendzeitung“, war Redakteur beim „Spiegel“, später Ressortleiter Wirtschaft der „Süddeutschen Zeitung“.
Wer immer noch rätselt, wie das passieren konnte, hat die Biografie der bodenständigen Annegret Kramp-Karrenbauer nicht verstanden. Den Werdegang der Tochter eines Sonderschulrektors und einer Hausfrau, die in jungen Jahren zuerst in Püttlingen im Stadtrat gegen alle Erwartungen Politik machte.
Die dann in den 1990er-Jahren an der Seite des einstigen Sturm-und-Drang-Politikers Peter Müller die national-stockkonservative CDU aufmischte und die SPD schrumpfte, was ihr mit dem Innenministerium belohnt wurde, wo sie sich in einem reinen Männerklub bewährte.
Und die schließlich Anfang 2012 als Ministerpräsidentin ein paar Monate nach Übernahme der Amtsgeschäfte die „Jamaika“-Koalition an der Saar rabiat finalisierte. „Die schwersten Geburten bringen die schönsten Kinder“, lautet einer ihrer Sprüche.
An Mut hat es der Politikwissenschaftlerin ebenso wenig gefehlt wie an Beharrlichkeit und Timing. Es ist so wie beim Tennisspieler Boris Becker, der in seinen besten Jahren wusste, dass man auf dem Platz nicht alle Spiele, auf jeden Fall aber alle wichtigen Spiele gewinnen muss. „S’Annegret“, wie das im Saarländischen heißt, ist die Frau für Big Points. Sie bringt sich dabei selbst mit der auffälligen Unauffälligkeit des Fleißigen in jene Lage, die alles andere als die Wahl ihrer Person unnatürlich erscheinen lässt.
Im entscheidenden Moment wusste sie immer: „Los, jetzt springst du!“ Zum Beispiel als Angela Merkel nach der vergeigten Hessenwahl den Rückzug von der CDU-Spitze ankündigte.
Für eine Volkspartei bietet Kramp-Karrenbauer vor allem die Qualität, mit allen Unionisten gesprächsfähig zu sein, wobei ihr Gravitationspunkt bei der eher linken christlichen Arbeitnehmerschaft sowie bei den Frauen liegt. Gesellschaftspolitisch aber, etwa in der Abtreibungsfrage, ist sie nah an jener rechten Wand, die zur Grundarchitektur der „Werte-Union“ gehört.
Zum kunstfertigen politischen Charakter gehört die Fähigkeit, jeden mit gönnerhaftem Spott geführten Angriff in einen „Big Point“ zu verwandeln. Wenn „AKK“ geballt als „Mini-Merkel“ und ihr Saarland als hochverschuldetes, provinzielles „Mini-Gebiet“ vorgeführt wird, dann gerät die neue CDU-Chefin richtig in Form.
Der Wirtschaftsflügel und die Konservativen fordern von Annegret Kramp-Karrenbauer schnelle Fortschritte. Auch mit der SPD drohen große Konflikte.
Wenn sie klein gemacht werden soll, wird sie groß. „Mini“ sei an ihr nichts, sagt sie dann, sie hat ja maximalen Wandel geschafft. Und, überhaupt, ihr Bundesland sei die tollste Region, stark im Strukturwandel, weg von Kohle hin zu Künstlicher Intelligenz, und den Haushalt gleiche man auch noch aus. Der Saar-Patriotismus ist die Mutter ihrer Schlachten.
Kein Wunder, dass AKK beim Abenteuer Deutschland auf drei Saarländer vertraut, wie aus der Mitte ihrer Partei zu erfahren ist. Da ist Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier, 60, da ist Monika Bachmann, 68, Multi-Landesministerin für Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie, sowie schließlich der in Berlin extrem gut vernetzte Professor Josef Hecken, 59, Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses im Gesundheitswesen und Vizechef des CDU-Kreisverbands Saarbrücken.
Die Saarland-Connection soll das „Kurt-Beck-Risiko“ minimieren. Damit sind jene Gefahren gemeint, die jemand zu bewältigen hat, der irgendwo in der Republik bei Land und Leut’ erfolgreich war und dann in die Berliner Intrigenkultur gerät.
Beck, rheinland-pfälzischer Ministerpräsident und 2008 derb abgewickelter SPD-Chef, sah in der Hauptstadt seine Ehre verloren und rüffelte einen Journalismus, der nicht weiß, „was wahr ist und was man wahr haben möchte“. Medienkompetenz heißt hier, das Spiel um Spin und Story so mitzumachen, dass man wahr bleibt.
Das ist die eigentliche Herausforderung der Annegret Kramp-Karrenbauer, nicht die pure Politik. Das Generalsekretariat hat sie zehn Monate lang mit der Ernsthaftigkeit der ehrlichen Arbeiterin im Weinberg der Herrin geführt und dabei auch Kritik an Kanzlerin Angela Merkel erkennen lassen, was der CDU reihum imponierte.
„Sie hörte tatsächlich zu“, rühmt ein ranghoher Christdemokrat. Sie führe „ familiär wie einst Helmut Kohl“ und sei „unprätentiös wie Angela Merkel“, ohne jedoch ein Typ wie Kohl oder Merkel zu sein. Sie, die Basisnahe, muss nun nur noch die internen Debatten weiter ermöglichen und die Lager doch zusammenzuführen, „ein Angebot machen“, wie sie sagt.
Doch da ist eben diese tiefe Kluft zwischen der vertrauten, ruhigen Heimat und dem Sprudel- und Strudelbecken Berlin, zwischen dem 18.600-Einwohner-Ort und der 3,6-Millionen-Metropole, der permanente Wechsel zwischen zwei grundverschiedenen Ökosystemen. Am Wochenende Saar mit Ehemann Helmut, einem Ex-Bergbauingenieur, sowie Terrier „Stiffler“, unter der Woche dann Spree im Apartment in Charlottenburg und mit einer Partei, die 40 Prozent statt 26 Prozent im Bund holen will.
Einmal schon ging das Zwei-Welten-Leben schief, als Kramp-Karrenbauer im Januar nach einem Neujahrsempfang in Saarbrücken noch eben nach Berlin zu den „GroKo“-Sondierungen wollte und der chauffierende Personenschützer am frühen Morgen in einer Baustelle bei Potsdam auf einen Lkw fuhr. AKK kam mit Verdacht auf Schleudertrauma ins Krankenhaus.
Nun aber wird Annegret Kramp-Karrenbauer an Weihnachten zu Hause „Am Heidknüppel“ mit ihrer Familie das große Umsteigerjahr bilanzieren. Man wird vielleicht schmunzeln, dass sogar zwei Reporter der „Washington Post“ in ihrer Heimat die AKK-Story recherchiert haben.
„Und plötzlich schaut die Welt nach Püttlingen“, titelte die „Saarbrücker Zeitung“. Bei einer solchen schwindelerregenden Karriere darf man den Glauben nicht verlieren. Die Kanzlerschaft kann kommen, vielleicht 2021, sehr vielleicht auch früher. Wer so viele Ämter erstritten hat, kann auch das.
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