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16.08.2017

19:17

Tiroler Unternehmerfamilie Seeber

An der langen Leine

Von: Joachim Hofer

Der Tiroler Bauunternehmer Michael Seeber machte aus dem provinziellen Seilbahnbauer Leitner einen Global Player. Vor einem Jahr übergab er sein Lebenswerk an seinen Sohn Anton. Und redet ihm erstaunlich wenig rein.

Dem Unternehmensnachfolger wird weitgehend freie Hand gewährt. Leitner AG

Michael Seeber (links) und Sohn Anton

Dem Unternehmensnachfolger wird weitgehend freie Hand gewährt.

Sterzing Im August rekelt sich ganz Italien am Strand. Nur in der Kantine von Leitner, da reicht die Schlange bis raus auf den Parkplatz. In den Sommermonaten wird jede Hand gebaucht bei dem Südtiroler Seilbahnbauer. Schließlich wollen die Skigebiete ihre neuen Anlagen pünktlich zu Winterbeginn in Betrieb nehmen. Michael Seeber und sein Sohn Anton stellen sich an diesem heißen Mittag wie selbstverständlich ganz hinten an in der Reihe der hungrigen Arbeiter. An den Beschäftigten vorbeizudrängen, das käme den Fabrikanten nie in den Sinn.

Es kommt nicht mehr so häufig vor, dass Vater und Sohn gemeinsam in der Kantine essen. Vor gut einem Jahr hat Michael Seeber, 69, die Führung des Mittelständlers aus Sterzing an Sohn Anton, 44, übergeben. Und was kaum einer der 3 240 Mitarbeiter für möglich gehalten hat: Der Patriarch lässt seinem Filius weitgehend freie Hand. „Es ist kaum zu glauben, dass Seeber wirklich loslässt“, sagt ein Vertrauter, der mehr als ein Jahrzehnt eng mit ihm zusammengearbeitet hat.

So manches Familienunternehmen ist schon zerbrochen, weil der Generationenwechsel nicht geklappt hat. Bei den Seebers dagegen läuft bisher alles nach Plan. Der neue Chef setzt mutig eigene Akzente. So wie dieser Tage in seiner Windkraftsparte, bislang eher ein Randbereich. Nun aber kooperiert der Unternehmer mit B-Ventus, einem vom rheinischen Stromriesen Eon geförderten Start-up. Ziel ist es, gemeinsam kleinere und effizientere Windmühlen zu entwickeln, die Firmen auf ihrem Gelände aufstellen können. Es könnte ein großes Geschäft werden für Leitner.

Windräder und Skilifte, die Kombination ist nicht so ungewöhnlich, wie es auf den ersten Blick scheint. In beiden Fällen braucht es moderne Elektromotoren und zuverlässige Elektrotechnik, eine Kernkompetenz von Leitner. Heute ist Leitner Ropeways einer der weltweit führenden Hersteller von Seilbahnen, Sesselliften, Beschneiungsanlagen und Pistenraupen. Ihr Geschäft geht aber weit über Skigebiete hinaus: für die derzeit laufende Internationale Gartenausstellung in Berlin baute die Firma die erste Seilbahn in der deutschen Hauptstadt, im kolumbianischen Medellin betreiben die Südtiroler sieben Strecken über den Dächern der Großstadt. Daneben bieten die Seebers seilbetriebene Stadtbahnen an, eine dieser Mini-Metros verbindet im italienischen Pisa Bahnhof und Flughafen, in Kairo bauen sie zurzeit eine weitere. Und eben die Windmühlen.

Freie Hand dank Karikaturen

1992 übernahm Seeber senior eine defizitäre Firma von zwei Brüdern aus der Gründerfamilie. In den 24 Jahren danach steigerte er den Umsatz durch Übernahmen und konsequente Globalisierung um das Dreißigfache auf 773 Millionen Euro. Heute ist die 1888 gegründete Firma der größte Arbeitgeber Südtirols. Wie bringt man so einen zum Loslassen?

Langjährige Beobachter meinen, dass es vor allem zwei Gründe gibt, warum der Sohn den großen Schatten des Vaters so schnell verlassen hat: Einerseits hatte Anton genügend Zeit, um sich gründlich auf seine Aufgabe vorzubereiten. Andererseits sammelt Vater Michael für sein Leben gern Karikaturen. Er organisiert in seinem Ruhestand Ausstellungen und trifft weltweit Kunstliebhaber. Das Hobby hält ihn davon ab, jeden Morgen ins Büro zu eilen.

Anton, ein Absolvent der Mailänder Eliteuniversität Bocconi, ist erst 2006 in die väterliche Firma eingestiegen, und das auch eher widerwillig. Bis dahin lebte der Betriebswirt in den USA, arbeitete für einen Finanzinvestor in Philadelphia. In Amerika hatte er auch seine Frau kennen gelernt, eine ausgezeichnete Medizinerin. Dreimal musste Vater Michael über den Atlantik jetten, um den Sohn zurück ins heimische Wipptal zu locken – und natürlich auch die des Deutschen und Italienischen völlig unkundige Schwiegertochter.

In der Zentrale in Sterzing, ein paar Hundert Meter entfernt von der Blechlawine auf der Brennerautobahn, machte sich der weltgewandte Jungunternehmer daran, das kleine Geschäft mit Windkraftanlagen und Seilbahnen für Metropolen auszubauen. „Ich wollte die Kultur im Unternehmen ändern“, erinnert sich Seeber. Er förderte die Entwicklung von getriebelosen Antrieben, die wesentlich effizienter und robuster sind als die herkömmlichen Motoren.

Vor allem aber setzte er durch, dass Leitner Anlagen weltweit selbst betreibt – eine Revolution für das Unternehmen, das bis Mitte der neunziger Jahre praktisch ausschließlich vom Verkauf an die lokalen Bergbahnbetreiber lebte. So stellte er Serviceteams in den entlegensten Winkeln der Erde ein, schuf Systeme für die Fernwartung und beförderte Leitner damit ins 21. Jahrhundert. Innovation und Globalisierung waren für die Beschäftigten fortan keine Fremdworte mehr. „Zehn Jahre lang musste ich mir selbst beweisen, dass ich die Firma führen kann“, rekapituliert Anton Seeber. 2016 war er sich schließlich sicher, dass er das Zeug dazu hat.

„Man muss ja was tun als Pensionär“

Seeber senior ist das nur recht. Er ist ein hochgewachsener Mann mit Schwielen an den Händen. Er war früher Bauunternehmer, da hat er gelernt, zuzupacken. Seit seinem Jura-Studium in Wien hat Seeber jedoch auch ein Faible für die Kunst, insbesondere für Karikaturen. Sämtliche Ausgaben der Satirezeitschrift „Simplicissimus“ stehen in seinem Regal. Gerade hat er die Ausstellung „Finger Zeiger“ im Stadtmuseum in Bruneck eröffnet, Seeber präsentiert 111 Karikaturen aus seinem Besitz. Nächstes Jahr will er andere Werke aus seinem großen Fundus im Gulbransson-Museum am Tegernsee zeigen. „Man muss ja was tun als Pensionär“, sagt er.

An seinem Schreibtisch sitzt er jetzt häufig erst um zehn Uhr morgens, und statt gehetzt in seine Limousine zu steigen, benutzt Seeber inzwischen öfter einmal das Rad. In der Firma kümmert er sich vor allem noch um die Neubauten, und das ist dem Sohn in der Tat eine große Hilfe. Denn irgendwo erweitert Leitner immer.

In diesen Tagen geht es darum, das Stammwerk am Rand von Sterzing zu vergrößern. In dem Neubau sollen Vater und Sohn, Vergangenheit und Zukunft, erstaunlich harmonisch zusammenkommen. In Schulungsräumen sollen die Kunden erfahren, wie sie die hochkomplexen Bahnen zu bedienen haben – eine Initiative von Anton. Dem Vater wiederum liegt viel daran, in dem Komplex seine Bilder zu präsentieren. „Wir werden Technik und Kunst verbinden“, verspricht Anton Seeber. Normalerweise trifft inzwischen er die Entscheidungen. Der Vater wacht lediglich im Aufsichtsrat. Doch wenn es um die Ausstellungsstücke geht, hat der Senior das letzte Wort. Dem Geschäft dürfte das nicht schaden.

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