Der Chef des Telekommunikations-Händlers bleibt im Zuge der Fusion mit Westcoast im Amt. Im Gespräch spricht er über die Gründe des Deals und was Komsa dem deutschen Mittelstand bieten kann.
Pierre-Pascal Urbon
Der Chef des Telekommunikations-Großhändlers Komsa wird künftig auch in Personalunion das Unternehmen Westcoast leiten.
Bild: Komsa
Düsseldorf Der Telekommunikations-Großhändler Komsa fusioniert mit dem britischen IT-Großhändler Westcoast. Bis 2025 soll dann die komplette Übernahme durch Westcoast erfolgen, wie das Unternehmen aus Sachsen vergangenen Freitag mitgeteilt hat. Die Komsa-Gründer Gunnar Grosse und Jürgen Unger geben sukzessive ihre Aktien an die Briten ab.
Komsa-CEO Pierre-Pascal Urbon hingegen wird in der neuen Konstellation Chef bleiben: Anfang kommenden Jahres soll ein gemeinsames Unternehmen mit 5,5 Milliarden Euro Umsatz entstehen, an dem Komsa 51 Prozent und Westcoast 49 Prozent halten sollen – wenn die Behörden zustimmen.
Der 52-Jährige, der 2020 zu Komsa ins sächsische Hartmannsdorf kam, erklärt im Handelsblatt-Gespräch, warum er auf die Unterstützung von Investmentbanken verzichtete, wie wichtig das künftige Geschäft mit den Systemhäusern wird und warum es auch für Firmenkunden kein Sicherheitsrisiko ist, Geräte reparieren zu lassen.
Herr Urbon, das umsatzstärkste ostdeutsche Unternehmen geht nun bis 2025 in britische Hände über. Gibt es da einen Schmerz bei den Eigentümern?
Natürlich ist das ein emotionaler Schritt, aber im positiven Sinne. Die Eigentümer haben vor allem darauf geschaut, was am besten für Komsa ist und dementsprechend entschieden. Kerstin Grosse wird weiterhin Aufsichtsratsvorsitzende bleiben und ich werde zusätzlich Executive Chairman von Westcoast.
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Und wie groß ist der Schmerz in der Belegschaft?
Es ist eher das Gegenteil, die Internationalisierung wurde von vielen Mitarbeitenden als überfällig erkannt. Viele haben uns gespiegelt, dass sie in einem internationalen Kontext arbeiten und auch mal im Ausland Erfahrungen sammeln wollen. Das können wir ihnen nun bieten.
Sind Sie denn 2020 als CEO zu Komsa gekommen, um das Unternehmen zu verkaufen?
Nein, ein solcher Auftrag hätte mich nicht gereizt. Ich bin mit der Idee gekommen, Komsa zu internationalisieren und das Dienstleistungsgeschäft aufzubauen.
Aber schnell wurde klar, dass die Zeit dafür zu knapp ist?
Es sind zwei Trends, die uns bei der Frage der Internationalisierung haben umdenken lassen.
Welche?
Erstens wollen einige unserer Technologiepartner, also Hersteller von Smartphones, Tablets und professionellen Kommunikationslösungen, dass wir für sie über Deutschland hinaus in den wichtigsten europäischen Märkten die Distribution übernehmen.
Ist das auch ein Faktor bei der Erweiterung des Lieferantenkreises?
Andere Technologieanbieter arbeiten nur mit europäisch aufgestellten Vertriebspartnern zusammen. Unser zugänglicher Markt wurde dadurch eingegrenzt, weil wir bislang gar keinen Fuß in der Tür dieser Technologiepartner hatten. Zweitens hat sich die Industrielogik durch die Pandemie komplett verändert. Die Konvergenz von Telekommunikation und IT wurde dadurch beschleunigt.
Das heißt?
Wir kennen unseren Markt mit Telekommunikationsgroßhandel und zunehmend auch -Service sehr genau. Durch die enorme Ausbreitung von mobilem Arbeiten, brauchen immer mehr Unternehmen Lösungen für IT und Telekommunikation aus einer Hand.
Die Firmenlaptops müssen also mit den Mobiltelefonen vernetzt werden?
Die technischen Anforderungen gehen weit über die Verbindung des Smartphones mit dem Laptop hinaus. Die komplette Infrastruktur muss so aufgestellt werden, dass Mitarbeitende an jedem beliebigen Ort so arbeiten können, als wären sie im Büro. Das aufzusetzen erfordert hohe Fachkompetenz sowohl im Bereich IT als auch Telekommunikation.
Also suchten Sie bereits Ende 2020 nicht nur einen internationalen Partner, sondern auch einen, der IT-Großhandel und -Dienstleistungen bietet?
Ende 2020 wurde klar, dass wir mit einem internationalen Partner schneller vorankommen. Das Ob war damals entschieden, das Wann aber noch nicht. In den folgenden Monaten wurde immer klarer, dass wir unsere Kompetenz, die Telekommunikation, um die IT erweitern müssen.
Aber mit der Entscheidung war klar, dass Komsa nicht mehr selbst eine Internationalisierung anstrebt?
Ja, wir haben uns dann erst mal auf das deutsche Geschäft fokussiert.
Mit welchem Schwerpunkt?
Wir entwickelten eine Strategie für unsere beiden Geschäftsfelder Distribution und Dienstleistungen. Im Bereich Dienstleistungen haben wir festgestellt, dass Device as a Service, also die Vermietung und der Betrieb von mobilen Geräten, sehr attraktiv für uns ist.
Gibt es das für Unternehmen nicht schon längst?
Das fühlt sich vielleicht für Sie als Nutzerin so an, aber wir haben in einer Studie ermittelt, dass die meisten Unternehmen Firmen-Mobiltelefone nach wie vor kaufen, statt sie zu mieten. Und weil sie Angst haben, dass sensible Daten auf den Geräten verbleiben, werden diese Geräte nach zwei Jahren häufig verschrottet. Das muss nicht sein. Das ist weder wirtschaftlich noch ökologisch richtig.
Komsa Mobilfunkwerkstatt
Am Firmensitz im sächsischen Hartmannsdorf betreibt Komsa auch eine der größten Mobilfunkwerkstätten Europas.
Bild: Komsa
Und wie sieht Ihre Lösung aus?
Mieten von Hardware und Komplettservice statt kaufen und Betrieb durch die eigene IT. Die Gerätedaten werden von uns professionell nach Beendigung der Laufzeit gelöscht. Dann können die Geräte zwei oder drei Leben haben. Unsere Kinder wollen ja auch schon keine neuen Handys mehr. Und fragen Sie mal, wie oft Arbeitskollegen auf eine Reparatur oder ein Ersatzgerät warten. Das alles kann man schneller lösen, wenn man die Dienstleistung aus einer Hand von einem professionellen Anbieter bezieht.
Sie haben nach eigenen Angaben Europas größte Reparaturwerkstatt. Wie wichtig ist der Refurbish-Markt bereits für Ihr Geschäft?
Wir sind von allen relevanten Smartphoneherstellern und Technologiepartnern zertifiziert und unsere 200 Techniker in Hartmannsdorf arbeiten nur mit Originalteilen in unserer 3600 qm großen ESD-konformen Werkstatt. (Eine spezielle Arbeitsumgebung und Kleidung, die elektrostatische Aufladung und damit Schäden an den Geräten verhindert, Anm. d. Red.) Wir garantieren, dass die Daten unwiederbringlich gelöscht werden. Durch unsere Aufbereitung können die Geräte deutlich länger genutzt werden.
Aber konkret: Wie viele Firmenhandys als Device as a Service haben Sie bereits unter Vertrag?
600.000 Geräte sind es aktuell, unser Ziel ist es, die Anzahl innerhalb der nächsten zwei bis drei Jahre zu verdoppeln. Das Marktpotenzial inklusive wiederverwerteter Mobilgeräte ist riesig. Zudem wollen wir unser Cloud-Geschäft deutlich ausbauen. Wir sind seit diesem Jahr Vertriebspartner von Microsoft und wollen hier gemeinsam mit Westcoast wachsen. Die Rechenzentren betreiben wir allerdings nicht selbst.
Gerade wird viel über kritische Infrastruktur diskutiert. Sollen da deutsche Systemhäuser und deren Firmenkunden künftig über ein britisches Unternehmen ihre mobilen Arbeitsgeräte vernetzen?
Sie müssen unterscheiden: Die Distribution und die Systemhäuser zählen nicht zur kritischen Infrastruktur. Systemrelevant ist die Technologie, die wir vertreiben. Komsa und Westcoast können herstellerunabhängig beraten, sodass die für den Kunden beste Lösung aus Europa, Asien und Amerika ausgewählt werden kann.
Was sollen Familienunternehmen denn tun?
Sie müssen sich für die Technologie entscheiden, die kompatibel mit der bestehenden Infrastruktur ist. Schließlich haben viele Unternehmen bereits hohe Summen in ihre Infrastruktur investiert, die durch die Umstellung weiter genutzt werden soll. Hosten können sie in jedem Fall hierzulande.
In Ihrer Branche gibt es übermächtige Konkurrenten und regionale Akteure, rechnen Sie mit einer Konsolidierung?
Der Markt ist fragmentiert. Die kleineren Mittelständler konzentrieren sich auf bestimmte Bundesländer oder Regionen. Viele sind eher kurzfristig finanziert. In der aktuellen Zinssituation ist das schwierig. Aus unserer Sicht ist eine Konsolidierung wenig zielführend. Also wird es eher zu Marktaustritten kommen. Überleben werden internationale Großhändler – und Dienstleister mit Spezialwissen.
Die Komsa-Eigentümer hätten womöglich deutlich mehr Einnahmen erzielt, wenn sie an die großen Konkurrenten verkauft hätten …
Ein hundertprozentiger Verkauf wäre eine leichte Übung gewesen, aber genau das wollten die Eigentümer nicht. Es ging ihnen um eine langfristige Perspektive für Komsa mit der Kultur eines Familienunternehmens. Wir haben die Nadel im Heuhaufen gefunden. Beide Unternehmen sind komplementär.
Wann startete die Suche nach einem strategischen Partner?
Anfang dieses Jahres. In den vergangenen zwei Jahren haben wir Komsa neu ausgerichtet und konnten das letzte Geschäftsjahr mit einem Rekordumsatz und -ergebnis abschließen. Um das Wachstum weiter fortzusetzen, war das der richtige Zeitpunkt, nach einem strategischen Partner zu suchen.
Warum haben Sie bewusst auf die Hilfe einer Investmentbank verzichtet?
Man muss sich einfühlen in die Wünsche der Eigentümer. Für einen Familienunternehmer ist ein solcher Prozess von größter Bedeutung. Er muss mit dem Ergebnis gut leben können. Ich bringe die Erfahrung aus großen Industrieunternehmen und dem M&A-Geschäft mit. Bevor ich Vorstand der SMA Solar Technology AG wurde, habe ich in der M&A-Beratung gearbeitet. Auch bei SMA habe ich zahlreiche Transaktionen ohne Investmentbank durchgeführt, wie beispielsweise die Beteiligung von Danfoss A/S an der SMA.
Gunnar Grosse und Jürgen Unger
Die beiden Komsa-Gründer geben ihre Anteile bis 2025 an Westcoast ab.
Bild: Komsa
Mussten Sie viel Überzeugungsarbeit bei den Komsa-Eigentümern Gunnar Grosse und Jürgen Unger leisten?
Nein, sie haben das Unternehmen mehr als 30 Jahre aufgebaut und wollen, dass ihr Baby eine gute Zukunft hat. Beide haben verstanden, dass wir uns marginalisieren, wenn wir nicht zügig internationalisieren.
Aber hätte Komsa das nicht auch aus eigener Kraft tun können?
Ja, aber das hätte zu lange gedauert. Der Markt hat sich zu stark verändert seit 2020. Die Eigentümer haben verstanden, dass in der Schnelligkeit der strategische Vorteil dieser Partnerschaft besteht.
Mit Partnerschaft ist der Deal aber nur unzureichend beschrieben: Es handelt sich doch um eine Übernahme auf Raten …
Die von uns gewählte Transaktionsstruktur ermöglicht beiden Unternehmen eine größtmögliche Stabilität, einen geordneten Übergang und die Realisierung der marktseitigen Vorteile. Bis 2025 gehen die Aktien der Komsa-Gründer an Westcoast über. Es ging stets um die Zukunft von Komsa und in zweiter Linie um den Fortbestand als Familienunternehmen.
Apropos Familienunternehmen, fanden sich in den Familien Grosse und Unger keine Nachfolger?
Derzeit nicht, alle Kinder sind erfolgreich in ihren Berufen. Oder noch viel zu jung, um ein Unternehmen dieser Größe zu leiten. Komsa aber brauchte jetzt den Schritt in die Internationalisierung und Erweiterung. Da ist der Zusammenschluss mit Westcoast die beste Lösung für Komsa.
Aber hätten die Kinder nicht Eigentümer bleiben können?
Den Gründern ging es nicht darum, dass ihre Kinder Gesellschafter bleiben, sondern um die Expansionsmöglichkeiten von Komsa.
Hat sich Westcoast langfristig festgelegt, ein Familienunternehmen zu bleiben?
Der Westcoast-Gründer Joe Hemani hat die Vorteile eines Familienunternehmens in den vergangenen 40 Jahren kennengelernt. Er denkt langfristig und kann – wenn notwendig – schnell entscheiden.
Wie sieht die Eigentümerstruktur bei Westcoast aus?
Hundert Prozent gehören dem Gründer.
Er ist auch bereits in den 70ern, gibt es dort bereits eine Nachfolgeregelung?
Dazu kann ich Ihnen nichts sagen.
Abschließend: Haben Sie Probleme, Mitarbeitende nach Hartmannsdorf zu locken?
Nein, zumal durch mobiles Arbeiten viele unserer Jobs standortunabhängig möglich sind. Aber wie alle Unternehmen suchen wir ständig neue Mitarbeitende. Was ich auf jeden Fall sagen kann: Der Hauptsitz Hartmannsdorf wird wichtig bleiben.
Herr Urbon, vielen Dank für das Interview.
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