Der Softwarekonzern des gebürtigen Allgäuers hat seit dem Börsengang im Herbst dramatisch an Wert eingebüßt. Mit einem Kniff hat der 57-Jährige aber seine Macht gesichert.
Carsten Koerl
Der Sportradar-Chef hat Milliarden an der Börse verloren – doch setzt weiter auf Wachstum.
München Für viele Fußballfans ist das Finale der Champions League an diesem Samstag der Höhepunkt der Saison. Für Carsten Koerl, der mit seiner Firma die Spieldaten von Hunderttausenden Sportveranstaltungen erfasst, ist das Spiel ebenfalls besonders: Seine Einnahmen sind abhängig von den Umsätzen der Wettanbieter – und die dürften bei einem Finale außergewöhnlich hoch ausfallen.
Koerl ist zwar nicht persönlich dabei, wenn sich Real Madrid und der FC Liverpool im Stade de France in Paris gegenüberstehen. Doch für den europäischen Fußballverband Uefa ist er ein wichtiger Partner. Sportradar ist seit Ende letzten Jahres der exklusive, von der Uefa autorisierte Sammler und Verteiler von Daten für Wettzwecke und versorgt 900 Wettfirmen weltweit.
Sportradar analysiert nahezu in Echtzeit Sportevents und liefert die Informationen an Medienhäuser, Buchmacher und Ligen. „Es geht bei uns um superschnelle und immer präzisere Daten“, erklärt Koerl. Zudem überträgt die Firma Sportwettbewerbe und analysiert sie, um Wettbetrug zu vermeiden – eigentlich ein Wachstumsmarkt.
Doch deutlich mehr Zeit als in Fußballstadien verbringt der 57-Jährige momentan in den Besprechungsräumen der Vermögensverwalter in New York. Der gebürtige Allgäuer hat Bankern und Analysten viel zu erklären. Denn bei den Investoren verfängt seine Wachstumsstory nicht: Trotz guter Ergebnisse ist der Aktienkurs seines in der Schweiz ansässigen Unternehmens seit dem Börsengang an der Nasdaq im September um fast zwei Drittel eingebrochen.
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Schon am ersten Tag rutschten die Papiere von 27 Dollar auf 25 Dollar – und seitdem ging es steil bergab. Zuletzt notierten die Aktien bei rund neun Dollar, der tiefste Stand seit der Emission. Statt acht Milliarden Dollar bewerten die Anleger die Firma jetzt nur noch mit rund 2,7 Milliarden Dollar.
Der Kursrutsch wurmt Koerl – nicht nur weil er selbst Anteilseigner ist. „Wenn ich antrete, dann will ich gewinnen“, sagt er. Um seinen Job muss sich der Konzernherr dennoch keine Sorgen machen – dank eines Kniffs: Koerl hält 100 Prozent der sogenannten Class-B-Aktien und 1,7 Prozent der Class-A-Aktien an Sportradar – eine Konstruktion, die nach amerikanischem Recht auf sieben Jahre befristet ist.
So lange besitzt der Firmenchef 81,7 Prozent der Stimmrechte und sichert sich damit die Macht bei Sportradar, auch wenn sein größter Investor – das Canada Pension Plan Investment Board – aktuell 47 Prozent der Class-A-Aktien hält.
Diese Macht war ihm wichtig, denn Koerl ist Unternehmer durch und durch und lässt sich ungern reinreden. Bereits 1997 gründete er im österreichischen Vorarlberg den Internet-Wettanbieter Betandwin. Drei Jahre später brachte er die Firma in Wien an die Börse. Sie gehört heute unter dem Markennamen Bwin zum Glücksspielkonzern Entain.
Mit der Emission entglitt ihm jedoch das Unternehmen. Schnell habe er die Kontrolle verloren, erinnert sich der Unternehmer. Bei seinem zweiten Anlauf mit Sportradar wollte er das unbedingt vermeiden.
Datenlieferant der Wettanbieter
Sportradar liefert die Daten von mehreren Hunderttausend Sportveranstaltungen jedes Jahr – so wie hier von der Partie zwischen dem HSV und Hertha BSC.
Bild: IMAGO/Hübner
In der Öffentlichkeit ist Sportradar zwar weitgehend unbekannt. In der Sportbranche hingegen gehört das Unternehmen zu den Großen. Koerls Firma beschäftigt rund 3.000 Mitarbeiter und ist in 20 Ländern vertreten. Eigenen Angaben zufolge zählen zu den Kunden prominente Sportveranstalter: die amerikanische Basketball-Liga NBA ebenso wie die amerikanische Eishockey-Liga NHL, der Weltfußball-Verband Fifa – und eben die Uefa als Ausrichter der Champions League. Auch Apple, Facebook, Google und Twitter kaufen dem Unternehmen zufolge Daten bei Sportradar ein.
Der Unternehmer hat an der Fachhochschule Konstanz Elektro- und Prozessortechnik studiert und sich früh den Themen Sport, Technik und Programmieren verschrieben. Nach dem Studium programmierte Koerl bereits in den frühen Tagen des Internets eine Software für Sportwetten, für die sich jedoch niemand interessierte. Aus diesem Grund baute er mit Betandwin seine eigene Firma auf. 2002 verkaufte Koerl seine Anteile für geschätzte 150 bis 180 Millionen Euro.
Nach einer halbjährigen Auszeit in Australien entschloss er sich, wieder unternehmerisch aktiv zu werden, und beteiligte sich mit 51 Prozent an Start-up Market Monitor, das von norwegischen Studenten im Rahmen ihrer Doktorarbeit gegründet worden war und Daten für Online-Buchmacher aufbereitete. Die Firma wurde 2007 in Sportradar umbenannt. 2012 kaufte er sich dann die schwedische Private-Equity-Firma EQT ein. Die Zentrale ist inzwischen in der Schweiz.
Die Firma wächst dynamisch: Vergangenes Jahr erzielte Sportradar 561 Millionen Euro Umsatz, ein Plus von 39 Prozent gegenüber 2020. Der bereinigte Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Adjusted Ebitda) ist um 33 Prozent auf 102 Millionen geklettert. Im ersten Quartal stiegen die Erlöse um 31 Prozent auf 167,9 Millionen Euro, das Adjusted Ebitda fiel um fünf Prozent auf 26,7 Millionen Euro.
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Dem größten Konkurrenten Genius Sports erging es an der Börse nicht besser. Die Papiere des britischen Unternehmens sind seit gut einem Jahr notiert und verloren seither mehr als 80 Prozent an Wert. Anfangs lag die Marktkapitalisierung bei 3,8 Milliarden Dollar, jetzt sind es noch rund 700 Millionen Dollar. Zwar ist das Geschäft des deutlich kleineren Wettbewerbers in den ersten drei Monaten des Jahres geradezu sprunghaft gewachsen. Allerdings rutschte Genius Sports dabei tief in die roten Zahlen.
Die USA sind der größte Wachstumsmarkt für Sportradar. Dort setzt das Unternehmen auf die Liberalisierung des Wettgeschäfts in immer mehr Bundesstaaten. Bislang geht diese Wette auf: In Amerika hat sich der Umsatz in den ersten drei Monaten des Jahres mehr als verdoppelt auf 26 Millionen Euro. Allerdings schreibt Sportradar in den Vereinigten Staaten noch tiefrote Zahlen.
Das stört ihn aber nicht, im Gegenteil. Koerl ist auf Wachstum gepolt. „Kostensenken und Optimieren, das ist nicht meins“, so sein Credo. Für das gesamte Jahr rechnet Sportradar mit einem Umsatzplus von mindestens 18 Prozent und einem Gewinnanstieg von bis zu 30 Prozent.
Womöglich wäre der Sportradar-Chef von seinem New Yorker Büro aus doch über den Atlantik zum Finale der Champions League gejettet, wenn sein Verein auf dem Platz gestanden hätte: der FC Bayern. Der Hauptsitz von Sportradar befindet sich zwar in St. Gallen und Koerl bezeichnet die Schweiz inzwischen als seine Heimat. Sportlich hingegen hänge sein Herz seit Jahr und Tag an den Münchnern. Denen erging es dieses Jahr freilich in der Champions League wie Koerl auf dem Parkett: Es bleibt nur die Hoffnung auf bessere Zeiten.
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