Auch im Mittelstand ist der Einsatz von Künstlicher Intelligenz sinnvoll. Beispiele vom Bäcker bis zum Maschinenbauer zeigen, wo die Einsatzgebiete liegen.
Bäckerei
Wann werden die Kunden welche Backwaren bevorzugen? Die KI plant mit.
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Köln Bei Brötchen klappt es gut. Aber wie viele Torten morgen verkauft werden? Da wird es schon kniffliger. Das hat Jan Philipp Gresens in den vergangenen Wochen über seine Künstliche Intelligenz gelernt. Gresens ist einer von drei Geschäftsführern der Bäckereikette Ruch. Zusammen mit dem Kölner Start-up Foodforecast hat er im Februar eine Künstliche Intelligenz (KI) eingeführt. Die soll voraussagen, wie viel die 20.000 Kundinnen und Kunden, die täglich in die 80 Ruch-Filialen von Hildesheim bis Kassel strömen, am nächsten Tag wohl kaufen werden.
Bis zu 20 Prozent der Backwaren bleiben abends in den Auslagen liegen. Einiges wird in den „Gutes von gestern“-Läden von Ruch noch verkauft oder wandert in die Nahrungsmittelverwertung. Anderes landet im Müll. Mit der KI will Gresens die Lebensmittelabfälle reduzieren. Außerdem sollen die Prognosen helfen, dass besonders gefragte Ware nicht zu früh ausverkauft ist. Wenn sein Team mittags in den Filialen kalkuliert, wie viele Brote, Brötchen oder Kuchen über den Tresen gehen werden, schickt die KI dafür eine Empfehlung auf ihr Bestell-Tablet.
Regnet es morgen? Sind Schrippen im Angebot? Von der Wettervorhersage bis zur Rabattaktion – all diese Daten berücksichtigt die KI und ist mit ihrer Prognose schon ziemlich treffsicher, wie Gresens berichtet. Wo mehr Verkaufsdaten aus den Vorjahren vorliegen, tut sich der selbstlernende Algorithmus allerdings leichter als etwa bei Torten.
Knapp vier Jahre ist es jetzt her, dass die Bundesregierung die „Strategie Künstliche Intelligenz“ ausrief. KI-Fachkräfte ausbilden oder anlocken, eine modernere Recheninfrastruktur und zugängliche Datenpools bereitstellen, Forschung und betriebliche Praxis enger verzahnen – insbesondere im Mittelstand. Das plante die Große Koalition 2018. Zwei Jahre später verstärkte sie die KI-Förderung um zwei auf insgesamt fünf Milliarden Euro, um „Transfer- und Einsatzhemmnisse“ abzubauen. Nur knapp sechs Prozent der befragten Unternehmen nutzten KI, 22 Prozent konnten es sich vorstellen.
Dabei haben viele Mittelständler die Chancen von Künstlicher Intelligenz für Logistik, Produktion, Einkauf oder Beschaffung durchaus erkannt – weil sich etwa Kundenfragen automatisiert beantworten oder Absätze genauer prognostizieren lassen. In Deutschland gebe es bei KI kein Erkenntnis-, sondern ein massives Umsetzungsproblem, monierte Bitkom-Präsident Achim Berg damals.
Warum führt KI im Mittelstand ein solches Schattendasein? Gründe für das Zaudern gibt es viele. Es fehlt an Fachkräften, Rechenkapazitäten und Investitionen. Viele Ansätze scheitern, weil Unternehmensprozesse noch nicht digital erfasst werden und so die Datenbasis nicht ausreicht. Und wo keine Digitalisierung, da auch keine Künstliche Intelligenz. „KI kommt im Mittelstand nicht an“, sagt Kristian Kersting, Professor für Künstliche Intelligenz und Maschinelles Lernen an der TU Darmstadt. Zu abstrakt und angstbesetzt sei das Thema. „KI ist keine Box, die sich irgendwo als Motor einbauen lässt, wie es der mittelständische Ingenieur vielleicht gewohnt ist.“
Anstatt auf Chancen zu blicken, diskutiere man den Verlust von Arbeitsplätzen oder mögliche diskriminierende Datenverzerrungen. Skepsis und Sicherheitsbedenken erlebt er selbst nicht zu knapp. „Oft müssen bei Projekten Geheimhaltungsvereinbarungen schon unterschrieben werden, bevor klar ist, ob es überhaupt um ein für eine KI lösbares Problem geht.“ Mitunter treffe eine unzureichende Datenstrategie zudem auf ein falsches KI-Verständnis. „Im Mittelstand herrscht die Denke, KI löst alle Probleme automatisch“, sagt Kersting. Hinzu kommt: Vielen Mittelständlern geht es gut, die Auftragsbücher sind voll, daher steht Strategieentwicklung eher hinten an.
Einer der dem Mittelstand KI trotz allem schmackhaft machen will, ist Tobias Greff. Seit 2019 ist er KI-Trainer in Saarbrücken am Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum. An 20 von bundesweit 27 dieser Zentren fördert das Bundeswirtschaftsministerium im Rahmen der KI-Strategie den Austausch. Greff erklärt Einsatzmöglichkeiten und vermittelt KI-Umsetzungspartner an kleine und mittelgroße Firmen. Oft greifen Mittelständler auf cloudbasierte Lösungen etwa aus der Start-up-Szene zurück, was die Integration erleichtert.
Von den 1700 Kontakten mit kleinen und mittleren Unternehmen, die Greff in Saarbrücken pro Jahr zählt, gebe es bei knapp 30 Prozent Interesse am Thema KI. Maschinenbauer wollen etwa Stillstandszeiten reduzieren und früh erfahren, welches Bauteil auszufallen droht. „Manchmal geht es aber auch um kleinere Sachen: etwa wer helfen kann, die Unternehmensseite automatisch zu übersetzen“, sagt der Wirtschaftsinformatiker.
Je konkreter das Anwendungsproblem, desto besser. Als ein Mittelständler seine 15.000 Eingangsrechnungen im Jahr schneller bearbeiten wollte, verwies Greff an ein Start-up, das eine KI-basierte Texterkennungslösung entwickelt hatte. Seitdem werden die Rechnungen automatisch verbucht. Gleichzeitig erdet Greff allerdings überhöhte Erwartungen. „Ein Chatbot wird aktuell keinen Kundenberater ersetzen können.“
Dirk Hecker, stellvertretender Leiter des Fraunhofer-Instituts für Intelligente Analyse- und Informationssysteme IAIS rät vor dem Start zum Austausch mit Firmen, die schon KI-Erfahrungen gesammelt haben. Man solle nicht mit dem methodisch komplexesten Projekt beginnen und genau abwägen, ob es sich lohnt, die KI selbst zu entwickeln oder einzukaufen.
Julia König programmiert KI im Auftrag von Mittelständlern. 2019 gründete die Mathematikerin das Start-up Ehrenmüller in Kempten. Für ihren kleinsten Kunden arbeiten 15, für den größten rund 5000 Mitarbeiter, berichtet sie. Und fast alle sitzen wie sie im Allgäu. Nah dran zu sein – das sei vielen Mittelständlern wichtig. Zu ihren Kunden gehört ein Softwareentwickler für Verlage, die ihre Verkaufszahlen prognostizieren wollen. Preis, Autor, Thema, Erscheinungsmonat, Sprache, Herausgeber – all das sind Daten, die in die KI einfließen und Verlagen helfen soll, nicht zu viele, aber eben auch nicht zu wenige Bücher zu drucken.
Rund 50 Kilometer entfernt sitzt ein anderer Kunde von König, der Nahrungsmittelhersteller Hochland Deutschland mit Marken wie Grünländer, Simply V oder Patros. „Wir lernen gerade, wo und wie KI für uns funktioniert“, sagt Albert Heim, der beim Käsehersteller als Abteilungsleiter digitale Transformation gerade acht KI-Pilotprojekte steuert.
Ein Beispiel: Wenn in der Produktion die Pumpen blockieren, muss ein Teil des Käses weggeworfen werden. Maschinen- und Rohwarendaten sollen helfen, die Muster solcher Ausfälle früher zu erkennen. Aber sobald ein Teil in einer Produktionsmaschine analog ist, fehlen Daten. „Da klappt das mit der KI noch nicht so ganz“, sagt Heim. „Bei den Vorhersagen, wie viele Schmelzkäseschalen wir verkaufen werden, schon.“
Der Erkenntnisgewinn hilft dem Familienunternehmen auch dabei, passender das Verpackungsmaterial für den Schmelzkäse zu ordern. Bei der geplanten Ausweitung der KI auf weitere Warengruppen stößt Heim auf ein anderes Problem: Daten. Die gibt es zwar in Hülle und Fülle – doch der Zugriff auf die Datenbanken ist teils schwierig. Das kostet Zeit.
Gleichzeitig ist der regulatorische Rahmen noch offen. Die EU-Behörden in Brüssel arbeiten an einer umfassenden rechtlichen Regulierung. „Das wird uns weniger betreffen. Wir nutzen vor allem maschinen- und selten personenbezogene Daten“, sagt König. Aber selbst wenn das KI-System transparent und mit dem Betriebsrat abgestimmt ist – folgen erfahrene Filialleiter gerne einer Software-Empfehlung?
Die meisten seien dafür offen, erläutert König. Aber was kann die genaueste tagesaktuelle KI-Prognose leisten, wenn der Einkauf mit Lieferanten feste Abnahmezahlen für die nächsten drei Monate vereinbart hat? Es gehe darum, die Zusammenarbeit laufend weiterzuentwickeln, sagt Heim.
Bei der Großbäckerei Ruch stoßen sie noch auf alltägliche Gründe für Abweichungen. Wird mit dem Presslufthammer der Bürgersteig vor einer Filiale aufgerissen, bleiben Kunden weg. Das kann keine KI erkennen.
„Ganz ohne Mensch geht es nicht“, sagt Geschäftsführer Gresens. Die KI-Lösung bestellt deshalb nicht automatisch, seine Leute prüfen und korrigieren. Langfristig soll die Software den Umsatz nach oben schrauben und die Lebensmittelabfälle senken – zumindest ein bisschen. „Unter zehn Prozent zu kommen, ist unrealistisch“, erläutert Gresens. Denn auch am Abend dürfe eine Filiale nie ganz ausverkauft aussehen. Aber selbst das haben sie ihrer KI schon beigebracht.
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