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21.04.2020

04:00

Filmproduktion

Ufa-Chef Nico Hofmann: „Wir müssen ähnliche Dinge tun wie beim Fußball“

Von: Catrin Bialek

Nico Hofmann fordert eine Perspektive für seine Branche. Schauspieler müssten wie Fußballspieler regelmäßig getestet werden. Ansonsten drohen Ausfälle in Millionenhöhe.

Der Ufa-Chef hofft, dass die Politik bis Juni Klarheit darüber schafft, wie Filme in Zeiten von Corona gedreht werden dürfen. dpa

Filmproduzent Nico Hofmann

Der Ufa-Chef hofft, dass die Politik bis Juni Klarheit darüber schafft, wie Filme in Zeiten von Corona gedreht werden dürfen.

Düsseldorf Es ist die erste Produktion für den Streaming-Pionier Netflix, und die Erwartungen der Filmemacher sind hoch: „Betonrausch“ soll ein Vorzeigeprojekt von Deutschlands größter Filmproduktionsfirma Ufa werden. Die irrwitzige Geschichte über zwei Immobilienspekulanten in Berlin steht seit Freitag abrufbereit beim US-Streamingdienst. Der Film atme „eine ganz besondere Energie“, meint Ufa-Geschäftsführer Nico Hofmann , auch weil hinter der Produktion ein sehr junges Team stünde.

Für den 60-jährigen Ufa-Chef steht die Förderung von Nachwuchsfilmemachern seit Jahren im Fokus. Als Professor unterrichtet er an der Filmakademie Baden-Württemberg, wo er auch die Filmemacher der Zukunft vermutet. Der Start von „Betonrausch“ brachte all das zusammen, was Hofmann wichtig ist: die Förderung junger Talente, brisante Themen und eine Arbeit für den internationalen Markt.

Und doch ist alles anders für den erfahrenen Filmmanager, der Erfolgsserien wie „Unsere Mütter, unsere Väter“, „Ku’Damm“ und „Charité“ produziert hat. Die Coronakrise setzt auch die Ufa, die zum Medienunternehmen Bertelsmann gehört, unter Druck. Während die Menschen mehr denn je fernsehen und so viel Zeit auf Streamingdiensten wie Netflix oder Amazon Prime Video verbringen wie noch nie, gerät die Filmproduktion ins Stocken.

„Wir mussten sechs laufende Produktionen unterbrechen“, sagt Hofmann. Eine Situation, wie er sie noch nie erlebt hat. Projekte wie „Ein starkes Team“, „Ku’Damm 63“ oder auch „Die unglaubliche Leichtigkeit der Revolution“ liegen auf Eis.

Die Schäden durch den Abbruch gehen laut Hofmann in Millionenhöhe. Kosten fallen auch an weiteren Stellen an: Das Kurzarbeitsgeld, das für einige Mitarbeiter beantragt wurde, wird von der Ufa aufgestockt. Hofmann will seine Leute nicht allein lassen in dieser Situation. Hinzu kommen die logistischen Kosten der Drehpausen.

„Das alles vermengt sich zu einem sehr hohen Betrag“, sagt der Ufa-Chef. „Es gibt kleinere und mittelständische Unternehmen, die es bestimmt härter trifft als uns. Aber auch wir, als eines der marktführenden Produktionsunternehmen, werden vor große Herausforderungen gestellt.“

Zumindest bei den Studioproduktionen kann die Ufa weiter arbeiten – unter Einhaltung der hygienischen Auflagen. Ufa produziert Serien wie „GZSZ“, „Unter uns“ und „Alles was zählt“. „Bei unseren Dailys haben wir eine Woche pausiert und die Zeit dazu genutzt, die Drehbücher und Sets den Sicherheitsmaßnahmen zur Risikominimierung weiter anzupassen“, erzählt Hofmann.

Ein aufwendiges Prozedere: „Es wurde ein 80-Punkte-Programm entwickelt, das so mit unseren Arbeitsschutzfachleuten im Einzelnen abgesprochen ist und das ständig überprüft wird.“ Dazu gehöre zum Beispiel das Fiebermessen der Akteure am Set.

Wie sollen die Produzenten in den kommenden Monaten vorgehen? Der Produzent Hofmann, der sich 2015 hinter die Flüchtlingspolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel gestellt hatte, unterstützt auch jetzt die auf Vorsicht bedachte Krisenpolitik der Bundesregierung. „Dieses Auf-Sicht-Fahren werden wir sicherlich nicht nur die nächsten vier Wochen, sondern vielleicht die nächsten vier Monate erleben. Ich halte das durchaus für richtig.“

Die Arbeit der Filmproduzenten aber würden die Vorsichtsmaßnahmen erschweren. Die Crews könnten zwar Abstand einhalten, sagt Hofmann. Doch bei Schauspielern sei das nicht immer möglich, etwa wenn es um Kuss-Szenen geht.

„Wir müssen voraussichtlich ähnliche Dinge tun wie beim Fußball: Wir müssen die Schauspieler am Set mehrfach über die Produktion auf das Coronavirus testen. Sonst kommen wir über Monate nicht mehr in den Bereich der fiktionalen Produktion – und das würde enorme Schäden verursachen.“

Krise als Inspiration

Der Ufa-Chef sieht nur noch wenig Spielraum: „Wenn wir bis Juni einigermaßen genaue Vorgaben von der Politik haben, wie wir wieder drehen können, dann halte ich das für verkraftbar.“ Sollte es dagegen bis September keine Klarheit geben, werde es „garantiert zu erheblichen Engpässen kommen“.

In einer bundesweiten Produzentenallianz helfen sich die Unternehmen gegenseitig. Die Krisensituation stellt vor allem die kleineren Firmen vor Probleme. Hofmann will vermitteln: „Eines dürfen wir nicht vergessen: In drei, vier Monaten brauchen wir alle Leute aus den Drehteams wieder. Die Mitarbeiter merken sich gerade sehr genau, wie sie wo behandelt werden.“

Die Ausfälle auf der Produktionsseite sind für Filmunternehmen wie die Ufa doppelt ärgerlich, weil die Mediennutzung gerade Rekordwerte erreicht. „Wir stellen seit der Bekanntgabe der verschärften Maßnahmen einen massiven Anstieg der durchschnittlichen linearen TV-Sehdauer um 14 Prozent auf durchschnittlich 209 Minuten am Tag fest“, sagt Jörg Graf, Geschäftsführer von RTL Television. Dabei erzielen neben Nachrichtensendungen vor allem Unterhaltungsprogramme hohe Reichweiten. „Viele Menschen sehnen sich nach einem Stück Normalität und Ablenkung“, sagt Graf.

Hofmann bestätigt: „Die ganzen eskapistischen Formate gehen gerade durch die Decke.“ Das Entrinnen in Filme und Serie hilft den Menschen, die Enge des Alltags zu meistern. Doch ist die Krise eines Tages gebannt, davon ist der Filmmanager ebenfalls überzeugt, werden auch die Realitätsfluchten wieder weniger gefragt sein.

Vor drei Wochen strahlte die ARD die Ufa-Produktion „Unsere wunderbaren Jahre“ aus und erreichte damit mehr als sechs Millionen Zuschauer. Hinzu kamen mehr als neun Millionen Abrufe in der Mediathek. „Das sind Werte, die man sonst nur mit einem Fußballspiel erreicht“, sagt Hofmann.

Die Coronakrise, die die Menschen weltweit in ihre Wohnungen verbannt, ihre Lebensweise ändert, sie aber auch zum Umdenken anregt, inspiriert auch Hofmann. Drei Staffeln der Krankenhausserie „Charité“ gibt es bereits, angefangen mit dem ersten Teil, in dem das Leben des Wissenschaftlers Robert Koch nachgezeichnet wurde.

Hofmann: „Vor einem halben Jahr haben wir schon begonnen zu überlegen, wie wir ‚Charité‘ in der Jetztzeit erzählen könnten. Da haben wir uns mit dem Thema Virologie beschäftigt – das ist schon verblüffend.“

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