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20.05.2022

14:00

Frauen in Vorständen

Haribo, Aldi, Vorwerk: 68 der 100 größten Familienunternehmen haben keine Frau im Vorstand

Von: Michael Scheppe, Anja Müller, Tanja Kewes

Deutschlands Familienunternehmen haben den Frauenanteil in Führungspositionen kaum gesteigert. Das sorgt für Probleme bei der Talentsuche und beim Image.

Wie diese vier Unternehmen haben insgesamt 68 der 100 größten deutschen Familienunternehmen keine einzige Frau im Vorstand.

Logos von Deichmann, Vorwerk, Haribo und Aldi

Wie diese vier Unternehmen haben insgesamt 68 der 100 größten deutschen Familienunternehmen keine einzige Frau im Vorstand.

Düsseldorf Familienunternehmen in Deutschland stellen kaum Managerinnen in Führungspositionen ein. In den Geschäftsführungen der 100 umsatzstärksten Familienunternehmen waren zuletzt nur 8,3 Prozent Frauen. Und damit kaum mehr als vor zwei Jahren, als der Wert bei rund sieben Prozent lag. Zu diesem Ergebnis kommt eine Erhebung der Allbright-Stiftung, die dem Handelsblatt vorab vorlag. Die Stiftung setzt sich für mehr Diversität und die Sichtbarkeit von Frauen ein.

68 der größten hiesigen Familienunternehmen hatten Stand März 2022 sogar keine einzige Frau in der Geschäftsführung – darunter namhafte Unternehmen wie Aldi, Bauhaus, Bertelsmann, Deichmann, Haribo, Kärcher, Kühne + Nagel, Miele, die Schwarz Gruppe (Lidl, Kaufland), Tönnies, Vorwerk, Webasto oder Würth.

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Dieser Stillstand ist umso bemerkenswerter, weil die Fluktuation in den Vorständen von Familienunternehmen und den Dax-notierten Firmen in den vergangenen zwei Jahren mit rund 30 Prozent etwa gleich groß gewesen ist. Dennoch haben es die meisten familiengeführten Firmen nicht geschafft, ihre Führungsstrukturen zu modernisieren und die Frauenquote in ihren Vorständen zu erhöhen.

Frauen in Familienunternehmen: Mehr Macht führt zu weniger Diversität

Je mehr Macht die Familie in einem Unternehmen hat, desto weniger divers ist der Vorstand. Die 160 Unternehmen in Dax, MDax und SDax kommen auf einen Frauenanteil in der Geschäftsführung von 14,3 Prozent.

Im Dax-40 liegt der Frauenanteil im Vorstand sogar bei fast 20 Prozent, was im internationalen Vergleich allerdings unterdurchschnittlich ist. Bei den 70 Firmen, die ausschließlich in Familienbesitz sind, liegt der Wert bei nur 4,8 Prozent. In solchen Unternehmen wirken keine anderen Shareholder als Korrektiv mit.


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Für Familienunternehmen, die oft Weltmarktführer sind, wird die Monokultur im Vorstand immer mehr zum geschäftlichen Risiko – gerade weil so die Suche nach Talenten erschwert wird. „Frauen gehen am liebsten dorthin, wo es schon Frauen gibt“, sagt Wiebke Ankersen, Geschäftsführerin der Allbright-Stiftung. So würden „Familienunternehmen zur zweiten Wahl“.

Stiftung Familienunternehmen unzufrieden mit Frauen-Anteil

Zudem drohe gerade bei der jungen Generation ein Reputationsverlust: „Marken können es sich eigentlich nicht mehr leisten, nicht für Chancengleichheit zu sorgen“, so die Expertin. Stefan Heidbreder, Geschäftsführer der Stiftung Familienunternehmen, räumt ein, dass die Zahlen noch nicht „so sind, wie sie sein sollten“. Doch die Familienunternehmen seien sich der Lage sehr bewusst und schon aus Eigeninteresse erfindungsreich bei dem Thema.

Studien zeigen immer wieder, dass gemischte Führungsgremien mit einem größeren Geschäftserfolg korrelieren. So könnten die wenig diversen Vorstände von Familienunternehmen zur Bremse für die gesamte hiesige Wirtschaft werden. Denn diese erbringen über die Hälfte der deutschen Wirtschaftsleistung.

Familienunternehmen besetzen kaum neue Führungspositionen mit Frauen

Die großen deutschen Familienunternehmen haben in den vergangenen zwei Jahren kaum neue Managerinnen eingestellt, obwohl sie aus demselben Talentpool schöpfen wie die Dax-Firmen. Während der Frauenanteil in den Dax-40-Vorständen zwischen März 2020 und März 2022 um fünf Prozentpunkte gestiegen ist, war es bei den hundert größten Familienunternehmen nur ein Plus von 1,4 Prozentpunkten. Und in Betrieben, die ausschließlich in Familienbesitz sind, ist der Frauenanteil überhaupt nicht gewachsen.

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So wie bei Deichmann. Europas größter Schuhhändler beschäftigt zu 77 Prozent Frauen, auch 70 Prozent der Führungspositionen sind weiblich besetzt – ganz oben ist aber noch keine angekommen. Das liege „allein darin begründet, dass zur Zeit einer Neubesetzung einer Position die geeignetste Person im jeweiligen Bewerbungsprozess nicht weiblich war“, heißt es aus Essen. Allbright-Geschäftsführerin Ankersen rät, „eine interne Pipeline an Führungsfrauen“ aufzubauen und zu pflegen, um Geschäftsführungen irgendwann auch intern weiblich besetzen zu können.

Fressnapf und die Schwarz Gruppe haben zwar mit zehn und neun Mitgliedern besonders große Vorstände, für Frauen ist dort allerdings kein Platz. Konkrete Erklärungen dafür lieferten beide Unternehmen auf Anfrage nicht.

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Der Haushaltsgerätehersteller Miele begründet, warum sein fünfköpfiger Vorstand rein männlich besetzt ist, so: Zwei Mitglieder kämen aus der Eigentümerfamilie, die drei anderen Geschäftsführer seien zu Zeitpunkten gekommen, als es einen „langfristigen Plan, mindestens eine Frau für die Geschäftsleitung zu gewinnen“, noch nicht gegeben habe.

Mehr Männer mit dem Vornamen Stefan als Frauen

Diesen scheinen viele der größten Unternehmen, die komplett in Familienhand sind, offenbar nicht zu haben. Sie haben laut Allbright-Stiftung in den vergangenen zwei Jahren sieben Personen mit dem Vornamen Stefan in die Geschäftsleitung berufen – aber nur fünf Frauen.

Wenn Frauen aus der Familie im Aufsichtsgremium mitbestimmen, gibt es fast fünfmal so häufig Managerinnen in der Geschäftsführung, zeigt die Erhebung. Ein Beispiel: Henkel. Simone Bagel-Trah ist unter den 100 größten Familienunternehmen neben Bettina Würth (Würth) und Cathrina Claas (Claas) nur eine von drei Frauen, die den Aufsichtsratsvorsitz innehat. Und im Henkel-Vorstand sitzt mit Personalerin Sylvie Nicol zumindest eine Frau.

Bagel-Trah sagte dem Handelsblatt: „Vielfalt ist entscheidend für unseren zukünftigen Geschäftserfolg.“ Diversität steigere die Offenheit für Neues, die Innovationskraft sowie die Motivation und das Wohlbefinden der Beschäftigten. Henkel will bis 2025 über alle Hierarchieebenen hinweg jede zweite Führungsposition mit einer Frau besetzen, allerdings gibt es keine feste Quote für den Vorstand.

Wie Henkel haben immerhin 32 der 100 größten deutschen Familienunternehmen zumindest eine Frau im Vorstand. So auch Tengelmann mit Finanzchefin Ágnes Faragó. Die Gruppe erklärte auf Anfrage: „Wir werden als Arbeitgeber attraktiver, wenn Bewerberinnen erkennen, dass wir es nicht bei verbaler Aufgeschlossenheit belassen.“

Frauen-Anteil im Dax ist höher

Dass Dax-40-Konzerne mehr weibliche Führungskräfte haben, lässt sich allerdings auch durch politischen Druck erklären. Zunächst sollten es freiwillige Selbstverpflichtungen richten, Wirkung zeigen aber erst gesetzliche Quoten. Ab August müssen Vorstände eines börsennotierten und paritätisch mitbestimmten Unternehmens aus mehr als drei Mitgliedern mindestens aus einer Frau und einem Mann bestehen. Mittelständische Unternehmen und Start-ups bleiben weiter unreguliert.

Die Folge: Schon 2021 gingen 42 Prozent aller Neubesetzungen von Vorstandsposten im Dax an Frauen, zeigen Daten der Personalberatung Russel Reynolds. Zu den weiblichen Neubesetzungen zählen Continental-Finanzvorständin Katja Dürrfeld, Mercedes-Benz-Personalerin Sabine Kohleisen oder Elisabeth Staudinger, die zur Vorständin bei Siemens Healthineers berufen wurde.

Bei Volkswagen stiegen mit Hauke Stars und Hildegard Wortmann gleich zwei Frauen ins Topmanagement auf. Zalando hat erst im März mit Sandra Dembeck einen weiblichen Finanzvorstand geholt.

Und im Mai hat der Gesundheitskonzern Fresenius Medical Care die Managerin Carla Kriwet gar als neue Vorstandsvorsitzende berufen. Sie soll das Amt im Januar 2023 antreten und ist dann neben Belén Garijo vom Pharmakonzern Merck die zweite Chefin, die einen Dax-40-Konzern führt. Von solchen Quoten sind viele der hiesigen Familienunternehmen noch weit entfernt.

Dieser Artikel erschien zuerst am 19.05.2022 um 07:24 Uhr.

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