Vater und Tochter lenken in letzter Instanz die Geschicke des Unternehmens. Der Patriarch machte es seiner Tochter erst nicht leicht, heute vertraut er ihr voll und ganz.
Reinhold und Bettina Würth
Wenn man Reinhold Würth reden hört, kann man kaum glauben, dass der familienfremde Robert Friedmann das Unternehmen bereits seit 16 Jahren führt und seine Tochter Bettina, 59, ihn im Beiratsvorsitz vor 15 Jahren abgelöst hat.
Künzelsau Reinhold Würth ist schon eine ganz eigene Klasse Unternehmer für sich. Einer wie kein Zweiter. Aus einer Generation, die es so schnell nicht wieder geben wird. Nachkriegszeit – geprägt von einem Neuanfang nach dem zusammengebrochenen Nazideutschland. 72 Jahre Firmenzugehörigkeit sind nicht leicht zu verstehen für Vertreter der Generationen Golf, X, Y oder Z.
Reinhold Würth verkaufte, seitdem er 14 war, Schrauben aus der Handlung seines Vaters, ging zu Fuß oder fuhr mit dem Fahrrad kilometerweit zu den Kunden, bei Wind und Wetter. Als 19-Jähriger übernahm er nach dem plötzlichen Tod von Vater Adolf Würth das Geschäft und entwickelte den Zweimannbetrieb zum führenden Spezialisten von Befestigungs- und Montagematerial.
Heute setzt der Konzern mehr als 14 Milliarden Euro pro Jahr um und beschäftigt weltweit mehr als 80.000 Mitarbeitende in 400 Gesellschaften in mehr als 80 Ländern. „Reinhold Würth hat auf beeindruckende Weise gezeigt, dass man mit anfänglich bescheidenen Mitteln ein weltweit erfolgreiches Unternehmen aufbauen kann“, lobt Baden-Württembergs Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut. Baden-Württemberg lebe von Familienunternehmen wie Würth, die immer auch ihre Verantwortung gegenüber den Mitarbeitern und das Wohl der Allgemeinheit im Blick haben.“
„Die Hauptversammlung bin ich“, sagte er im Interview zu seinem 80. Geburtstag vor sechs Jahren. Als Vorsitzender des Stiftungsaufsichtsrats hat sich an dieser Tatsache nichts geändert. Er lässt zwar seit über 27 Jahren andere operativ das Tagesgeschäft führen, bei den ganz wichtigen Dingen aber hat er nach wie vor das letzte Wort. Er geht inzwischen etwas spielerischer mit seiner Macht um.
„ Mein Unternehmen ist mein Hobby, es ist ja für mich kein Muss, ich halte mich bei Entscheidungen im Hintergrund. Nur bei ganz grundsätzlichen Dingen gebe ich meinen Senf dazu. Das Unternehmen ist heute meine elektrische Eisenbahn“, so hört sich Reinhold Würth heute unplugged an. Es mache einfach Spaß, wenn er aus dem Haus gehe, nach Bozen zu einer Aufsichtsratssitzung der italienischen Landesgesellschaft fliege und abends wieder zurückkomme. Früher flog er selbst. Die Modelle seiner Firmenjets zieren seinen Schreibtisch.
Der 86-Jährige kokettiert schon gern ein wenig. Denn die Firma ist nie ein Hobby. Der Unternehmer denkt selbst heute noch weit in die Zukunft. Einen Mann wie ihn, muss man für sich sprechen lassen und ausführlicher zitieren als üblich. „Ich versuche immer, weit vorauszudenken bis ins Jahr 2050, auch wenn ich das nicht mehr erleben werde“, sagt Würth. Das Unternehmen investiere in IT und Digitalisierung.
E-Procurement spiele eine große Rolle mit Direktanbindung an die Kunden, dem Cloud-Dienste angeboten werden. Und dann kommen klare Ansagen an die operative Führung: „Unsere Produktivität muss sich in den nächsten 20 Jahren verdoppeln, wenn wir in 30 Jahren noch mit von der Partie sein wollen. Die Logistik muss mit voll automatischer Kommissionierung funktionieren. Mein Ziel ist ein Baukastensystem für unsere Produkte. Alles muss zusammenpassen, wie bei Lego.“
Seine stahlklaren Augen funkeln, wenns ums Geschäft geht: „Wir verfügen über eine Milliarde flüssiger Mittel. Das Unternehmen ist bockgesund. Wir sind in diesem Jahr auf Rekordkurs und werden zwischen 15 und 16 Milliarden Euro umsetzen sowie ein Rekordbetriebsergebnis erzielen, wenn nicht noch Materialmangel oder eine weitere Pandemiewelle dazwischenkommt.“ Da macht der Patriarch mal so ganz beiläufig eine Prognose, die bei einer börsennotierten AG einen Kurssprung auslösen würde. Purer Stolz gestützt auf starke Zahlen bricht halt manchmal so durch.
Aber besonders freut es den Patriarchen, dass selbst die Ratingagenturen inzwischen die Familie wertschätzen. „Standard & Poor’s hat unser A-Rating mit stabilem Ausblick nicht nur bestätigt, sondern das gesamte Umfeld des Familienunternehmens als ,strong‘ bewertet.“ Und sein Blick richtet sich immer wieder in die Zukunft: Das Unternehmen investiert gerade 70 Millionen Euro in ein neues Forschungs- und Entwicklungszentrum.
Würth verspricht sich davon eine Beschleunigung der Innovationskraft, beispielsweise bei Schwerlastdübeln. Wenn man Reinhold Würth reden hört, kann man kaum glauben, dass der familienfremde Robert Friedmann das Unternehmen bereits seit 16 Jahren führt und seine Tochter Bettina,59, ihn im Beiratsvorsitz vor 15 Jahren abgelöst hat.
Es war nicht leicht, sich im Schatten eines solchen Patriarchen zu entwickeln. Bettina bricht als Teenager aus, geht nach München, macht unter anderem Sozialarbeit. Aber dann kommt sie 1984 doch zurück und erkämpft sich die Anerkennung des Vaters. „ Ich bin ja nicht als Rohdiamant in ein anderes Unternehmen gegangen und geschliffen zurückgekommen.“ Es sei nicht einfach gewesen, sich so durchs Unternehmen durchzuarbeiten, sagt sie. „Es ist selten, dass so etwas klappt. Bei mir hat es geklappt, dass ich erfolgreich Karriere machen konnte. Es hat auch mit uns beiden geklappt.“
Reinhold Würth sagt Sätze, die hart klingen: „Ich bin stolz auf sie. Sie hat ja nicht studiert, hat eine Lehre im Unternehmen gemacht.“ Noch heute sagt er vor anderen Menschen „Bienchen“ zu seiner Tochter. Als Außenstehender weiß man nicht so genau, verniedlicht er sie gerade oder lobt er ihren Fleiß.
Zweifel wittert Würth sofort und räumt sie im Gespräch gleich ab: „Wir harmonieren gut zusammen. Ich bin sehr dankbar, dass Bettina 2006 den Beiratsvorsitz übernommen hat. Es gibt keine Beiratssitzung, bei der ich nicht als Ehrenmitglied teilnehme und ihr im Anschluss danach nicht das Kompliment mache, mit welcher Eleganz und Übersicht sie diese Sitzungen führt. Bettina hat sich großes Ansehen im Unternehmen erworben.“
Keine Familie ist perfekt, aber die Würths sind in jedem Fall resilient. Die Tochter kennt ihren Vater: „Er ist schon ein extremer Mensch. Er kann unglaublich hart, aber auch sehr weich sein. Ein polarisierender Mensch – unglaublich fordernd, aber auch großzügig. Brücke über alles ist seine Zähigkeit und Geduld. Er hat es mir nicht leicht gemacht.“
Alles andere würde verwundern.
Denn wenn Reinhold Würth etwas wirklich nicht passte, wies er die Vertriebler per Brief an, gefälligst ihre Dienstwagen nicht in der Arbeitszeit zu betanken, und rechnete vor, was ihn das sonst an entgangener Arbeitszeit kostet. Auf der Feier zu seinem 80. Geburtstag nutzte er die Gelegenheit, der gesamten Mannschaft mitten in der feuchtfröhlichen Feierlaune einzubläuen. „Denken Sie immer daran, dass Sie nicht beim Würth angestellt sind, sondern bei Ihren Kunden.“
„Heute kommen die Blitze vom Zeus nicht mehr so häufig“, erinnert sich Bettina Würth und lächelt dabei. Aber früher, als sie begonnen habe, sei das noch anders gewesen. Es ist generell für Unternehmerkinder nicht einfach im eigenen Unternehmen und wahlweise mit Härte oder Geduldstests verbunden. Hans Peter Stihls erste Aufgabe beim väterlichen Motorsägenhersteller war es, die Ordner in Registratur und Archiv in Ordnung zu bringen. Und der hatte vorher schon einige Jahre bei Bosch und einer Unternehmensberatung gearbeitet.
„ Mein Vater hat erst einmal einen Brief geschrieben, dass die Tochter nicht schlechter, aber auch nicht besser als ein normaler Azubi behandelt werden sollte“, erinnert sich Bettina Würth. Das habe zu mehr Verunsicherung geführt, als dass es geholfen hätte. Es sei nicht einfach, das Vertrauen der Mitarbeiter zu gewinnen.
„Ich wollte natürlich zeigen, dass ich etwas leisten kann, und habe häufig länger gearbeitet. Dann bat der Abteilungsleiter mich, doch pünktlich Schluss zu machen, sonst trauten sich die anderen nicht, vorher nach Hause zu gehen.“ Doch die Mühen zahlten sich aus: „Ich habe ein tolles Netzwerk. Ich kenne jede Abteilung bis in die Konzernführung und die Prozesse bis in die Tiefe. Ich habe mir einen Fundus an Know-how erarbeitet.“
Und eine der Maximen des Hauses ist: Zahlen lügen nicht. In diesem Punkt sind sich Vater und Tochter stets einig. Und die Zahlen könnten inzwischen kaum transparenter sein. In Würths Büro steht ein riesiger Bildschirm, der ihm alle 20 Minuten die laufenden Onlinebestellungen nach Ländern sortiert zeigt. In der Corona-Zeit boomt das Onlinegeschäft. Es aufzubauen war ein wichtiger, aber nicht ganz einfacher Schritt für ein Unternehmen, dessen Erfolgsgarant 33.000 Vertriebsmitarbeiter im Außendienst mit Besuchen bei den Handwerks- und Industriekunden ist. Heute setzt Würth auf drei Absatzkanäle.
Erst wurde das Niederlassungsnetz aufgebaut und dann vor wenigen Jahren rechtzeitig der Onlinehandel. Zudem gibt es inzwischen voll automatisierte 24-Stunden-Shops, bei denen sich die Handwerker Tag und Nacht bedienen können. Demut vor dem Kunden sowie Intensität mit erfolgsabhängiger Vergütung haben Würth groß gemacht.
Reinhold Würth gehört mit seiner Familie zu den reichsten Deutschen. Würth ist zudem einer der größten Kunstsammler mit einem wachsenden Fundus von über 18.000 Kunstwerken. An über einem Dutzend Standorten von Landesgesellschaften hat Würth Museen bauen lassen. Seiner Frau Carmen ließ er zum 80. Geburtstag eine Konzerthalle mit Konferenzräumen vom Stararchitekten David Chipperfield errichten. Würth unterhält dafür ein eigenes Orchester. „Unsere Philharmoniker bestreiten in diesem Jahr sogar die Neujahrskonzerte in Salzburg“, freut sich Würth.
Mitten in der Pandemie wurde noch ein Museum für eine ständige Ausstellung angebaut. Picasso, Munch, Beckstein, Miro und andere. In der Provinz zeigt Würth für Besucher immer eintrittsfrei Kunstwerke, um die ihn selbst die großen Museen weltweit beneiden. Wie bei Würth üblich rechnet sich alles – auch die Kunst. Die Sammlungen gehören weitgehend dem Unternehmen. Durch die Wertsteigerungen am Kunstmarkt schlummern in der Bilanz riesige stille Reserven. Würth verkauft nie einmal gekaufte Werke.
Sollte die Wertsteigerung ausbleiben, so strahlt die Kunst immer noch auf das Firmenimage aus. „Seinem enormen Einsatz und unternehmerischen Geschick ist es zu verdanken, dass sich unsere Region in den vergangenen sieben Jahrzehnten so erfolgreich entwickelt hat, wirtschaftlich wie auch in kultureller Hinsicht“, sagt sein ehemaliger Mitschüler und Freund Gerhard Sturm, Gründer und Ehrenbeiratsvorsitzender der EBM-Papst-Gruppe, dem im nahe gelegenen Mulfingen beheimateten Weltmarktführer im Ventilatorenbau.
Würths Bekanntheit hatte allerdings auch seine Schattenseiten: Vor 15 Jahren entwickelten die Stuttgarter Steuerfahnder besonderen Ehrgeiz, das Firmengeflecht mit Doppelsitz in der Schweiz genauer unter die Lupe zu nehmen. Die Fahnder wurden fündig bei der komplizierten Verrechnung der Landesgesellschaften. Würth hatte sich selbst nicht persönlich bereichert, fürchtete aber einen langwierigen öffentlichen Prozess und akzeptierte eine Vorstrafe wegen Steuerhinterziehung. Im Nachhinein bereut er, dass er das Thema nicht ausgefochten hat, um den Makel loszuwerden.
Denn der Groll des Patriarchen war groß: Er nahm sogar die österreichische Staatsbürgerschaft an und erwog darüber hinaus, den Firmensitz ganz in die Schweiz zu verlegen. Doch wegen des Aufwands und auf Drängen seiner Frau Carmen blieb er der Hohenlohe treu.
Die Berühmtheit hielt noch eine besonders bittere Stunde für die Familie bereit: Sohn Markus, der wegen eines Impfschadens seit der Kindheit gehandicapt ist, wurde 2015 entführt. Die Sache ging glimpflich aus, weil die Entführer ihn nach einem Tag wieder frei ließen. Seither lebt Markus Würth auf einem Bauernhof an einem geheimen Ort.
Neben dem kulturellen Engagement setzen sich Mutter Carmen und Tochter Bettina sehr für viele soziale Projekte ein. 2003 eröffnete Carmen Würth das Hotel-Restaurant Anne-Sophie in Künzelsau, das Mitarbeiter mit und ohne Handicap betreiben. Bettina Würth liegen besonders Kinder am Herzen. Sie gründete die Freie Schule Anne-Sophie in Künzelsau und Berlin mit mehr als 1000 Schülern. Beide Einrichtungen sind nach Bettina Würths Tochter benannt, die als Kind bei einem Unfall ums Leben kam.
Reinhold Würth will möglichst wenig dem Zufall überlassen und hat vieles geregelt. „Wenn ich sterbe, passiert gar nichts. Das Unternehmen geht am nächsten Tag einfach weiter.“ Seit 1987 liegt das Vermögen in Familienstiftungen, damit der Betrieb im Erbgang nicht leidet. „Das Unternehmen ist wie eine Stahlkugel, eine Konstruktion in sich, da kann kein Familienmitglied ran. Das ist sakrosankt“, betont Würth.
Alle Familienmitglieder seien gut versorgt, aber könnten am Unternehmen keine Teilung vornehmen. Für eine Umwandlung in eine AG bräuchte es eine einstimmige Zustimmung aller Gremien. Es gibt fünf Stiftungsaufsichtsräte, davon zwei Familienfremde. Mit dem Recht, Aufsichtsräte in den Stiftungsrat zu benennen, ist gewährleistet, dass die Familie ihren Einfluss nicht verliert.
Die vierte Generation hat bereits erste Verantwortung übernommen mit Enkel Benjamin im Stiftungsaufsichtsrat und seinem Bruder Sebastian im Beirat – sowie Enkelin Maria im Kunstbeirat. Zumindest die Steuerung über den Beirat wird die Familie beibehalten.
„Familien- und Fremdmanagement ergänzen sich. Unsere Unternehmenskultur ist bestimmt durch flache Hierarchien und Gleichbehandlung aller Mitarbeiter ungeachtet der Position“, sagt Bettina Würth . „Wir erarbeiten ein Regiebuch, das den Umgang der Konzernführung mit der Familie regelt, damit das Zusammenspiel auch in Zukunft so funktioniert, wie es mit meinem Vater funktioniert hat“, verrät Bettina Würth.
„So wie es gerade läuft, kann es ruhig weitergehen. Das macht Spaß, und wir haben viel zu tun.“ Für den Fall, dass es ohne ihn eines Tages nicht mehr läuft, hat Reinhold Würth einen letzten nicht ganz ernst gemeinten Wunsch: „ Ich hätte gern ein Diktiergerät mit ins Grab, das Gerät, das ich am meisten benutzt habe, außer Fotoapparat, Fahrrad und Handy.“
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