Wirtschaftsanwalt Volker Römermann stellt den Corona-Hilfen der Politik ein schlechtes Zeugnis aus. Er rät angeschlagenen Firmen zum Insolvenzantrag.
Volker Römermann
Der Jurist ist Fachanwalt für Insolvenzrecht und seit über zwei Jahrzehnten Vorstandsvorsitzender des Instituts für Insolvenzrecht.
Bild: Römermann
Bonn Der Insolvenzrechtsexperte Volker Römermann geht mit den Maßnahmen der Bundesregierung zur Bekämpfung der Corona-Folgen in der Wirtschaft hart ins Gericht. Diese sehen neben Soforthilfen vor allem Kredite und Bürgschaften der Förderbank KfW vor.
Das greife entweder zu kurz oder komme zu spät, um Unternehmen wirklich zu retten. kritisiert Römermann im Interview mit dem Handelsblatt. Stattdessen bürdeten Sie den Unternehmen auf Jahre hinaus hohe Belastungen auf, an denen viele, die jetzt überlebten, später zugrunde gehen würden.
Das bewährte, eingespielte und schnell arbeitende Verfahren des Insolvenzantrags wegen drohender Zahlungsunfähigkeit mit anschließendem vorläufigen Insolvenzverfahren werde hingegen systematisch verschwiegen, so Römermann. Die Unternehmen seien damit über drei Monate von allen Löhnen und Gehältern befreit, die Mitarbeiter erhielten die vollen Bezüge durch die Agentur für Arbeit und stünden dem Arbeitgeber in Vollzeit zur Rettung zur Verfügung.
Was er derzeit Kanzlerin Angela Merkel raten würde, was er hinter dem Zurückhalten der Option Insolvenzantrag vermutet und wie verantwortungsvolle Unternehmer seiner Meinung nach jetzt handeln sollten, verrät der Wirtschaftsanwalt im Interview.
Herr Römermann. Sie sind einer der führenden Insolvenzexperten Deutschlands und kritisieren die Bundesregierung wegen ihrer Stützungsmaßnahmen für die Unternehmen. Sind die Erleichterung der Kurzarbeit und schnelle unbürokratische Kredite oder Bürgschaften nicht genau das, was Unternehmen aktuell brauchen?
Ja und nein. Die Maßnahmen können helfen, wenn es um das Überleben eines notleidenden Unternehmens geht. Viele haben auch bereits Tatsachen geschaffen und Kurzarbeit eigeführt. Die Fragen, die sich stellen, sind einmal, wie die entsprechenden Behörden der Flut der Anträge gerecht werden wollen, wie die Kredite und Bürgschaften in diesem Ansturm praktisch vergeben werden und ob viele Unternehmen danach noch lange überleben können. Irgendwann müssen die neuen Schulden schließlich bedient werden. Hier droht vielen ein Tod auf Raten.
Das sind verschiedene Sachverhalte. Wie ist Ihr Standpunkt zum Kurzarbeitergeld?
Als Unternehmer müssen Sie sich nicht nur um Ihre Firma kümmern, sondern haben ebenso eine Fürsorgepflicht den Mitarbeitern gegenüber. Die meisten Chefs sehen das auch gar nicht als lästige Pflicht, sondern wollen ihren Mitarbeitern helfen, durch die schwierigen Zeiten zu kommen. Für viele sind Entlassungen das letzte Mittel. Und weil in Zeiten des Auftragseinbruchs logischerweise die Arbeit weniger wird, sieht die schnelle Beantragung der Kurzarbeit nach einem Win-win aus. Der Arbeitgeber reduziert seine Kosten, die Arbeitnehmer erhalten eine Entschädigung für das entgangene Gehalt. Praktisch aber sind die Einbußen enorm, und Familien, die schon im Normalfall am Limit kalkulieren, geht im Alltag schnell das Geld aus und längerfristig rutschen sie trotz der Unterstützung in die Schuldenfalle.
Aktuell liegt das Kurzarbeitergeld bei 60 Prozent des entgangenen Nettogehalts, wenn keine Kinder im Haushalt wohnen und bei 67 Prozent, wenn Kinder da sind. Damit fällt für Arbeitnehmer ein Drittel zumindest eines Einkommens weg, was ein ziemlicher Einschnitt ist. Wie sieht es denn für die Unternehmen aus?
Unternehmen zahlen das Kurzarbeitergeld mit der Gehaltsabrechnung aus und rechnen die vorfinanzierten Beträge mit der Agentur für Arbeit ab, die ihnen die Kosten erstattet. Die Kürzung des Bruttogehalts berechnet sich nach der Verkürzung der Arbeitszeit. Das Kurzarbeitergeld ist steuerfrei und bezieht sich auf die Nettodifferenz, was etwas günstiger für die Mitarbeiter ist. Die Frage ist eher, ob Kurzarbeitergeld in der Gesamtstrategie des Unternehmens beim Weg durch die Krise das richtige Mittel ist.
Inwiefern?
Zuerst muss ich doch schauen, wo ich stehe, und das tabulos. Darauf basiert die Strategie. Erst dann überlege ich mir, welche Instrumente ich einsetze. Zur Strategie gehört, zu planen, wie ein Unternehmen nach der gegenwärtigen Schockstarre wieder den Aufschwung schafft. Das will vorbereitet werden, zum Beispiel, indem ich mich in den kommenden Wochen und Monaten mit künftigen Produkten und Angeboten beschäftige. Je nach strategischer Ausrichtung ist in vielen Unternehmen durchaus nicht weniger zu tun, auch wenn jetzt kurzfristig die Aufträge drastisch abnehmen.
Eine Krise, so schlimm sie auch ist, bietet immer die Gelegenheit, das Unternehmen auf Vordermann zu bringen und für die Zukunft krisenfester zu machen. Umso wichtiger ist es dann, die Mitarbeiter neben der Krisenbewältigung – Abarbeitung von Stornierungen, Erstattungen, Krisentelefon – auch dafür in Vollzeit an Bord zu haben. Sie dürfen allerdings nicht länger arbeiten, als es die beantragte Kurzarbeit hergibt. Wer 50 Prozent kurzarbeiten lässt, die Mitarbeiter aber 80 Prozent im Homeoffice oder der Werkstatt ackern lässt, begeht einen strafbaren Leistungsbetrug.
Also sind staatliche Hilfen gar nicht das Mittel der Wahl für jedes Corona-geschwächte Unternehmen?
Jede Wirtschaftskrise kennt drei Arten von Unternehmen: Solche mit viel Substanz, die durchgeschüttelt werden, aber mit wenig Hilfe gut überleben, solche, die prinzipiell gesund sind, aber in bedrohliche Schieflage geraten, und ein letzte Gruppe, die schon länger am Existenzminimum herumkrebst und jetzt zum Opfer der Marktbereinigung wird. Über die erste müssen wir nicht lange diskutieren, da greifen jetzt die Instrumente aus dem Maßnahmenpaket und das reicht.
Bei der zweiten Gruppe fragt sich, wie viele Erblasten sie nach dem Überlebenskampf mit sich schleppen. Die dritte ist auch volkswirtschaftlich gefährlich: Schiebt man ihren unweigerlichen Niedergang mit staatlicher Unterstützung unnötig hinaus, kostet das viel Geld, das man besser solideren Mitbewerbern gegeben hätte.
Außerdem fördert man Zombie-Unternehmen, die probieren, sich durchzulavieren, immer in der Gefahr der Schädigung ihrer Gläubiger und mit dem allgegenwärtigen Risiko der Strafbarkeit ihrer Geschäftsleitung, wenn etwa Bestellungen aufgegeben werden, ohne dass wirklich Geld für die Bezahlung vorhanden ist. Straftatbestände wie Eingehungsbetrug oder Nichtabführen von Sozialversicherungsbeiträgen der Arbeitnehmer werden ja nicht abgeschafft, nur weil die Insolvenzantragspflicht hinausgeschoben wird.
Hier stellt sich die Frage nach wirksamen Alternativen. Wie sieht es denn mit den Krediten und Bürgschaften aus, die die Regierung verspricht? Schnelles, unbürokratisch verfügbares Geld ist doch genau das, was Unternehmen derzeit brauchen.
Der erste Mandant, der davon Gebrauch machen wollte, hat mir von seinem Besuch bei der Hausbank berichtet. Im Mai bekomme man die Richtlinien mit der Ausgestaltung, wie man künftig mit Bürgschaften umgehen sollte, hieß es da. Die Bank wollte – klar, so ist ja die bisherige Übung und das entspricht auch dem Gesetz – Jahresabschlüsse, Betriebswirtschaftliche Auswertungen, Ertragsprognosen und eine Ermittlung der Kapitaldienstfähigkeit, also der Fähigkeit, Kredite zurückzuzahlen. Da spricht die Bundesregierung also von „schnell und unbürokratisch“ und das ist die Realität, die beim betroffenen Unternehmer ankommt. Aber wie soll ich die Kapitaldienstfähigkeit errechnen, wenn in meiner Post kein Auftrag mehr ankommt?
Was sagen sie denn dann so einem Mandanten?
Wenn man ehrlich ist, muss sich der Unternehmer jetzt fragen: Wie lange halte ich als kleines und mittleres Unternehmen durch, bevor die Lichter ausgehen? Einen Monat, wenn die Sterne günstig stehen, zwei? Viele werden schon verdurstet sein, bevor das Wasser kommt. Das Chaos durch die Menge der Anträge bei den nötigen Kontrollpflichten der KfW und der eingebundenen Banken wird auch die Digitalisierung nicht auffangen können.
Noch bedenklicher ist die Langzeitperspektive. Am Beispiel eines Reisebüros sieht man, was vielen Branchen ins Haus steht. Schließlich laufen auch in Zeiten ohne Buchungen die Kosten weiter. Die Kredite decken Zeiträume ab, in denen keine Erlöse fließen. Wenn die Buchungen nach – schon sehr optimistisch gerechneten – drei Monaten nicht sofort wieder auf 100 Prozent hochschnellen, werden die Schulden zur unauflösbaren Langfristhypothek. Wer in einer Zeit ohne Einnahmen Geld nur aufnimmt, um Verbindlichkeiten zu decken, wird zwar sein Liquiditätsproblem los, landet aber in hoffnungsloser Überschuldung.
Haben Sie einen besseren Vorschlag?
Das Bemühen der Regierung wird vermutlich für sehr viele Unternehmen zu spät kommen. Am Ende lautet die Frage nicht, wie wir unpersönlich der Wirtschaft helfen wollen, sondern was wir für jedes einzelne Unternehmen, jeden Inhaber, jede Inhaberin und jeden einzelnen Mitarbeiter tun.
Um hier Erfolg zu haben, verfügen wir für die Unternehmen, die nach jetzigem Stand mittelfristig schlicht nicht tragfähig sind, schon seit vielen Jahren über ein wirksames und schnell funktionierendes Instrument. Das deutsche Insolvenzrecht ist schon seit 1999 auf Sanierung und Restrukturierung ausgerichtet, nicht auf Zerschlagung, wenn sich das irgendwie vermeiden lässt.
Wie würde sowas denn dann konkret ablaufen?
Es beginnt mit einem „vorläufigen Insolvenzverfahren“, und das stellt ein strauchelndes Unternehmen für drei Monate quasi unter Quarantäne. Das Unternehmen bekommt einen Insolvenzverwalter zur Seite gestellt, der es auf Herz und Nieren prüft und alles dafür tut, um es zu erhalten. Aus diesem Grund existiert ein gesetzlich verankerter Erhaltungsauftrag. Geht alles wie geplant, wird das Insolvenzverfahren eröffnet und der Patient nach drei Monaten wieder aus der Klinik entlassen.
Bei Insolvenz in Eigenverwaltung bleiben die bisherigen Geschäftsführer sogar am Ruder und bekommen vom Gericht lediglich einen Aufpasser, den Sachwalter, zur Seite gestellt. Ihn kann sich der Unternehmer bis zu einem gewissen Grade aussuchen, die Letztentscheidung trifft allerdings das Gericht. Durch diese Spielart wird sichergestellt, dass das Branchen-Knowhow und die Erfahrung der Unternehmer auch in der Krise bestmöglich genutzt werden können.
Das funktioniert trotz Krise schnell und unbürokratisch?
Weil Insolvenzen auch ohne Krise häufig sind – das Ausscheiden von erfolglosen Unternehmen ist ein ganz normaler und wichtiger Teil des Marktmechanismus –, ist der entsprechende Prozess zwischen allen Verfahrensbeteiligten sehr gut eingespielt und produziert fast wie auf Knopfdruck Ergebnisse, die wirklich helfen. Kein Unternehmen muss darauf warten, bis das Geld wirklich ausgeht und jemand die Insolvenz verlangt oder bis die Schulden es erdrücken. Es genügt, wenn die Liquidität in nächster Zeit absehbar wegzubrechen droht.
Verantwortungsvolle Unternehmer mit Weitblick können die Einleitung des Verfahrens beantragen und etwas in Gang setzen, das verhindert, dass es zum Untergang des Unternehmens kommt. Nach heutigem Stand muss ein Insolvenzverfahren begonnen werden, um das Instrumentarium des Gesetzes insoweit nutzen zu können.
Wie geht es danach weiter?
Finanziell stehen alle Betroffenen im Unternehmen nach Einleitung eines Insolvenzverfahrens besser da: Die Agentur für Arbeit übernimmt alle anfallenden Löhne und Gehälter inklusive aller Lohnnebenkosten. Die Mitglieder der Belegschaft geraten mit ihren Familien nicht in Not, die Unternehmensführer behalten die gesamte Liquidität für die laufenden Kosten und vor allem dafür, ihre Firma zukunftssicher neu aufzustellen.
Außerdem, und das ist ein starkes Argument, arbeiten alle Mitarbeiter in ihrer vollen Zeit weiter und können den Insolvenzverwalter dabei unterstützen, ihr Unternehmen umzubauen, die Arbeitsplätze zu retten und zu sichern, gegebenenfalls auch geeignete Kooperationspartner und Investoren zu finden, um sich langfristig stärker aufzustellen.
Wenn es dieses Mittel gibt und wenn es so gut funktioniert – warum wird es von der Regierung dann nicht öffentlich ins Spiel gebracht?
Darüber kann ich nur spekulieren und möchte nur ungern etwas unterstellen. Fakt ist, dass das vorläufige Insolvenzverfahren für den Staat teurer sein kann, wenn es flächendeckend eingesetzt wird, als punktuelle Hilfszahlungen. Schließlich werden alle Gehälter von der AfA getragen. Außerdem tauchen die Verfahren in der Insolvenzstatistik auf, was in der Politik vermutlich nicht gerne gesehen wird.
Die Kanzlerin mahnt zu Recht, die Bevölkerung und jeder Einzelne mögen die gesundheitlichen Risiken des Virus ernst nehmen. Sie zieht aber selbst nicht die Konsequenz, auch offen zu den wirtschaftlichen Konsequenzen Stellung zu nehmen. Gehört nicht dazu, den Unternehmen zu sagen, dass die staatliche Hilfe durch Zuschüsse und Darlehen nur für einen Teil der Unternehmen geeignet sind und dass – bei der gebotenen, ernsthaften Betrachtung – für andere Unternehmen das Insolvenzrecht mit eingespielten Mechanismen und heutzutage maximierter Rettungschance zur Verfügung steht?
Betroffene Unternehmen sind aber ja nicht gezwungen, die staatlichen Hilfen in Anspruch zu nehmen, oder?
Richtig, wer sich selbst informiert, kann – und das gilt für jede Unternehmerin und jeden Unternehmer – die vorläufige Insolvenz wegen drohender Zahlungsunfähigkeit selbst in Gang setzen, wenn die Analyse zeigt, dass diese unabweisbar ist. Man benötigt kein explizites Go der Politik dazu. Und vor dem Stigma der Insolvenz muss man sich heute nicht mehr fürchten.
Wichtig ist, dass man transparent und ehrlich mit Mitarbeitern, Kunden, Lieferanten und nicht zuletzt mit sich selbst verfährt. Wer trickst und täuscht, verliert die besten Kunden, Mitarbeiter und Geschäftspartner. Wer Mut beweist, die Probleme offen anspricht und zu seinen Worten steht, verdient und erwirbt das Vertrauen, das ein Unternehmen während und nach der Krise braucht.
Herr Römermann, vielen Dank für das Interview.
Auf tippen, dann auf „Zum Home-Bildschirm“ hinzufügen.
Auf tippen, dann „Zum Startbildschirm“ hinzufügen.
×