Der Drogerie-Unternehmer fordert Soforthilfen für Afrika und eine Kontrolle der Geburtenrate. Man könne die Flüchtlingsfrage nur vor Ort nachhaltig lösen.
Burgwedel Der niedersächsische Unternehmer Dirk Roßmann fordert die Bundesregierung auf, die deutsche Entwicklungshilfe dürfe nicht mehr „mit der finanziellen Gießkanne über den afrikanischen Kontinent eilen“. Mit dem bisher Erreichten könne man „nicht zufrieden sein, auch wenn vieles gut gemacht oder nur gut gemeint ist. Wir sollten eine ehrliche Debatte darüber beginnen, welche Investitionen in welchem Land sinnvoll sind.“
Roßmann, der selbst viele Projekte in Äthiopien unterstützt, fordert im Handelsblatt-Interview jährlich fünf weitere Milliarden Euro an Soforthilfe – allerdings nur für Länder, „die bereit sind, etwas dafür zu tun“. Das seien derzeit nur rund zehn der etwa 50 afrikanischen Staaten.
Ziel müsse es sein, „die Geburtenrate in jenen Ländern zu senken, die dieses Ziel auch aktiv verfolgen. Das schafft man nur mit besserer Gesundheitsversorgung und besserer Bildung, sexueller Aufklärung sowie Investitionsprogrammen für einen Ausbau der jeweiligen Wirtschaft.“ Solche Einzelhilfen könnten auch eine Leuchtturm-Funktion entwickeln – nicht nur auf dem afrikanischen Kontinent, sondern auch im Kreis der Geberländer.
Roßmanns Bilanz der bisherigen deutschen Entwicklungshilfe: „Die Industrieländer haben in den vergangenen Jahrzehnten viele, viele Milliarden an Unterstützung investiert – und es hat fast nichts gebracht. Vielerorts regieren mehr denn je Hunger, Terror und Korruption.“
Der 72-jährige Unternehmer gegenüber dem Handelsblatt: „Uns stehen unvorstellbare Probleme bevor, deren Konsequenzen immer grausamer werden, je länger wir zusehen, statt dem kraftvoll entgegenzutreten. Wir müssen aus unserer deutschen Lethargie heraus.“ Er ist sich sicher: „Ohne eine schnelle Senkung der Geburtenrate in Afrika wird man weder die Dramen dort, noch die menschlichen Tragödien im Mittelmeer oder die dann bei uns ankommenden Flüchtlingsströme eindämmen.“
Während der nächsten Wochen wird Dirk Roßmann in den Medien häufig zu sehen sein. Er hat seine Lebensgeschichte aufgeschrieben, die an diesem Montag unter dem Titel „... dann bin ich auf den Baum geklettert“ erscheint. Er wird also viel reden über seinen Aufstieg zu Deutschlands Drogerie-König. Aber er wird die Öffentlichkeit auch nutzen, um ein Thema anzusprechen, das er hier nun erstmals breit diskutieren will: die vermeidbaren Dramen einer missglückten Entwicklungshilfe und die Zukunft der Flüchtlingsfrage.
Schon bei einem Vorgespräch in Düsseldorf geriet Roßmann dabei vor einigen Wochen in heftige Diskussionen mit Handelsblatt-Chefökonom Bert Rürup und Vize-Chefredakteur Thomas Tuma. Man einigte sich schnell auf einen Gegenbesuch bei Roßmann in Burgwedel, um das Thema zu vertiefen. Der 72-Jährige will die Republik aufrütteln und erobern – das hat er schließlich mit seinen Märkten auch schon geschafft.
Herr Roßmann, Sie sind nicht nur der Gründer des gleichnamigen Drogerie-Imperiums, sondern auch ein sehr aktiver Entwicklungshelfer. Wie viel Geld haben Sie bislang in die von Ihnen mitgesteuerte Deutsche Stiftung Weltbevölkerung (DSW) gesteckt?
Es waren etliche Millionen Euro, die ich selbst investiert habe. Und ich habe Lieferanten und Freunde animiert, es mir gleichzutun. Wir reden über einen zweistelligen Millionenbetrag.
Sie selbst sind regelmäßig in Äthiopien unterwegs. Erlebt man da nicht auch viele Enttäuschungen oder Rückschläge bei dem Versuch, Gutes zu tun?
Im Gegenteil. Da zeigen viele Indikatoren in die richtige Richtung. Die DSW hat dort allein rund 150 Jugendklubs aufgebaut, wo es zunächst darum geht, Vertrauen zu schaffen und im nächsten Schritt auch über das wichtige Thema Empfängnisverhütung zu sprechen.
Geht die Geburtenrate zurück?
In Addis Abeba sank sie mittlerweile auf 1,5. Keine andere afrikanische Großstadt mit vier Millionen Einwohnern hat eine vergleichbar niedrige Geburtenrate. Die Arbeit der DSW hat signifikant diese Entwicklung befördert und unterstützt.
Wie zufrieden sind Sie mit der deutschen Entwicklungshilfe?
Damit kann ich nicht zufrieden sein, auch wenn vieles gut gemacht oder nur gut gemeint ist. Wir sollten eine ehrliche Debatte darüber beginnen, welche Investitionen in welchem Land sinnvoll sind.
Wo sehen Sie, dass die staatliche Entwicklungshilfe ineffizient arbeitet?
Im Kern geht es darum, viel mehr oder viel weniger zu tun. In Ländern mit schwachen Regierungen, die nicht verhindern, dass Milliarden ins Ausland transferiert werden, um dann auf einem Schweizer Nummernkonto zu landen – ich denke hier zum Beispiel an das ölreiche Nigeria –, wird jede Hilfe zur Absurdität. Nur Menschen, die lesen und schreiben können und wenigstens die Grundrechenarten verstehen, sind in der Lage, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, die wirtschaftliche Entwicklung und die Demokratisierung ihres Landes voranzubringen. Dabei ist es gerade in Afrika wichtig, die Stellung der Frau zu unterstützen. Regierungen, die in diesem Geist arbeiten, verdienen unsere Hilfe. Und hierbei sollte in Zukunft gelten: nicht kleckern, klotzen!
Was müsste Ihrer Meinung nach konkret getan werden?
Es geht schon mal damit los, dass wir nicht mehr mit der finanziellen Gießkanne über den afrikanischen Kontinent eilen.
Sondern?
Namhafte Wissenschaftler wie Reiner Klingholz gehen davon aus, dass man von den über 50 Staaten Afrikas vielleicht mit zehn wirklich zusammenarbeiten kann, ohne dass das Geld in korrupten Kanälen zu versickern droht. Nur dort ist Unterstützung überhaupt sinnvoll.
Welche Länder wären das zum Beispiel?
Malawi, Ruanda, Äthiopien.
Und dann?
Wünsche ich mir von der deutschen Regierung, dass sie – zusätzlich zu den rund 8,5 Milliarden Euro der momentanen Entwicklungshilfe – jedes Jahr weitere fünf Milliarden in die Hand nimmt, um damit die Geburtenrate in jenen Ländern zu senken, die dieses Ziel auch aktiv verfolgen. Das schafft man nur mit besserer Gesundheitsversorgung und besserer Bildung, sexueller Aufklärung sowie Investitionsprogrammen für einen Ausbau der jeweiligen Wirtschaft. Nur Bildung, wachsender Wohlstand und sinkende Arbeitslosigkeit bewirken einen Rückgang der Geburtenrate. Dazu gehören auch faire Handelsbeziehungen. Ich habe schon vor 20 Jahren in Äthiopien erlebt, dass oft hochsubventionierter Weizen aus den USA herumlag, während die einheimische Landwirtschaft zum Erliegen kam.
Alles also ein Fehler der westlichen Entwicklungshilfe?
Angesichts des Elends vor Ort und der nicht abebbenden Flüchtlingsströme muss man auch Afrika in die Pflicht nehmen: Wer Geld will, muss auch etwas dafür tun. Die Industrieländer haben in den vergangenen Jahrzehnten viele, viele Milliarden an Unterstützung investiert – und es hat fast nichts gebracht. Vielerorts regieren mehr denn je Hunger, Terror und Korruption. Allein in Subsahara-Afrika bekommen junge Frauen noch immer im Schnitt fünf und mehr Kinder. In Niger sind es sogar 7,6 Kinder pro Frau. Wenn hier nichts passiert, verdoppelt sich in vielen dieser Länder in nur 23 Jahren die Einwohnerzahl. Alle zwölf Jahre wächst die Weltbevölkerung um eine Milliarde Menschen. Uns stehen unvorstellbare Probleme bevor, deren Konsequenzen immer grausamer werden, je länger wir zusehen, statt dem kraftvoll entgegenzutreten. Wir müssen aus unserer deutschen Lethargie heraus.
Woran machen Sie die fest?
Wenn hierzulande nur noch über Mesut Özil oder Herrn Maaßens Zukunft diskutiert wird, statt dass wir aktiv und nachhaltig die wirklich großen Fragen angehen. Es würde uns auch einen neuen Stolz verschaffen, wenn wir mal wieder das Richtige täten, statt uns im Klein-Klein des Tagesgeschäfts zu verlieren. Wir müssen die vor uns liegenden Schwierigkeiten beherzt und unternehmerisch angehen.
Und dazu fordert ausgerechnet der Unternehmer Roßmann, dass der Staat einspringen soll?
Solche Herausforderungen, die unser aller Zukunft betreffen, liegen in erster Linie im Aufgabenbereich des Staates.
Sie wollen nur die moderaten, ernsthaft kooperierenden Staaten Afrikas unterstützen. Aber das hilft doch nicht gegen das Drama im großen Rest des Kontinents.
Ich glaube da an eine positive Provokation. Wenn afrikanische Leuchtturm-Länder mit unserer Hilfe die Lebensverhältnisse ihrer Bürger sichtbar verbessern und die Geburtenrate deutlich senken, wird sich das nicht nur in Afrika herumsprechen, sondern auch im Kreise potenzieller Geberländer in Europa.
Sie bekommen Europa doch nicht mal zusammen, wenn es um die Lösung der Flüchtlingsfrage geht.
Hier geht es nur um die deutsche Entwicklungshilfe und darum, was machbar, verantwortbar und nötig ist.
Mit Verlaub: Sie unterschätzen die hiesige Innenpolitik. Selbst wenn die Bundesregierung die Idee unterstützt, würde sie doch sofort zu hören bekommen: „Wieso pumpen wir noch mehr Geld nach Afrika, statt es hierzulande etwa in bessere Schulen oder Altenpflege zu investieren?“
Meine Antwort darauf: Weil die Lage zu ernst ist, um noch derart kurzfristig nur auf die nächste Wahl zu starren. Und so dumm sind die Bundesbürger nicht. Sie erkennen die globale Bedeutung solcher Hilfen, die wir uns als eines der wohlhabendsten Länder der Erde leisten können und in ureigenem Interesse auch leisten müssen.
Nochmals: Nicht nur die AfD würde empört aufschreien.
Sie haben ja recht: Wir haben zu wenig bezahlbaren Wohnraum. Wir wachsen in einen Pflegenotstand hinein. Wir kommen mit der Digitalisierung nur mühsam voran. Und doch halte ich meinen Plan für alternativlos, wie die Kanzlerin das nennen würde. Ohne eine schnelle Senkung der Geburtenrate in Afrika wird man weder die Dramen dort noch die menschlichen Tragödien im Mittelmeer oder die dann bei uns ankommenden Flüchtlingsströme eindämmen.
Sie könnten als Unternehmer mit gutem Beispiel vorangehen und zum Beispiel fairen Handel bei einzelnen Produkten fördern, womit die Kunden Ihrer Drogerien letztlich selbst helfen würden. Viele Unternehmen haben da längst eigene Projekte gestartet, die Mut machen.
Solche Projekte will ich gar nicht kleinreden. Aber sie sind langfristig gedacht. Um das ganz große Drama Afrikas wirklich noch abwenden zu können, müssen wir kurzfristig denken – und handeln. Die Lösung liegt in der Kooperation mit den Regierungen in Afrika. Und nur jene sollen künftig das Geld bekommen, die willens sind, etwas zu ändern in ihren Staaten.
Das klingt sehr altruistisch, wie Sie da deutsche Steuergelder verteilen.
Das ist nicht altruistisch, sondern egoistisch. Es geht auch um unsere eigene Zukunft. Glauben Sie, mir macht das Spaß, mit ansehen zu müssen, dass in manchen ostdeutschen Landkreisen schon ein Drittel der Stimmen an die AfD geht? Ich denke an Deutschland und Europa, wenn ich hier schnelle Hilfen für Afrika fordere.
Anderer Vorschlag: Sie suchen sich noch 99 andere Multimillionäre. Jeder gibt fünf Millionen Euro. Und mit dieser halben Milliarde würden Sie der Regierung vorschlagen, die Hilfe um den Faktor zehn zu erhöhen. Wäre nicht auch das glaubwürdiger?
Eine jährliche Beteiligung der deutschen Wirtschaft von 500 Millionen Euro halte ich für vorstellbar und machbar. Aber das reicht nicht. Schauen Sie sich bitte Menschen wie Bill Gates an …
… der Microsoft-Gründer und Multimilliardär …
… der sich wie viele andere Vermögende bewundernswert und mit hohen Summen engagiert. Allein die Impfprojekte der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung haben die Säuglingssterblichkeit weltweit bereits drastisch reduziert. Auch in unserer Hilfe bedarf es nicht nur des Geldes. Wir brauchen Tausende freiwillige Helfer; Fachleute auf allen Gebieten müssen animiert und gefunden werden, die dann zumindest temporär, vielleicht für ein oder zwei Jahre, in Afrika mit anpacken. Es geht um Austausch, Rat und Partnerschaften. Statt in Zukunftsängsten zu verdösen, sollten wir uns endlich wieder ins Gelingen verlieben.
Bill Gates warnt davor, dass der Westen Afrika nicht ignorieren sollte. Dabei lobt er jedoch das Engagement von Kanzlerin Merkel auf dem Kontinent.
Wie kommen Sie eigentlich auf exakt fünf Milliarden Euro als Forderung an die Bundesregierung?
Mit Finanzwesen, Haushalten, aber auch Staatsverschuldung habe ich mich schon viel beschäftigt in meinem Leben. Daher weiß ich: Diese Summe ist machbar, ohne dass wir uns finanziell übernehmen.
Gab’s eigentlich eine Initialzündung für Ihr Engagement in der Entwicklungshilfe?
Schon 1990 sagte die BBC-Dokumentation „Der Marsch“ die ganze noch kommende Flüchtlingsproblematik mit erschreckender Präzision voraus. Mir leuchtete das damals sofort ein. Das ist wie mit der Erderwärmung: Die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache. Die Probleme hängen miteinander zusammen: Je mehr Menschen die Welt bevölkern, desto höher der Verbrauch an Ressourcen und die Bedrohung des Weltklimas.
Hat die Bundesregierung Ihrer Meinung nach im Jahr 2015 eigentlich das Richtige getan, zum Höhepunkt der Flüchtlingskrise?
Es wäre nicht zielführend, darüber hier zu urteilen. Deutschland ist in dieser Frage ohnehin schon tief gespalten, um nicht zu sagen: zerrissen. Ich will mich da auf keine Seite schlagen, finde aber, dass Nächstenliebe nicht zur Selbstaufgabe führen darf.
Hatten Sie als Mensch, Bürger, Unternehmer jemals ein schlechtes Gewissen gegenüber Afrika, das von vielen Nationen ja auch über Jahrhunderte ausgebeutet wurde?
Ich fühle mich nicht für die gesamte Geschichte Deutschlands und Europas verantwortlich. Ein schlechtes Gewissen bekomme ich, wenn ich unredlich, unfair oder unsensibel war.
Erwägen Sie, Ihr Vermögen später mal in eine Stiftung einzubringen wie etwa der bereits erwähnte Bill Gates?
Es ist am besten, wenn Menschen, die für viele andere Mitverantwortung tragen, dazu bereit und fähig sind. Meine Söhne werden das Unternehmen weiterentwickeln, und für sie ist menschliches Handeln und Verantworten die beste Art zu leben. Also lautet meine Antwort: Nein!
Herr Roßmann, vielen Dank für das Interview.
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