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11.02.2018

16:07

Konkurrenz aus dem Silicon Valley

Warum Bielefelder Mittelständler Hilfe von Start-ups brauchen

Von: Katrin Terpitz, Johannes Steger

Bielefeld gilt als Mittelstands-Hauptstadt. Unternehmer aus der Region suchen die Nähe zu Start-ups – denn sie brauchen Anreize von außen.

Schon 150 Gründer aus Ostwestfalen-Lippe wurden hier ausgebildet. Founders Space

Founders Foundation in Bielefeld

Schon 150 Gründer aus Ostwestfalen-Lippe wurden hier ausgebildet.

Bielefeld „Die Ablehnung eines Risikos ist für ein Unternehmen das größte Risiko.“ Dieses Bekenntnis zu unternehmerischem Wagemut stammt nicht etwa von Facebook-Gründer Mark Zuckerberg oder Amazon-Chef Jeff Bezos, sondern von Reinhard Mohn. Der 2009 verstorbene Bertelsmann-Patriarch galt als Prototyp des deutschen Familienunternehmers: konservativ, pragmatisch, bodenständig. Von Gütersloh aus baute er den Verlag zu einem globalen Medienkonzern aus.

Hier im beschaulichen Ostwestfalen-Lippe zwischen Bielefeld, Gütersloh und Paderborn gibt es zwar nur zwei Millionen Menschen, aber etliche Familienkonzerne von Weltrang – von Dr. Oetker, Claas, Benteler, Tönnies bis Miele. Die 15 führenden Unternehmen der Region erwirtschaften rund 70 Milliarden Euro im Jahr. Bielefeld gilt als heimliche Hauptstadt des deutschen Mittelstands: reich, aber unsexy. Wer gründen wollte, der ging bis vor wenigen Jahren noch nach Berlin – zwar arm, aber sexy.

Doch die Zeiten ändern sich. Die Konkurrenz der Mittelständler sitzt mittlerweile nicht mehr nebenan, sondern vor allem im Silicon Valley. Branchenfremde Newcomer haben die Spielregeln des Marktes gnadenlos umgeschrieben. Viele Mittelständler haben es lange nicht wahrhaben wollen: Nur mit ihren eigenen Forschern und Entwicklern können sie schwer gegen Disruptoren bestehen. Vermehrt suchen sie die Nähe zu Start-ups, denn sie brauchen innovative Anreize von außen.

Das spürt auch Dr. Oetker. „Wir sind ein erfolgreiches Unternehmen mit einer richtig starken Marke. Die trägt uns noch lange – aber verhindert Veränderungen“, konstatiert Albert Christmann, persönlich haftender Gesellschafter der Dr. August Oetker KG aus Bielefeld. Oetker habe immer vom Produkt und der Marke her gedacht. Viel entscheidender sei heute, in Lösungen zu denken – zusammen mit den Verbrauchern. „Das kann man von Jeff Bezos gut lernen.“

Der Oetker-Manager sprach darüber in Bielefeld auf der Konferenz mit dem hintergründigen Titel „Hinterland of Things“. Dort beschnupperten und vernetzten sich Tech-Gründer, Investoren und Mittelständler aus der Region: eine bunte Mischung aus Hoodie- und Krawattenträgern. Es herrschte Aufbruchstimmung, was nicht nur an Bio-Fassbrause und der Kultband Frida Gold lag. In Ostwestfalen sei in nur wenigen Jahren ein enormer Sog für Start-ups entstanden, bestätigt ein Teilnehmer. „Die Mittelständler wetteifern regelrecht darum, wer mehr coole Gründer um sich schart.“

Veranstalter der Hinterland-Konferenz war die Founders Foundation. Die Start-up-Initiative wurde 2016 von der Bertelsmann Stiftung mit ins Leben gerufen. Im Windschatten etablierter Mittelständler will sie den Gründergeist in Ostwestfalen-Lippe fördern. 17,5 Millionen Euro sind in die gemeinnützige Initiative geflossen. Mehr als 150 Gründer hat die Foundation bisher ausgebildet.

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Mitgründer sind Sebastian Borek und Dominik Gross. Borek kennt beide Welten: Er stammt aus einem Familienunternehmen und hat in New York mehrere Start-ups gegründet, darunter einen digitalen Postkartenversand. „Berlin ist Deutschlands Gründerhauptstadt. Wir haben aber im Herzen des deutschen Mittelstands eine echte Alternative geschaffen.“ Reich, aber unsexy – mit dem Vorurteil über die Region will Borek aufräumen. Gründer entschieden sich jetzt bewusst für die Start-up-Ausbildung der Founders Foundation, insbesondere wenn es um Dienste für Gewerbekunden (B2B) und das Internet der Dinge gehe.

Kunden direkt nebenan

Auch Christian Miele, Spross des gleichnamigen Familienunternehmens und als Start-up-Investor bei Eventures tätig, glaubt an die Region als Gründerstandort. Hier gebe es wegen der Mischung aus führenden Unis, Know-how des Mittelstands und verfügbaren Kapitals gute Chancen für ein starkes Ökosystem.

Valuedesk macht vor, dass Gründen in der Provinz funktioniert. Das Start-up bietet eine Software, mit der die Industrie den Einkauf optimieren kann: „Mittels einer Wissensdatenbank und Cloud lassen sich Einsparungen sekundenschnell erfassen“, so Gründer Torsten Bendlin. Die Kunden kommen von nebenan: Miele, Dr. Wolff (Alpecin) oder Fensterbauer Schüco.

Bendlin von Valuedesk glaubt an die Stärken des Standorts: „Man kennt sich und ist räumlich so nah, dass man vieles persönlich besprechen kann.“ Der 48-Jährige war lange Einkaufsleiter bei einem Mittelständler, entschied sich dann für die Gründung: „Unternehmergeist gehört halt immer noch zur Region.“

Das meint auch Eyüp Aramaz – der 29-Jährige war Polizeikommissar, gab den sicheren Beamtenstatus Anfang 2016 auf und gründete Food Tracks. Das Start-up bietet eine Software, die sich aus Kassendaten speist: Bäckereien können so Verschwendung von Waren minimieren. Das System beachtet für seine Empfehlungen sogar Wetter, Feiertage oder Jahreszeit.

Zu den Kunden zählen Bäckereiketten im Bielefelder Raum. Es laufen Gespräche in anderen Städten – zu den Investoren zählt die Oetker-Gruppe. Auch Aramaz glaubt an den Standort: „Es gibt hier einen großen Willen seitens der Unternehmen, Start-ups zu helfen und sie nach vorne zu bringen.“ Zudem herrsche eine große Nachfrage nach Innovation und digitalem Vordenkertum.

Hackathon bei Miele

Miele zum Beispiel hat mit der Founders Foundation kürzlich ein 48-stündiges Hackathon veranstaltet. Mit dem Team, das die überzeugendste Lösung vorlegte, wurde eine Zusammenarbeit und Förderung vereinbart. Ähnliche Formate sollen mit der Garage 33 folgen, eine Gründerinitiative der Uni Paderborn. „Junge Unternehmen sind schnell, agil und oft unkonventionell. Von dieser kreativen Kraft und Vielfalt kann das gesamte Unternehmen profitieren“, heißt es beim Haushaltsgerätehersteller mit fast 120-jähriger Tradition.

Die Zusammenarbeit mit Start-ups helfe Miele, sich auf disruptive Veränderungen der Industrie vorzubereiten oder diese selbst mit anzustoßen. Zusätzlich wurde 2017 die Tochter Miele Venture Capital gegründet. Diese unterstützt Gründer durch gemeinsame Projekte, beim Marktzugang und zum Teil mit Kapital.

Auch Andreas Engelhardt, geschäftsführender Gesellschafter von Schüco International, schätzt die Arbeit mit Gründern. „Wir öffnen uns als Unternehmen ganz bewusst, um im Schulterschluss mit Start-ups die nächste Welle der Digitalisierung selbst mitgestalten zu können.“ Mit Hilfe von Start-ups könne Schüco Dinge aus anderer Perspektive betrachten. „Als großer und sicherer Tanker brauchen wir Schnellboote – die neuen Querdenker und Digitalexperten von morgen“, sagt der Schüco-Chef.

Dr. Oetker hat vor 16 Monaten eine Digital-Tochter als eine Art Schnellboot gegründet – allerdings in Berlin. Dort tüfteln 60 Experten an zukunftsfähigen Geschäftsmodellen. Sie gründen auch eigene Start-ups wie die Plattform Kuchenfreunde.de. Mit den Backexperten aus Bielefeld und den Digitalern aus Berlin startete gerade Backen.de. „Nach acht Wochen gab es schon eine Million Nutzer, meist unter 35“, schwärmt Christmann.

Gezielt vernetzt sich Oetker nun auch mit Gründern aus der Region. Christmann schätzt die kurzen Wege – zur Founders Foundation sind es nur fünf Minuten. Oetker schickt Mitarbeiter ebenso dorthin wie zur Garage 33. „Von Start-ups können wir lernen, dass sie offen sind und Veränderungen in ihrem Umfeld antizipieren“, sagt er. „Wir helfen Start-ups mit unserem Ingenieurwissen und dabei, ihr Geschäftsmodell zu skalieren. Eine schöne Symbiose.“

Letztlich seien Mittelständler gar nicht so weit weg von Start-ups, so Christmann gegenüber dem Handelsblatt. Zur industriellen Revolution war Dr. Oetker einer der ersten Markenartikler. „Was heute Content oder Influencer Marketing heißt, das hat schon der Gründer von Dr. Oetker gemacht“, so Christmann.

Worum er Jungunternehmen allerdings beneidet, ist die Aufbruchstimmung. „Der Schlüssel ist, diese Aufbruchstimmung in größere Unternehmen hineinzutragen“, glaubt Oetker-Chef Christmann. „Dann sind wir auch wieder Start-up.“

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