Die Bitburger Holding investiert seit einiger Zeit in junge Firmen. Der Chef der Holding spricht erstmals über die Strategie des Familienkonzerns.
Matthäus Niewodniczanski
Der Diplom-Kaufmann ist schon seit mehr als 20 Jahren für das Traditionsunternehmen Bitburger tätig.
Bild: Bitburger
Düsseldorf Die Bitburger Holding, Schwestergesellschaft der gleichnamigen Brauerei, hat über ihre Beteiligungsgesellschaft Bitburger Ventures jetzt in das Berliner Start-up Mushlab investiert – ein Unternehmen, das einen Fleischersatz aus Pilzen herstellt. Bitburger will so an der Entwicklung nachhaltiger Lebensmittel teilhaben – und sich offensiv als Partner einbringen.
Es ist nicht das erste Mal, dass sich das mehr als 200 Jahre alte Familienunternehmen aus der Eifel an einem Start-up beteiligt. Zuletzt hat die Bitburger Holding unter anderem in die soziale Konsumgüter-Marke Share investiert, in Hello Fresh Go und in Snoooze, ein Schlafgetränk auf Kräuterbasis.
„Eine Idee muss idealerweise auf unser Kerngeschäft einzahlen“, erklärt Matthäus Niewodniczanski, Geschäftsführer der Holding und Spross der siebten Generation, im Gespräch mit dem Handelsblatt erstmals die Strategie. „Für uns sind junge Firmen eine Quelle der Inspiration. Sie können uns helfen, unser Geschäft zu verbessern.“
Niewodniczanski weiß, dass er den sinkenden Bierkonsum in Deutschland mit seinem Engagement in der Start-up-Szene nicht verändern kann. Doch es gehe schließlich um den Werterhalt des Familienunternehmens: „Mit einer wachsenden Familie nur ein einziges Geschäftsmodell zu haben, auf das sich alle Erwartungen und Projektionen fokussieren, das halte ich für gefährlich“, sagt er.
Niewodniczanski gibt zu, dass die Holding zunächst die nötigen Kompetenzen aufbauen musste. „Wir haben mit dem Venture-Geschäft sehr spät angefangen, aber jetzt gut aufgeholt.“
Herr Niewodniczanski, die Deutschen trinken immer weniger Bier, das betrifft auch Bitburger. Sie setzen auf die Beteiligung an jungen Unternehmen außerhalb des Brauereigeschäfts. Wie groß ist der Druck zur Veränderung in der Eifel?
Ich glaube, dass wir den Bierkonsum hierzulande mit unserem Engagement in der Start-up-Szene nicht verändern können. Doch es geht uns bei Bitburger um den Werterhalt des Familienunternehmens. Um Veränderung und Weiterentwicklung. Für uns sind junge Firmen eine Quelle der Inspiration. Sie können uns helfen, das Kerngeschäft zu verbessern. Deshalb investieren wir in sie.
Seit Mitte 2018 hat sich die Bitburger Holding unter anderem an der sozialen Konsumgüter-Marke Share beteiligt, am Wasseraufbereiter-Unternehmen Mitte, an Hello Fresh Go und an Snoooze, einem Schlafgetränk auf Kräuterbasis. Zudem sind die Partner beim Frühphaseninvestor Project A und dem Kapitalgeber Visionaries Club. Das ist ein ziemlich bunter Strauß.
Eine Idee muss idealerweise auf unser Kerngeschäft einzahlen – oder auf eine unserer klassischen Beteiligungen. Seit vielen Jahren hat Bitburger Mehrheitsbeteiligungen beispielsweise an Gerolsteiner oder dem Werkzeugmacher Wera. Also: Einen Anknüpfungspunkt, den brauchen wir zwingend. Manchmal reicht da schon ein kurzer Blick auf das Geschäftsmodell eines Start-ups, um zu sehen, ob das mit uns klappen könnte.
Worauf legen Sie persönlich Ihren Fokus?
Ganz klar auf das Management. Wer steht hinter einer Idee, was ist das für ein Mensch? Was treibt ihn an? Beeindruckt er uns? Das sind Fragen, die uns sehr interessieren.
Ein Beispiel bitte.
Die Gründer, mit denen wir sprechen, sind keine Menschen, die ein bisschen in ihrer Garage spielen. Es sind junge Unternehmer – die sehr inspirierend sein können. Sebastian Stricker, der Gründer von Share, will mit sozial verträglichen Konsumgütern Menschen in Not helfen. Er hat bei der Boston Consulting Group gearbeitet, dann für die Bill Clinton Foundation. Er hat bereits ein Unternehmen gegründet und es an die UN verkauft. Er hat Menschen um sich, die für eine Idee und aus einer Überzeugung auf ein sicheres Einkommen verzichten.
Da ist eine große Faszination herauszuhören.
Ja, deshalb bin ich auch privat als Business Angel aktiv. Ich finde die Start-up-Szene unglaublich spannend. Da Berlin in Deutschland der Schwerpunkt der Branche ist, bin ich häufig dort vor Ort.
Wie unterscheiden sich Ihre privaten Investments von denen, die Sie mit Bitburger eingehen?
Privat habe ich natürlich ein anderes Risikoprofil. Als Geschäftsführer von Bitburger bin ich mehr Treuhänder des Vermögens der Familie und dessen, was hier im Unternehmen erwirtschaftet wurde. Mit meinem privaten Geld gehe ich schon ein größeres Risiko ein.
Bitburger hat im Vergleich zu anderen Mittelständlern sehr spät damit angefangen, in Start-ups zu investieren. Haben Sie nicht rechtzeitig erkannt, wie wichtig solche Beteiligungen für das Unternehmen sind?
Das stimmt. Wir haben mit dem Venture-Geschäft sehr spät angefangen, aber jetzt gut aufgeholt.
Das hört sich an, als hätten Sie im Tiefschlaf gelegen.
Wir haben die ganze Entwicklung zunächst sehr genau beobachtet und gemerkt, dass auch unser Kerngeschäft zunehmend einem Veränderungsdruck ausgesetzt ist. Nehmen wir unsere Mineralwasser-Beteiligung Gerolsteiner: Unser aggressivster Konkurrent ist kein traditioneller Brunnen, sondern ein Wassersprudler, Soda Stream. Bei uns hat es etwas länger gedauert, bis die Erkenntnis zu uns durchgedrungen ist, dass die Disruption uns auch treffen wird. Die Holding hatte in dem Bereich lange Zeit nicht ausreichend Kompetenz an Bord.
Was können Bitburger und die Beteiligungen daraus noch lernen?
E-Commerce, noch intensivere Social Media-Kommunikation, da gibt es genügend Themen. Dazu nutzen wir den Austausch mit unseren neuen Partnern wie Project A und unserer Start-up-Beteiligung Waterdrop, die da teilweise schon sehr viel weiter sind als wir. Dabei hatte sich Bitburger selbst auch schon mal grundsätzlich verändert – Diversifikation gab es bei uns schon früher.
Was genau meinen Sie damit?
Die Familie hatte bis in die 1950er-Jahre auch Land- und Forstwirtschaft betrieben. Die Brauerei wurde im Zweiten Weltkrieg komplett zerstört – und der einzige Grund, warum sie wieder aufgebaut werden konnte, waren die Erträge aus der Landwirtschaft.
Wie schwer ist es eigentlich, dass notwendige Personal hier nach Bitburg zu locken?
Ach, gar nicht so schwer, wie Sie denken. Bitburg ist nicht der Nabel der Welt, ja. Man muss die Menschen überzeugen, hier in die Region zu kommen. Doch bislang haben wir immer die Menschen, die wir brauchten, auch bekommen – und sie bleiben auch bei uns.
Know-how haben Sie auch in der Geschäftsführung der Holding. Dieter Henne hat zuvor für die Strüngmann-Brüder, die Erfinder von Hexal, gearbeitet.
Dieter Henne kennen wir schon sehr viel länger. Er hat bereits viele Jahre bei Bitburger gearbeitet, bevor er zu den Strüngmanns gewechselt ist. Er war damals bei uns für die Strategie und M&A in der Holding verantwortlich – jetzt ist er Geschäftsführer. Er ist hier sehr verwurzelt.
Was haben Sie Mitarbeitern zu bieten?
Flache Hierarchien, eine Vielfalt an interessanten Themen und frühzeitig Verantwortung. Wir sind in der Holding gerade einmal 17 Mitarbeiter. Es gibt keine Stechuhr, keine Anwesenheitspflicht. Einige Mitarbeiter in der Holding sind viel unterwegs, machen teilweise Home-Office. Was Sie nicht vergessen dürfen: Große Marken besitzen eine Strahlkraft. Bitburger gibt es seit mehr als 200 Jahren, das macht unser Geschäft glaubwürdig. Für junge Mitarbeiter, aber auch für Gründer.
Gibt es auch Parallelen zwischen einem traditionellen Familienunternehmen und der Start-up-Welt?
Eine ganze Menge sogar. Ein Familienunternehmen unterscheidet sich enorm von einem Großkonzern – aber nicht so sehr von einem Start-up. Was uns mit jungen Gründern verbindet, ist die große Leidenschaft für das Produkt. Das kann ein Finanzinvestor häufig gar nicht in der Form nachvollziehen. Der ist mehr zahlengetrieben. Und wir sind wie ein Start-up ähnlich pragmatisch, Entscheidungen werden deutlich schneller gefällt als im Konzern.
Wie viel Zeit gibt Ihnen die Eigentümerfamilie für ihre Strategie?
In unserem Familienkodex sind unter anderem die Ziele der Wertentwicklung geregelt. Es geht uns immer darum, den größten Teil der Erträge wieder zu investieren. Die Ziele, die wir haben, sind da sehr konservativ. Wir wollen nicht Wachstum um jeden Preis, wir wollen vor allem Kontinuität. Das Ziel ist, dass das Unternehmen im Wert mindestens so schnell wächst, wie die Familie größer wird. Das entspricht rund fünf Prozent pro Jahr, nach Inflation. Das ist das langfristige Wertwachstum, das wir anstreben.
Erreichen Sie das auch?
Schon. Im Venture-Geschäft geht es um relativ kleine Beträge, verglichen mit dem, was unser Kerngeschäft erwirtschaftet. Aber klar, wir investieren mit der Zielsetzung, dass wir auch in dem Bereich idealerweise kein Geld verlieren, sondern dass es sich wirtschaftlich rechnet. Ob wir mit den Beteiligungen wirklich erfolgreich sind, wird sich wohl erst in vielen Jahren zeigen. Doch noch viel wichtiger für uns ist es, Input zu gewinnen.
Wie schwer war es denn, die rund 35 Gesellschafter von der Bedeutung des Beteiligungs-Geschäfts zu überzeugen?
Wir haben uns in der Holding im Grunde genommen nur an den Leitfaden der Familie gehalten. In unserem Kodex ist der langfristige Erhalt des Unternehmens das zentrale Element. Unser emotionaler Mittelpunkt ist das Braugeschäft – und das Beteiligungsgeschäft hilft uns dabei, das Risiko zu streuen und langfristig zu wachsen.
Und das geht mit Bier nicht mehr?
Nein, jedenfalls nicht ausschließlich. Mit einer wachsenden Familie nur ein einziges Geschäftsmodell zu haben, auf das sich alle Erwartungen und Projektionen fokussieren, das halte ich für gefährlich. Eine breite Basis macht unabhängiger und lässt es zu, auch mal schwierige Phasen auszuhalten.
Sind denn alle mittlerweile alle Gesellschafter davon überzeugt?
Natürlich gibt es auch bei uns nicht immer zu allem eine einheitliche Meinung. Bei 35 Gesellschaftern wäre das ja auch etwas merkwürdig. Doch bei uns basiert Grundsätzliches auf dem Konsensprinzip. Wenn das nicht geht, verzichten wir dann lieber auf bestimmte Punkte, anstatt den Konsens aufs Spiel zu setzen.
Und wie sorgt Bitburger innerhalb der Familie für Konsens?
Wir fördern den Zusammenhalt schon bei den Jüngsten, organisieren Family Events und haben ein professionelles Familien-Management. Es geht darum, Konflikte zu lösen die es immer gibt, aber auch darum, die Identifikation zu fördern. Das unternehmerische Machtzentrum ist der Gesellschafterausschuss, der sowohl über die Gruppe, als auch über das Tagesgeschäft wacht.
Sie sind als Vertreter der siebten Generation operativ für das Beteiligungsgeschäft zuständig, ihr Bruder Jan für das Braugeschäft. Wie unterscheiden Sie und ihr Bruder sich?
Wir haben unterschiedliche Rollen. Doch gerade Venture-Investments, die die Holding eingeht, besprechen wir sehr eng mit der Braugruppe. Eine Beteiligung soll ja immer das Unternehmen als Ganzes voranbringen. Es geht darum, etwas für das Kerngeschäft zu lernen und dort besser zu werden.
Gibt es Beteiligungen, die Bitburger auf keinen Fall eingehen würde?
Wir sind interessiert an Nischen-Marktführern, die eine langfristige Perspektive haben und mit denen wir uns identifizieren können. Auf das Geschäft soll unsere Familie stolz sein. Es gibt doch immer die Gefahr eines negativen Imagetransfers. Den können wir uns nicht erlauben.
Herr Niewodniczanski, vielen Dank für das Interview.
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