Heiner Lang führt den Mittelständler als erster familienfremder Manager. Warum er die Produktion in China regionaler machen will und welche Rolle Indien spielt.
Federkraftklemme
Mit solchen Klemmen verbindet man Stromleitungen – ohne Schrauben.
Bild: Bloomberg
Minden 1,2 Milliarden Euro Umsatz macht der Mindener Mittelständler Wago im Jahr. Der Spezialist für Verbindungs- und Elektrotechnik ist mit einem eher unscheinbaren Produkt zum Weltmarktführer geworden: der Federklemme.
Diese Bauteile verbinden elektrische Leitungen, die „Wagoklemme“ ist zum Synonym für die ganze Produktklasse geworden. Wagos Produktpalette ist heute weitaus breiter. Und mit Heiner Lang führt seit gut anderthalb Jahren ein Ingenieur das Unternehmen, der das Portfolio versteht. Damit befindet sich zudem erstmals seit Gründung im Jahr 1951 ein familienfremder Manager an der Spitze des Federkraftklemmen-Spezialisten. Lang kam mitten im Lockdown von Bosch-Rexrodt zu Wago. Seine Zielsetzung: den Mittelständler zukunftsfest machen. Gerade ist er von einer Reise nach Indien zurückgekehrt, wo das Unternehmen die Produktion weiter deutlich ausbauen will.
Künftig will der Manager das Unternehmen sowohl in Amerika als auch in Asien breiter aufstellen und sowohl in Indien als auch in China weiterwachsen. In China sogar mit eigens für den dortigen Markt vor Ort hergestellten Produkten. Das Geschäft in Russland einzustellen sei derweil „unternehmerisch eine einfache, schnelle und einstimmige Entscheidung gewesen“.
Herr Lang, viele Unternehmen stellen ihr Chinageschäft infrage – auch Wago?
Nein. Wir sehen aber deutlich, dass das Wachstum in China nicht mehr so groß ist, wie es die vergangenen Jahre war. Und wir sehen auch, dass immer mehr in China für China produziert wird.
Was heißt das?
Lokale Erzeuger sind jetzt auf einem technischen Stand, dass sie ausländische Zulieferer leichter ersetzen können.
Also braucht China die europäische Technik nicht mehr?
Zumindest stehen die ausländischen Produktionsstätten europäischer Hersteller unter einem starken Wettbewerbsdruck von lokalen chinesischen Herstellern.
Auch Wago?
Ja, auch wir.
Heiner Lang
Der Chef des Federkraftklemmen-Herstellers Wago will das Thema Nachhaltigkeit vom Freitagnachmittag auf die tägliche Agenda setzen.
Wie viele Mitarbeitende hat Wago in China?
Unser Team vor Ort besteht aus rund 1300 Mitarbeitenden.
Es geht ja nicht nur um Wachstum und Wettbewerb, sondern auch darum, wie Ihr Unternehmen mit dem chinesischen Staat umgeht.
Das ist richtig. In unserem Risikomanagement spielen geopolitische Szenarien eine stärkere Rolle als früher.
Wollen Sie in China Produktion abziehen?
Nein, wir wollen eine Balance herstellen in unseren Produktionsstätten. Wir investieren derzeit verstärkt in Indien und wollen dort perspektivisch ähnliche Produktionsmengen erzielen wie in China. Wir diversifizieren also durch den bevorzugten Ausbau unserer Aktivitäten in Indien.
Also wird China dadurch weniger wichtig?
Ja. Aber nicht, weil wir dort weniger produzieren, sondern in Indien mehr.
Wie viele Mitarbeitende haben Sie bereits in Indien?
Knapp 400 Kolleginnen und Kollegen arbeiten dort für uns.
Geopolitik wird immer wichtiger. Was machen Sie in China anders?
Wir werden China eigenständiger aufstellen. Nicht, weil wir geopolitische Verwerfungen befürchten, sondern weil der Markt in China andere Produkte verlangt.
Will man dort weniger Hightech aus Deutschland?
Das könnte man so sagen. Dort will man keine over-engineerten, sondern lokal designte Produkte, die einfach und günstig sind. Dafür braucht man eine Einheit, die sich auf die spezifischen chinesischen Bedürfnisse einstellt. Daran arbeiten wir.
Machen Sie das in anderen Ländern nicht?
China ist ein eigener Markt und es herrscht ein besonderer Wettbewerb. Dem begegnet man am besten direkt aus dem Markt heraus.
Will Wago das Chinageschäft entkoppeln?
Das ist noch nicht entschieden, aber wir schauen hierbei nicht auf die politischen Entwicklungen, sondern auf den spezifischen Wettbewerb dort.
Aber dort entsteht eine autarke Einheit, da ist die vollständige Abkopplung des Chinageschäfts doch nicht mehr weit?
Aktuell haben wir solche Pläne nicht. Wir sehen eine Eigenständigkeit als eine Chance und nicht als Bedrohung, denn der chinesische Markt ist groß genug für eine individuelle Lösung.
Würden Sie zustimmen, Indien wird – sagen wir im Jahr 2030 – wichtiger sein als China?
Dieses Fazit haben wir noch nicht gezogen. Aber die Bedeutung von Indien als Markt und Produktionsstandort nimmt zu.
Wie viel Umsatz erwirtschaften Sie in China?
Wir erwirtschaften dort mehr als 100 Millionen Euro Umsatz und wollen ganz bewusst den Umsatz in China stärken. Das ist anders als beim Thema Russland, wo wir überzeugt sind, hier nicht mehr tätig sein zu wollen. In Russland das Geschäft einzustellen war unternehmerisch eine einfache, schnelle und einstimmige Entscheidung.
Weil das Geschäft dort so klein war?
Wir haben dort rund 30 Millionen Euro Umsatz pro Jahr erwirtschaftet.
Aber Sie haben dort die Niederlassung noch?
Wir haben alle Aktivitäten in Russland eingestellt, wir haben die Mannschaft auf ein Minimum reduziert, also einen Großteil der Belegschaft entlassen.
Sie haben dort aber noch einen kleineren Teil der Mitarbeitenden erhalten?
Von 50 auf unter zehn. Wir haben dort noch ein Lager, das eingefroren ist.
Wann werden Sie endgültig darüber entscheiden?
Das menschliche Leid macht mich traurig. Die aktuelle Situation ist untragbar, aufgrund der langjährigen Kundenbeziehungen und der Rumpfmannschaft führen wir das für einen überschaubaren Zeitraum weiter, wir werden noch in diesem Jahr entscheiden.
Deutschlands Hidden Champions wurden mit Ingenieurswissen groß. Auch Sie sind Ingenieur. Fühlen Sie sich gut vorbereitet auf so viele geopolitische Herausforderungen?
Ja und nein. Bei Unternehmen, die von Produkten leben, die Ingenieure schaffen, ist es ein großer Vorteil, wenn auch Ingenieure an der Spitze stehen. Das Verständnis ist einfach größer. Ich habe an mich auch den Anspruch, dass ich unsere Produkte gut erklären kann. Ingenieure sind generell neugierig, sie wollen alles verstehen, das hilft in jedem Job und auch bei politischen Zusammenhängen, die mit Unsicherheiten verbunden sind.
Hilft das, ein Unternehmen zu führen?
Davon bin ich überzeugt. Man braucht in jedem Fall einen offenen Blick, ein intrinsisches Interesse an Unternehmertum. Wenn man das hat, dann sieht man auch frühzeitig die Herausforderungen.
Haben Sie seit Ihrem Amtsantritt mitten in der Pandemie 2021 bereits organisatorisch etwas verändert?
Das waren schon besondere Umstände, als ich mitten im Lockdown an die Spitze bei Wago kam. Wir haben uns strategisch weiterentwickelt und die Welt in drei Regionen aufgeteilt, mit jeweils regionalen Verantwortlichen für Amerika, Europa, Asien. Also die Kontinente, auf denen wir mit insgesamt über 30 eigenen Gesellschaften aktiv sind. Diese Regionalität wollen wir fördern. Als Ingenieur würde ich sagen, auf drei Pfeilern steht man stabil. (lacht)
Gibt es also eine neue Ebene?
Ja, die Chefs dieser drei Regionaleinheiten berichten direkt an den Chief Sales Officer. Diese Struktur ist unser erster Schritt in eine deutlich stärkere Internationalisierung.
Müssen Sie weiter internationalisieren?
Eindeutig. Bislang erwirtschaften wir unsere Umsätze zu 70 Prozent in Europa und wir haben dabei auch noch einen großen Schwerpunkt in Deutschland.
Und wie sieht Ihr mittelfristiges Ziel aus?
Wir wollen 25 Prozent im amerikanischen, 25 Prozent im asiatischen und 50 Prozent im europäischen Raum erwirtschaften. Da müssen wir hin.
Wie lautete Ihre konkrete Aufgabe, als Sie 2021 ins Unternehmen kamen?
Die Aufgabe ist, das Unternehmen in die Zukunft zu führen. Eckpfeiler dafür sind profitables Wachstum, Unternehmertum und die langfristige Unabhängigkeit als Familienunternehmen. Auch das Thema Nachhaltigkeit ist meinen Gesellschaftern und auch mir ganz persönlich sehr wichtig. Diese Agenda setze ich jetzt strategisch mit meinem Team um.
Was schätzen Sie am meisten bei einem Familienunternehmen?
Die unternehmerische Freiheit, die mir mein Beirat gibt, weil er mich meistens machen lässt.
Das Thema Nachhaltigkeit ist Ihnen wichtig. In Ihrem letzten Nachhaltigkeitsbericht 2021 haben Sie sich aber nur wenig konkrete Ziele gesetzt …
Da müssen wir besser werden, ganz klar. Und ich bringe mich hier persönlich ein. Konkrete Schritte sind bereits eingeleitet.
Kennen Sie inzwischen den CO2-Fußabdruck für Wago?
Wir haben in einem Pilotprojekt in der Schweiz konkret den Fußabdruck für 2021 berechnet, 13.000 Tonnen CO2 sind es pro Jahr. Das entspricht dem Ausstoß von 1200 Haushalten.
Konnten Sie auch schon CO2 einsparen?
Ja, die Kunst besteht ja darin, zu wachsen und dabei den CO2-Fußabdruck zu verringern. In der Schweiz konnten wir durch einen veränderten Strommix 43 Prozent CO2 einsparen, während der Umsatz um 20 Prozent stieg.
Und insgesamt?
Wir hatten einen höheren CO2-Abdruck als 2021, mit einem höheren Umsatz, und das Verhältnis ist besser geworden. Wir haben heute beispielsweise Möglichkeiten, die Maschinen ressourcenschonender und mit weniger Energieverbrauch zu betreiben, wir haben die Temperaturen in den Gebäuden heruntergefahren und vieles mehr. Klar ist: Wir sind erst am Beginn dieser Reise und müssen noch mehr tun.
Worin besteht Ihre größte Herausforderung beim Thema Nachhaltigkeit?
In der gesamten Mannschaft den Fokus auf das Thema zu setzen. Nachhaltigkeit ist oft noch ein Thema für freitagsnachmittags. Ich möchte klarmachen, dass das wichtig und dringend für uns alle ist – und ja, vielleicht auch wichtiger als das letzte halbe Prozent Produktkostenoptimierung.
Ausbildung bei Wago
Das ostwestfälische Familienunternehmen Wago betreibt eine große Ausbildungswerkstatt, um dem Fachkräftemangel zu begegnen.
Bild: Christian Schwier
Also müssen Sie vor allem die Ingenieure überzeugen?
Nein, wir müssen das Thema in der gesamten Organisation verankern. Diese Transformation möchten wir in einfachen verdaubaren Schritten für Wago umsetzen.
Wie oft denken Sie an Nachhaltigkeit, außer freitagsnachmittags?
Bei jeder unternehmerischen Entscheidung.
Viele Mitarbeitende mussten Sie digital kennen lernen, hat das geklappt?
Im Corona-Lockdown waren kreative Ansätze gefragt. Ich bin ja im Lockdown gekommen. Wir haben damals jeden Tag ein virtuelles Meeting mit einem Land gemacht. Daran konnten maximal 15 Leute teilnehmen – über alle Hierarchien hinweg und ohne Agenda.
Bringt das was?
Ja, wir haben einfach geredet, und wir machen das heute auch noch so, es hat das Eis gebrochen und jeder weiß, dass er mich erreichen kann.
Herr Lang vielen Dank für das Interview.
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