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10.01.2022

11:57

Munich Re

Unwetterschäden steigen stärker als das BIP – Versicherer fürchten Milliardenkosten durch Klimawandel

Von: Christian Schnell

Unwetter könnten in diesem Jahr noch größere Schäden verursachen als die 280 Milliarden Dollar aus dem vergangenen Jahr. Experten fordern Investitionen in die kritische Infrastruktur – und sehen dabei ein Land als Vorbild.

Im Juli löste Sturmtief Bernd eine Sturzflut aus. dpa

Zerstörte Häuser im Ort Insul im Ahrtal

Im Juli löste Sturmtief Bernd eine Sturzflut aus.

München Die Versicherungskonzerne stehen vor einer wachsenden Zahl extremer Unwetterereignisse in den kommenden Jahren. „Gesellschaften müssen sich dringend an steigende Wetterrisiken anpassen und Klimaschutz zur Priorität machen“, fordert Torsten Jeworrek, Vorstand bei der Munich Re. Der erfahrene Topmanager gehört bereits seit dem Jahr 2003 dem Vorstand des weltgrößten Rückversicherers an.

Beim größten Wettbewerber Swiss Re rechnen die Experten sogar damit, dass die Schäden aus Naturkatastrophen durch steigenden Wohlstand, Urbanisierung und Klimawandel künftig stärker steigen werden als das globale Bruttoinlandsprodukt (BIP).

Für das laufende Jahr könnte gerade die starke Erwärmung der Arktis erneut zu großen Herausforderungen führen, wie Ernst Rauch erklärt, Chef-Klimatologie der Munich Re erklärt. Denn während in der nordpolaren Region die Temperaturen in den vergangenen Jahren spürbar gestiegen sind, war diese Entwicklung am Äquator deutlich geringer.

Der weltweite Gesamtschaden durch Unwetter und Naturkatastrophen betrug 2021 nach Berechnungen von Munich Re rund 280 Milliarden Dollar. Reuters

Satellitenbild eines Hurrikans

Der weltweite Gesamtschaden durch Unwetter und Naturkatastrophen betrug 2021 nach Berechnungen von Munich Re rund 280 Milliarden Dollar.

Die Folge sind veränderte Strömungsmuster, die das Starkwindfeld Jetstream immer wieder, ähnlich wie ein Gummiband, nach Süden oder Norden ausdehnen und dort zu lang anhaltenden Hitze- oder Kältewellen führen können. Das führt unter anderem zu sogenannten Deep-Freeze-Phänomenen wie den ungewöhnlichen Schneefällen kürzlich in Kalifornien oder dem schweren Kälteeinbruch im Süden von Texas im Februar vergangenen Jahres.

Damals waren Millionen Menschen ohne Strom, weil Gebäude und Infrastruktur nur unzureichend auf solche Temperaturen vorbereitet sind. Mit rund 30 Milliarden Dollar war das Deep-Freeze-Ereignis von Texas die drittteuerste Naturkatastrophe im vergangenen Jahr. Auf der Gegenseite häufen sich auch die Hitzewellen in gewöhnlich kühleren Regionen.

Ein Dorf in der kanadischen Provinz British Columbia brach im vergangenen Juni den Hitzerekord des Landes mit fast 50 Grad Celsius und bewegte sich damit nur knapp unter dem stets besonders heißen Death Valley in Kalifornien. Dort wurden 54,4 Grad Celsius gemessen. Kanada stellt für die Experten der Swiss Re damit „das andere Extrem des Wetterspektrums“ dar. Auch dort machen sich die Erwärmung des Atlantiks und die Veränderungen durch den Jetstream besonders bemerkbar.

Einen Eindruck künftiger Großschäden könnte auch der Vulkanausbruch geben, der zuletzt drei Monate lang die spanische Insel La Palma in Atem hielt. „Vulkane sind eine unterschätzte Gefahr“, sagt Ernst Rauch. Würde der Vesuv nahe Neapel oder der Mount Eden nahe der neuseeländischen Metropole Auckland ausbrechen, wäre das für die Region weitaus gefährlicher als die jüngsten Ereignisse auf La Palma.

Bereits im abgelaufenen Jahr war es die Addition aller weltweiten Unwetterschäden, die für Ernüchterung unter den Experten gesorgt hat. So belegte 2021 mit einem weltweiten Gesamtschaden von rund 280 Milliarden Dollar nach Berechnungen der Munich Re Rang vier hinter 2017, 2011 und 2005. Besonders auffällig dabei: Die teuersten Schadensjahre gab es nicht nur in den vergangenen beiden Jahrzehnten.

Auch die schadenreichen Einzelereignisse häufen sich. So war der Hurrikan „Ida“, der im Herbst die USA heimsuchte, das viertteuerste Einzelereignis in der Geschichte. Bei einem Gesamtschaden von rund 65 Milliarden Dollar war davon allerdings mit 36 Milliarden Dollar mehr als die Hälfte versichert.

Der Hurrikan Ida hat im Herbst 2021 verheerende Schäden angerichtet. AP

Überflutungen in Lafitte, Louisiana

Der Hurrikan Ida hat im Herbst 2021 verheerende Schäden angerichtet.

Damit setzt sich gerade in den entwickelten Ländern die Entwicklung fort, dass Betroffene zunehmend gegen Naturgefahren abgesichert sind. So nahm das vergangene Jahr bei den versicherten Schäden mit insgesamt rund 120 Milliarden Dollar gar Platz zwei ein hinter dem Rekordjahr 2017 – gemeinsam mit 2011 und 2005. Wie sehr allerdings Einzelereignisse das Gesamtergebnis in die Höhe treiben können, zeigt der Vergleich mit den Zahlen der Munich Re-Zahlen mit denen des Wettbewerbers Swiss Re, die Mitte Dezember veröffentlicht wurden.

Dort berechneten die Experten einen wirtschaftlichen Schaden von 259 Milliarden Dollar und einen versicherten Schaden von 105 Milliarden Dollar. Dann aber kamen die verheerenden Tornados im US-Bundesstaat Kentucky hinzu, die die Schadenssumme bis zum Jahresende auf 280 Milliarden Dollar nach oben trieben.

Auch Deutschland war im vergangenen Jahr besonders betroffen. Im Juli löste Sturmtief Bernd im Ahrtal eine verheerende Sturzflut aus. „Mit versicherten Schäden an Häusern, Hausrat, Betrieben und Kraftfahrzeugen von rund 12,5 Milliarden Euro ist 2021 das teuerste Naturgefahrenjahr seit Beginn der Statistik Anfang der 1970er-Jahre“, zog Jörg Asmussen, Hauptgeschäftsführer des Branchenverbandes GDV, kurz nach Weihnachten eine traurige Bilanz.

Die Flutkatastrophe an der Ahr werten die Experten dabei ebenso als Phänomen, das seinen Ursprung in der Erwärmung des Atlantiks hat. Dazu zählte in den vergangenen Jahren eine Reihe von „Hitzesommern“ ebenso wie Hochwasser durch Starkregen an vielen Flüssen. Auch dieser Trend dürfte in den nächsten Jahren anhalten.

Hurrikan „Ida“ ragt heraus

Ernst Rauch erkennt jedoch gerade in anderen Ländern Beispiel, die auch in Deutschland als Vorbild dienen können. „Die Deiche in New Orleans, die nach den schweren Überschwemmungen im Jahr 2005 errichtet wurden, haben gehalten.“ Damit habe Hurrikan „Ida“ zu deutlich geringeren Schäden geführt.

Bessere Prävention empfiehlt der Experte auch für Deutschland. „Hier müssen jedoch die besonderen topografischen Formen berücksichtigt werden“, so Rauch. So zeige in Flussgebieten, die von den großen Überschwemmungen in den Jahren 2002 und 2013 betroffen waren, die Renaturierung der Flüsse Wirkung.

Anders ist jedoch die Situation an der Ahr. „Der Schutz gegen eine Sturzflut ist eine schwierigere Aufgabe, da es dabei um sehr kleinräumige Maßnahmen geht“, so Rauch. Weil durch eine Talenge das Wasser beispielsweise ungleich schneller steige, sei es eine „Generationenaufgabe“, hier für dauerhaften Schutz insbesondere für die bereits bestehende Bebauung zu sorgen.

„Bei Neubauten muss das ein Weckruf sein“, so Rauch. Damit hänge auch unweigerlich die sensible Frage zusammen, ob in dauerhaft bedrohten Gebieten überhaupt wieder aufgebaut werden sollte.

Auch an anderer Stelle taugten die Erfahrungen aus den USA als Vorbild für Deutschland, so Rauch. Das gilt beispielsweise für die öffentliche Infrastruktur wie Straßen oder Brücken. Die sind hierzulande kaum versichert. Kommt es zu einem Totalschaden, dann greife „ein zwiebelhaftes Schutzsystem aus Bund, Ländern und der Europäischen Kommission“ – für den anschließenden Wiederaufbau kommt also der Steuerzahler auf.

In den USA ist die öffentliche Infrastruktur zumindest teilweise privatwirtschaftlich versichert. Wie groß die Herausforderungen aber auch dort sind, zeigen Berechnungen der Swiss Re. Auf durchschnittlich 500 Milliarden Dollar pro Jahr beläuft sich bis 2040 die Investitionslücke bei kritischer und alternder Infrastruktur.

„Die Folgen der Naturkatastrophen, die wir dieses Jahr gesehen haben, zeigen einmal mehr, dass erhebliche Investitionen in die Stärkung kritischer Infrastrukturen notwendig sind, um die Auswirkungen extremer Wetterlagen abzumildern“, sagt Chefvolkswirt Jerome Jean Haegeli.

Industrieländer immer besser abgesichert

Generell hat ein Umdenkungsprozess bisher nur in den entwickelten Ländern stattgefunden. Hier ist der Anteil an versicherten Schäden in den vergangenen Jahren spürbar gestiegen. Die Quote der versicherten Schäden nähert sich so der Marke von knapp 50 Prozent der Gesamtschäden, während in den sogenannten Nicht-OECD-Ländern weiterhin nur Schäden von weniger als zehn Prozent versichert sind.

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