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07.07.2019

08:07

Rügenwalder-Mühle-Chef Godo Röben

„Die Fleischlobby will Veggie-Wurst verhindern“

Von: Katrin Terpitz

Der Pionier und Marktführer für Pflanzenfleisch in Deutschland fordert mehr Forschungsgeld, um gegen die wachsende globale Konkurrenz zu bestehen.

Der aktuelle Hype um das US-Start-up Beyond Meat beflügelt auch den Wursthersteller Rügenwalder Mühle. Henning Bode/laif

Godo Röben

Der aktuelle Hype um das US-Start-up Beyond Meat beflügelt auch den Wursthersteller Rügenwalder Mühle.

Düsseldorf Derzeit ist Godo Röben viel in Berlin unterwegs. Der Geschäftsführer der Rügenwalder Mühle hielt eine Rede vor dem Bundestag und will Politiker von den Vorteilen pflanzlichen Fleischs überzeugen. Der traditionsreiche Wursthersteller von 1834, der seit sechs Jahren auch vegetarische Fleischprodukte fertigt, konnte den Umsatz nach einer Delle zuletzt wieder steigern. Der aktuelle Hype um das US-Start-up Beyond Meat beflügelt auch die Niedersachsen.

Herr Röben, Beyond Meat hat mit Burgerpatties aus Erbsenprotein einen regelrechten Hype ausgelöst. Warum sind Veggie-Burger plötzlich sexy?
Die gehen an die Börse und plötzlich sind 80 Millionen Umsatz acht Milliarden wert. Das zeigt, was das für ein Hype um Pflanzenfleisch ist. Beyond Meat macht genauso viel Umsatz im vegetarischen Bereich wie wir in diesem Jahr.

Macht Sie das nicht ein bisschen neidisch?
Nein, überhaupt nicht. Uns tut der Hype ja auch gut. Je mehr Menschen sich mit Pflanzenfleisch beschäftigen, umso besser. Das Thema kommt in der Politik in Deutschland viel zu spät an. Jetzt geht es aber um die weltweiten Märkte. Andere Länder wie Singapur oder Kanada geben Millionen frei zur Erforschung alternativer Proteine, richten Studiengänge ein. Nur die Deutschen pennen da noch.

Ist die Fleisch-Lobby zu mächtig?
Seit dem Hype um Beyond Meat laufen wir auf einmal offene Türen ein, weil jeder davon gehört hat. Die CSU mit dem damaligen Ernährungsminister Christian Schmidt war immer gegen die Bezeichnung „Veggie-Fleisch“. Nachdem CSU-Kollege Alexander Dobrindt im Silicon Valley war, schwärmte der von Veggie-Burgern. Ich sagte ihm, schauen Sie auf den deutschen Mittelstand! Der hat die schon auf dem Markt.

Fürchten Sie nicht, dass die Multis, die Milliarden in die Entwicklung von Pflanzenfleisch stecken können, Sie als Mittelständler irgendwann abhängen?
Natürlich sind die Konzerne große Konkurrenz, die viel mehr Geld hat als wir. Aber wir glauben, dass wir gegen die Multis bestehen können. Schon jetzt schmeckt unsere Pflanzenmortadella genauso wie tierische Mortadella, da gibt es nichts mehr zu entwickeln. Vom Geschmack her sind wir in der Lage, das zu schaffen. Zumal ich glaube, dass viele Menschen lieber bei einem deutschen Mittelständler kaufen als etwa bei Nestlé. Nachhaltig Wirtschaften und regional Kaufen wird immer wichtiger.

Vita Godo Röben

Das Unternehmen

Die Rügenwalder Mühle produziert seit 1834 Wurst und Schinken. 2014 startet die Familienfirma aus Bad Zwischenahn mit Pflanzenfleisch. 567 Mitarbeiter erwirtschaften 212 Millionen Euro.

Der Manager

Godo Röben, 50, begann 1995 im Marketing, Geschäftsführer ist er seit 2017. Bis 2014 war er Verwaltungsrat von Mövenpick Marché.

Wäre das nicht der richtige Zeitpunkt für Rügenwalder Mühle, um Kapital an der Börse einzusammeln?
Ein entschiedenes Nein. Wir sind als Familienunternehmen in Deutschland mit derzeit 38 Prozent Marktanteil Marktführer bei Pflanzenfleisch. Mit Beyond-Meat-Burgern sind wir auf Augenhöhe. Klar, brauchen wir Geld, in den nächsten vier Jahren bauen wir ein neues Werk nur für vegetarische und vegane Produkte, dafür investieren wir einen mittleren bis hohen zweistelligen Millionenbetrag. Aber das machen wir gerne, weil das Unternehmen langfristig in Familienhand bleiben soll.

Wie war das in den Pionierzeiten, als Rügenwalder Mühle beschloss, das eigene Geschäft zu kannibalisieren?
2014 standen sich Vegetarier und Fleischesser ideologisch noch gegenüber. Wir haben die Probleme der Branche immer schon offen angesprochen – die Massentierhaltung treibt den Klimawandel voran und Fleisch ist für die Gesundheit nicht unbedingt zuträglich. Wir wollten bessere Lösungen finden. Man kann den Schwarzen Peter nicht immer den Verbrauchern zuschieben, die Industrie ist in der Pflicht, gesündere Produkte anzubieten.

Wie haben Sie die Belegschaft überzeugt?
Die war zunächst dagegen, das waren ja überzeugte Fleischfans. Doch irgendwann sagte mir einer unserer Metzger: „Du hast ja recht, meine beiden Töchter sind auch Vegetarier.“ Das zeigte mir: Wenn der Veggie-Trend auch hier auf dem Land in Niedersachsen angekommen ist, ist das keine Eintagsfliege.

Doch nach dem ersten Hype kam die Ernüchterung.
2014 haben wir mit vegetarischer Wurst begonnen. 2015 war gigantisch. Ein Jahr später wollten andere Firmen unseren Erfolg nachmachen und haben ohne Sinn und Verstand zum Teil auch schlechte Produkte herausgebracht. Somit war bis Mitte 2018 Stagnation im Markt. Da waren wir schon etwas konsterniert. Doch seit dem Herbst explodiert der Markt weltweit.

Warum sind Sie sicher, dass der Boom anhält?
Aktuelle Studien von AT Kearney und JP Morgan zeigen: In den nächsten zehn Jahren sollen 30 bis 40 Prozent der tierischen Eiweiße durch pflanzliche ersetzt werden – in Deutschland und weltweit.

Aber im Moment ist das ja noch ein absoluter Nischenmarkt mit drei Prozent Anteil.
Noch, aber Marktforscher rechnen schon in zehn Jahren mit einem weltweiten Markt von 100 bis 400 Milliarden Dollar, der jetzt entsteht. Im Lebensmittelbereich gibt es kein Unternehmen, dass sich dort nicht engagieren will. Pfeifer & Langen bekannt für Zucker und Chips hat kürzlich die Mehrheit an Amidori übernommen. Die Veggie-Firma stellt etwa aus Erbsenprotein Lebensmittel her. Nestlé will Wursthersteller Herta verkaufen, Unilever hat Bifi abgestoßen und stattdessen „The Vegetarian Butcher“ gekauft.

Könnten Sie sich vorstellen, als Traditionsfleischerei von 1834 künftig 100 Prozent veggie zu sein?
2020 wird unser Veggie-Anteil sehr wahrscheinlich schon bei 40 Prozent vom Umsatz liegen – und das in nur sechs Jahren. Letztlich wird das der Verbraucher entscheiden. Vorstellen können wir uns alles.

Sie bekommen nicht nur Lob von Tierschützern, sondern auch Kritik: Für Ihre Veggie-Mortadella aus Hühnereiweiß müssten zwölf Hühner sterben, für normale Mortadella „lediglich“ ein Schwein.
Die haben grundsätzlich recht. Einem Huhn ist es egal, ob es in unwürdigen Verhältnissen im Stall steht, um Eier zu legen oder geschlachtet zu werden. Deshalb wollen wir so schnell wie möglich alle Produkte auf vegan umstellen. In den nächsten fünf Jahren könnten wir absolut ohne Eier auskommen.

Was nehmen Sie stattdessen? Tofu schmeckt ja nicht jedem.
Der Geschmack ist entscheidend. Neben Soja nutzen wir daher Erbsenprotein, Weizen und Kartoffeln. Wir wollen dabei möglichst kein Soja aus Amerika verwenden, sondern lieber Rohstoffe rund um unseren Kirchturm. Daher forschen wir auch mit Lupinen und anderen heimischen Rohstoffen.
Da ist aber generell noch ein bisschen Forschungsarbeit nötig, deshalb versuchen wir gerade, die Politik zu überzeugen, dass Deutschland da führend wird. Bei Wurst- und Fleischwaren sind wir die führende Nation. Wäre doch toll, wenn wir auch führend bei Pflanzenfleisch sind – mit heimischen Rohstoffen.

Ist das in der Fleischbranche ein ähnlich disruptiver Umbruch wie bei der Mobilitätswende?
Es gibt drei große Wenden: Bei der Energiewende dachte man vor 30 Jahren auch, mehr als zehn Prozent erneuerbare Energien gehen nicht. Dann gibt es die Mobilitätswende, die nun Fahrt aufnimmt. Die dritte disruptive Wende ist die Agrarwende hin zu pflanzlichen Proteinen. Ob die nun in zehn oder 20 Jahren geschafft ist – egal. Letztlich ist es nur ein Wimpernschlag der Geschichte.

Wenn sich immer mehr Menschen lieber vegetarisch ernähren – warum essen die nicht einfach mehr Gemüse? Warum brauchen sie den Fleisch- oder Wurstgeschmack?
Warum wollen die Menschen weiter Auto fahren? Sie könnten ja auch Bus oder Bahn nehmen. Weil sie das Autofahren lieben, steigen sie auf Elektromotor um. Genauso ist es mit Fleisch und Wurst. Den Leuten zu verbieten Fleisch zu essen, funktioniert nicht. Mit dem „Veggie Day“ haben die Grünen eine Bauchlandung hingelegt. Wenn man den Menschen aber sagt, du kannst weiter dein Schnitzel und dein Wurstbrot essen und abends grillen, und trotzdem Gutes tun für deine Gesundheit, Tiere und Klima, dann machen viel mehr mit.

Kritiker sagen, Veggie-Fleisch besteht aus stark verarbeitenden Zutaten, was auch nicht gesund sei. Was sagen Sie dazu?
Wir haben Schinkenspicker in Fleisch und vegan. Die Zutatenlisten sind gleich lang. Statt Fleisch und Speck kommen eben Kartoffeln, Erbsen und Rapsöl rein. Und für einige Wochen Haltbarkeit braucht man eben auch Zusätze. Wir sind aber dabei, immer mehr Zusatzstoffe aus allen Produkten rauszubekommen. Unsere vegetarischen Frikadellen haben wir mit sieben Zusatzstoffen eingeführt, jetzt ist kein einziger mehr drin.

Vom EU-Parlament kam der Vorstoß, die Begriffe „veganes Steak“ oder „vegetarische Leberwurst“ zu verbieten. Das wäre ja für Sie nicht unbedingt kauffördernd.
Statt vegetarische Salami sollen wir „vegetarisches Wursterzeugnis in Form einer Scheibe auf Basis von Raps“ oder so ähnlich auf die Packung schreiben. Grotesk.

Wer kauft so etwas dann noch?
Die Fleischlobby will Veggie-Wurst verhindern – aber nicht zum Schutz der Verbraucher. Wir haben bisher Hunderte Millionen vegetarische Produkte verkauft und es hat sich nie jemand vergriffen. Wenn so ein Gesetz käme, wäre das fatal für uns. Aber die Mühlen der EU mahlen langsam. Wenn in 20 Jahren die Entscheidung kommt, sieht man das hoffentlich anders.

Essen Sie eigentlich noch Fleisch?
Ich liebe den Geschmack von Fleisch und Wurst. Wenn ich nur Gemüse essen dürfte, würde ich unzufrieden sein. Aber ich esse Fleisch und Wurst derzeit fast nur noch aus Pflanzen – und bekomme dadurch meine Cholesterinwerte wieder in den Griff.

Mehr: Lange haben Start-ups vom Vegan-Trend profitiert. Nun steigen auch Konzerne ein. Ein lukratives Geschäft, das auch Trittbrettfahrer anlockt.

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