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14.08.2020

04:00

Serie: Ostdeutsche Erfolgsgeschichten

Wie Komsa zum größten ostdeutschen Familienunternehmen wurde

Von: Christoph Kapalschinski

Gunnar Grosse kam 1990 mit einer utopischen Idee nach Sachsen: Telefone ohne Schnur. Heute ist Komsa das größte ostdeutsche Familienunternehmen.

Vor drei Jahren verabschiedete sich der Gründer aus der operativen Geschäftsführung. Komsa AG

Gunnar Grosse

Vor drei Jahren verabschiedete sich der Gründer aus der operativen Geschäftsführung.

Hartmannsdorf Schon an der Autobahnausfahrt Hartmannsdorf kurz vor Chemnitz weisen Schilder auf das Unternehmen Komsa hin. Ein ganzer Abschnitt im Gewerbegebiet ist für Büros und Lagerhallen reserviert. Fast unwirklich scheint da, was als Keimzelle das Unternehmens von den oberen Etagen aus noch zu sehen ist: ein alter Bauernhof auf der Kuppe eines Hügels.

Als Gunnar Grosse 1990 aus Schweden zu diesem sächsischen Stammhof seiner Familie zurückkehrte, war nicht absehbar, was aus dem Erbe werden sollte. Grosse entschloss sich damals mit Anfang 50, etwas Neues zu wagen. Landwirt wollte der Unternehmer nicht werden. Stattdessen witterte er ein neues Geschäftsfeld: Mobilfunk. Im Osten waren die Telefonleitungen schlecht, mit der Wende gab es hier eine besondere Nachfrage nach tragbaren Telefonen. Und der Skandinavier Grosse hatte Kontakt zu Ericsson.

Laut Komsa-Firmenlegende lag 1992 das erste Lager im Pferdestall, bei dem für einen ersten Besuch der Ericsson-Manager noch schnell das letzte Heu ausgefegt wurde. „Als ich nach Hartmannsdorf gekommen bin, hat noch kein Mensch von Mobiltelefonen und der Digitalisierung gesprochen. Das Momentum der Wiedervereinigung war natürlich vorhanden – jeder sprach von den großen Chancen in den neuen Bundesländern“, erinnert sich Grosse.

Die Aufbauarbeit war mit den damaligen Rahmenbedingungen alles andere als einfach. Wir haben mit unserer Geschäftsidee schließlich absolutes Neuland betreten.“ Die Expedition ins Unbekannte hat sich ausgezahlt: Drei Jahrzehnte später hat sein Unternehmen Komsa 1.300 Mitarbeiter, setzt 1,2 Milliarden Euro um und ist damit laut Stiftung Familienunternehmen das größte Familienunternehmen in Ostdeutschland.

Komsa vermarktet Mobiltelefone für mehrere große Marken, übernimmt deren Reparaturservice und wickelte das Smartphonegeschäft unter anderem von Otto.de ab. Doch das Unternehmen ist reif für einen erneuten Umbruch. Pierre-Pascal Urbon soll den Distributeur weiterentwickeln. Im Frühjahr holte Unternehmensgründer Grosse den früheren SMA-Solar-Chef nach Sachsen.

„Für den immensen Entwicklungsschub, den die Digitalisierung mit sich bringt, sehen wir uns mit der neuen Vorstandsaufstellung und der Umstrukturierung der Komsa-Gruppe bestens gerüstet“, formuliert der Gründer seine Erwartungen. Urbon hat mit der Arbeit schon begonnen. „Wir wollen unsere Kompetenzen bündeln“, sagt er im Gespräch mit dem Handelsblatt. Um die verborgenen Potenziale zu heben, legt der Manager Abteilungen zusammen.

Stärkere Softwarekompetenz als Vision

Er will zwei klare Säulen herausarbeiten: auf der einen Seite das Handelsgeschäft, auf der anderen die Services. Mitarbeiter sollen sich fortbilden, neue Ideen entwickeln. „Wir werden daher keinen groß angelegten Mitarbeiterabbau betreiben“, verspricht er.

Die Operation soll auch eine Erweiterung der Geschäfte ermöglichen. „Sex-Appeal bekommt das Geschäft, wenn wir es mit Datenanalyse verknüpfen“, sagt Urbon. Seine Vision ist eine stärkere eigene Softwarekompetenz. Dann könnte Komsa beispielsweise Unternehmenskunden nicht nur mit Telefonanlagen und Smartphones beliefern, sondern auch die Nutzung erfassen und so Arbeitsabläufe verbessern.

„Stellen Sie sich etwa einen Baumarkt vor, bei dem die Verkäufer mit Tablets ausgerüstet sind. Wir könnten auswerten, was darauf passiert und wie sich der Verkauf verbessern lässt“, überlegt Urbon. Auch im Bereich Internet der Dinge will er investieren.

Schon jetzt bietet Komsa Unternehmen an, eine große Zahl mobiler Geräte komplett mit aufgespielten Sicherheits- und Cloud-Lösungen sowie der jeweiligen Unternehmenssoftware an die Mitarbeiter zu geben, sie zu warten und zu reparieren – und nach der Rücknahme als Gebrauchtgeräte weiterzuverkaufen. Damit will sich Komsa auch gegen neue Konkurrenten behaupten.

Das junge Unternehmen Everphone etwa hat vor wenigen Wochen 34 Millionen Euro Risikokapital eingesammelt – unter anderem von der Telekom. Everphone stattet ebenfalls Unternehmenskunden mit Smartphones aus und will stärker ins Softwaregeschäft vordringen – ein Geschäft, das Grosse bei der Gründung noch nicht absehen konnte.

Seit Frühjahr baut der frühere SMA-Solar-Manager das Unternehmen um. Komsa

Pierre Pascal Urbon

Seit Frühjahr baut der frühere SMA-Solar-Manager das Unternehmen um.

Mit den neuen Geschäftsfeldern will Urbon Komsa internationalisieren. Bislang ist das Unternehmen in Deutschland und Polen aktiv. Denn das herkömmliche Geschäft eignet sich kaum für die weitere Expansion in Europa. Das etablierte Reparaturgeschäft in Polen musste Komsa vor einiger Zeit sogar schließen, da ein wichtiger Kunde abgesprungen war.

Entscheidend für den Erfolg sind enge Partnerschaften. „Wir müssen uns gegenseitig sehr stark aufeinander verlassen können“, sagt Sascha Lekic, Manager bei Samsung Electronics in Schwalbach. „Dieses Vertrauen haben wir in der jahrelangen Partnerschaft mit Komsa gegenseitig aufgebaut.“

So habe Samsung beispielsweise gemeinsam mit Komsa die Bundespolizei mit Smartphones ausgerüstet. „Zu ihrem Rundumservice gehören dabei exakte Bedarfsanalysen, individuelle Beratung zum Einsatz der Lösungen, schnelle und sichere Implementierung vor Ort, Service und Support, Schulungen und Trainings“, beschreibt Lekic die Aufgaben von Komsa in der Kooperation.

Der schwedische Geist ist spürbar in Hartmannsdorf, etwa wenn Gründer Grosse Tage der offenen Tür unter das Motto „Hej Nachbar“ stellt. Die demonstrative Weltoffenheit ist auch eine Absage an die starke Präsenz von neurechten Strömungen in Sachsen. „Auf größeren Industrieveranstaltungen in der Region erlebe ich, dass von der Wirtschaft eher stärker Position gegen die AfD bezogen wird als im Westen“, hat der Neu-Sachse Urbon festgestellt.

Der Start in Ostdeutschland sei ihm daher leichtgefallen. Auch Ost-West-Konflikte sieht der Westdeutsche Urbon bei dem Unternehmen nicht. Der vierköpfige Vorstand bestehe je zur Hälfte aus Westlern und Ostlern.

Kein Gedanke an einen Börsengang

Beim Unternehmensumbau hält Urbon engen Kontakt mit dem Unternehmensgründer, der sich 2017 aus der Geschäftsleitung zurückgezogen hat. „Wir sprechen mindestens einmal pro Woche“, sagt der neue Chef. „Dass ich eine so umfangreiche Reorganisation leiten darf, ist ein großes Zeichen für Vertrauen.“ Als ersten Schritt bündelt er das Handelsgeschäft in eine einzige Gesellschaft und halbiert so die Zahl der Firmentöchter. Das soll mehr Profit bringen, aber auch den Kontakt zu den 20.000 Fachhändlern und 250 Herstellern vereinfachen.

Einen ganz großen Umbruch wie bei seinem alten Arbeitgeber SMA Solar soll der Finanzexperte hingegen wohl nicht einleiten: An einen Börsengang werde nicht gedacht, sagt er. Allerdings will er ähnlich professionelle Strukturen vom Führungskreis bis zu Quartalsberichten einführen, ohne die langfristige Perspektive eines Familienunternehmens zu verlieren.

Die Verbindung von Tradition und Zukunft zeigt sich überall im Unternehmen. Grosse dekoriert Flure und Kantine mit seiner Sammlung alter Telefone aus Ost und West, Frühzeit und jüngster Vergangenheit des Mobilfunks. Dazu kommen Antiquitäten. Auch bei der Namensgebung der Konferenzräume setzte er Zeichen: Der Raum „Steve Jobs“ liegt neben dem Raum „Manfred von Ardenne“, benannt nach dem Dresdener Erfinder des Fernsehers.

Familienunternehmen sind in den neuen Bundesländern eine feste Größe. Dort wirtschaften mit 92 Prozent sogar mehr als in den alten Bundesländern. Das Handelsblatt präsentiert in Kooperation mit der Stiftung Familienunternehmen bis zum 2. Oktober zehn Erfolgsgeschichten. Die einzelnen Serienteile sowie Hintergründe finden Sie hier

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