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15.10.2021

15:09

Serie: Unternehmerinnen weltweit

Linda Hasenfratz: „Diversität und Inklusion sind Aufgabe des ganzen Unternehmens“

Von: Gerd Braune

PremiumLinda Hasenfratz ist CEO des Autozulieferers Linamar und eine der erfolgreichsten Unternehmerinnen Kanadas. Sie ermuntert Frauen, in die Automobilindustrie einzusteigen.

Linda Hasenfratz führt Linamar seit 2002.

Linda Hasenfratz

Linda Hasenfratz führt Linamar seit 2002.

Ottawa Als Linda Hasenfratz vor fast 20 Jahren Vorstandschefin des kanadischen Autozulieferers Linamar wurde, gab es nur sehr wenige Frauen in dieser Position. Damals trat sie die Nachfolge ihres Vaters Frank Hasenfratz an. Das Verwandtschaftsverhältnis möchte sie aber nicht als entscheidendes Kriterium für ihre Karriere verstanden wissen: „Abstammung qualifiziert dich für gar nichts“, hatte Hasenfratz in einem Interview einmal gesagt. Es sei auch nicht wichtig, welchen Geschlechts oder wie alt man sei.

Sie ermuntert Frauen, in die Automobilindustrie einzusteigen, und rät ihnen: „Sucht nicht nach dem Negativen. Konzentriert euch auf das, was ihr gut könnt.“

Hasenfratz, heute 55 und eine der erfolgreichsten Unternehmerinnen Kanadas, hat das getan. Sie ist überzeugt: „Es ist nicht nur richtig, sondern auch wichtig für den unternehmerischen Erfolg, dass Unternehmen Diversität und Inklusion fördern.“

2001 beschäftigte Linamar 8600 Menschen in 30 Produktionsstätten. Heute sind es nach Angaben des in Guelph ansässigen Unternehmens weltweit 27.000 Angestellte, davon etwa 10.000 in Kanada, und 61 Produktionsstätten. 2019 lag der Umsatz bei umgerechnet fünf Milliarden Euro.

Seit 2013 ist Linamar auch in Deutschland aktiv. Damals übernahm die Kanadierin die Salzgitter Antriebstechnik im sächsischen Crimmitschau und 2015 Seissenschmidt im nordrhein-westfälischen Plettenberg. Insgesamt betreibt Linamar inzwischen acht Produktionsstätten in Deutschland.

Die profilierte Unternehmerin war Mitglied der kanadischen Delegation, als Premierminister Justin Trudeau 2017 zu seinem ersten Treffen mit dem gerade ins Amt eingeführten US-Präsidenten Donald Trump nach Washington reiste. Auf dem Programm stand eine Gesprächsrunde über die stärkere Beteiligung von Frauen am Wirtschaftsleben und die Gründung eines kanadisch-amerikanischen Rates, der Empfehlungen vorlegen sollte, wie dieses Ziel erreicht werden kann.

Der Rat unter Leitung ihrer Co-Vorsitzenden Linda Hasenfratz und Julie Sweet, CEO von North America Accenture, hat seinen Bericht inzwischen vorgelegt und damit seine Mission beendet. „Wir haben unsere Arbeit gemacht“, sagt Linda Hasenfratz im Gespräch mit dem Handelsblatt.

Die Vorschläge reichen von einer familienfreundlichen Politik über besseren Zugang zu Kapital für Unternehmensgründerinnen, das Schließen der „Gender-Lücke“ in den MINT-Fächern bis hin zu der Anregung, dass die höchste Managementebene eine stärkere Beteiligung von Frauen an der Unternehmensführung als „globalen Wettbewerbsvorteil für USA und Kanada“ erkennt.

Kanadas Familienunternehmen stehen an der Spitze des Trends zu mehr Gender-Parität

Laut OECD liegt der Anteil von Unternehmerinnen in Kanada bei 15 Prozent. Damit steht Kanada hinter Chile und den USA an dritter Stelle. Zwar rügte die kanadische Tageszeitung „Globe and Mail“ im Frühjahr, in den größten Unternehmen des Landes besetzten Frauen nur 13 Prozent der Vorstandspositionen – und nur vier Prozent hätten weibliche CEOs, aber das hält Linda Hasenfratz nicht davon ab, festzustellen: „Der Anteil ist nicht schlecht, er ist eigentlich gut im Vergleich zu anderen Ländern.“

Betrachtet werden dürften nicht nur die obersten Führungsebenen, sondern auch die Managementebenen darunter. Und dort sehe es bereits viel besser aus. Dort liege der Anteil von Frauen bei 45 Prozent, bei manchen Unternehmen sogar über 50 Prozent. Hasenfratz ist zudem der Meinung, dass Familienunternehmen offener für Diversität seien als andere Unternehmen.

Gestützt wird diese Einschätzung durch eine Studie der National Bank of Canada (NBC), eine der großen Banken Kanadas. NBC stellt in ihrem „Family Advantage Report“ vom Oktober 2020 einen globalen Trend fest, nach dem sich Unternehmen in Richtung „Gender-Parität“ bewegen. „In Kanada stehen Unternehmen in Familienbesitz an vorderster Front dieses Trends“, befindet die NBC. Auf der C-Ebene und im mittleren und unteren Management liege der Frauenanteil bei 35 Prozent. Nach Ansicht der Bank werde sich dieser Trend weiter fortsetzen.

Familienunternehmen sind ein wichtiger Faktor in Kanadas Wirtschaft: Sie stellen 63 Prozent der Unternehmen, beschäftigen 6,9 Millionen Menschen und steuern umgerechnet 390 Milliarden Euro zu Kanadas Bruttoinlandsprodukt bei. Der Erfolg der Familienunternehmen beruhe auch darauf, dass ihre Führung langfristiger denkt und „Werte nicht in Quartalen, sondern Jahrzehnten schaffen will“, schreibt die NBC.

Hasenfratz stieg als Maschinistin in das Familienunternehmen ein

Hasenfratz, Mutter von vier Kindern im Alter von 20 bis 24 Jahren, führt Linamar seit 2002. Ihr Vater Frank hatte sein Heimatland Ungarn 1957 nach der Niederschlagung der Revolution durch die Sowjetunion verlassen, war nach Kanada ausgewandert und startete 1964 in Ariss, einer ländlichen Gemeinde bei Guelph in Ontario, ein Ein-Mann-Unternehmen. „Von einer Drehbank im Keller des Hauses meines Vaters zu einem globalen Multimilliarden-Dollar-Unternehmen“, beschreibt Linda Hasenfratz den Aufstieg des Familienunternehmens.

1966 gründete ihr Vater „Linamar“, was sich aus den Anfangsbuchstaben der Vornamen seiner Töchter Linda und Nancy und seiner Frau Margaret zusammensetzt. Aus den bescheidenen Anfängen wurde ein wichtiger Zulieferer der Automobilindustrie Ontarios. 1986 ging Linamar an die Börse in Toronto. Heute hält die Familie rund 33 Prozent der Aktien.

Tochter Linda hatte zunächst wenig Ambitionen, in das Unternehmen ihres Vaters einzusteigen. Sie machte an der University of Western Ontario in London, deren Kanzlerin sie heute ist, zunächst einen Bachelor of Science, dann arbeitete sie in einem Pharmaunternehmen im Verkauf. „Ich glaube, ich musste mir erst beweisen, dass ich meinen Vater nicht brauchte, um einen Job zu bekommen“, sagt sie.

Serie: Unternehmerinnen weltweit

Die Idee der Serie

Noch immer gibt es weltweit weniger Unternehmerinnen als Unternehmer. In einigen Ländern aber liegt der Anteil über dem Schnitt der OECD-Länder. Unsere Korrespondenten spüren ihre Geschichten auf und analysieren die Gründe, warum es dort mehr Frauen gibt, die ihr eigener Chef sind, als in Deutschland.

Teil 1: Mexiko

Trotz einer höheren Gründerinnenquote haben es Frauen in Mexikos Wirtschaft noch immer schwer. Gabriela León hat es mit viel Durchhaltevermögen dennoch geschafft.

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Teil 2: Israel

Israel gehört zu den Ländern mit den meisten Gründerinnen im OECD-Vergleich. Eynat Guez ist die erfolgreichste Unternehmerin in der israelischen Start-up-Szene.

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Teil 3: USA

Nach ihrem Abgang bei Tinder startete Whitney Wolfe Herd mit ihrer Dating-App Bumble erst so richtig durch – und wurde zu einer der wenigen Selfmade-Milliardärinnen in den USA.

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Teil 4: Lettland

Lotte Tisenkopfa-Iltnere war mit dem Thema Nachhaltigkeit ihrer Zeit voraus. Das erschwerte zunächst die Gründung ihrer Kosmetikfirma. Inzwischen ist sie der Stolz des Landes.

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Teil 5: Niederlande

Kristel Groenenboom übernahm mit 23 Jahren das Familienunternehmen ihres Vaters. Das ist lange her, doch noch immer fällt es manchen Männern schwer, sie als Unternehmerin zu akzeptieren.

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Ein Jahr später stieg sie aber doch bei Linamar ein – als Maschinistin an einer Drehbank. Sie arbeitete sich in Lagerhaltung, Buchführung und Kostenkalkulation ein, bevor sie die Leitung der ersten Linamar-Betriebsstätte übernahm. 1997 graduierte sie mit dem Master of Business Administration an der Western-Universität und wurde Chief Operating Officer, bevor sie von ihrem Vater die Position des CEOs übernahm.

Netzwerke stärken die Rolle von Frauen in Unternehmen

Die „National Post“ überschrieb damals einen Bericht über Linda Hasenfratz mit „The other carmaker's daughter“. Es gab damals in Kanada nämlich noch Belinda Stronach, die bei Magna, dem größeren Konkurrenten, aufstieg. Beide Frauen sind ungefähr gleich alt, beide haben einen Vater mit dem Vornamen Frank, und beide Väter kamen als Immigranten nach Kanada. Aber es gibt einen großen Unterschied: Linda lernte bei Linamar das Geschäft von der Pike auf. Dennis DesRosiers, einer der führenden Analysten der Automobilindustrie Kanadas, war zunächst skeptisch, als Hasenfratz den Chefposten übernahm. Später sagte er: „Man sieht, dass sie einen phänomenalen Job macht.“

Dass Kanada über relativ viele Unternehmerinnen und Managerinnen in Führungspositionen verfügt, liege auch an den vielen Netzwerken, sagt Hasenfratz. Eines dieser Netzwerke ist „Catalyst Canada Advisory Board“, wo sie auch Mitglied ist. Catalyst fordert bis 2022 den Anteil von Frauen in den Vorständen und Exekutiv-Positionen auf mindestens 30 Prozent zu erhöhen. Die CEOs, aber auch ganze Unternehmen müssten sich persönlich für ethnische Diversität und Inklusion einsetzen.

Bei Linamar wurde zu diesem Zweck ein „Diversity Council“ geschaffen, das beim Chief Operating Officer angesiedelt ist. „Ein Mann“, betont Linda Hasenfratz. „Denn es müssen Männer und Frauen beteiligt sein – und nicht nur Frauen.“

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