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24.02.2022

15:45

Ukraine-Krieg

„Unsere Gedanken sind bei den Menschen“: Deutsche Unternehmen stoppen Geschäfte in der Ukraine

Knauf, Metro, Henkel: Immer mehr deutsche Firmen schließen aus Sicherheitsgründen ihre Standorte in der Ukraine. Der Warenverkehr über die „Eiserne Seidenstraße“ liegt bereits brach.

Die ukrainische Schwarzmeerstadt ist wichtiger Seehafen und auch Standort der HHLA. Der Hamburger Hafenbetreiber hat alle Aktivitäten vor Ort vorerst eingestellt. AP

Proteste in Odessa

Die ukrainische Schwarzmeerstadt ist wichtiger Seehafen und auch Standort der HHLA. Der Hamburger Hafenbetreiber hat alle Aktivitäten vor Ort vorerst eingestellt.

Düsseldorf, Berlin, München Aufgrund der militärischen Angriffe Russlands auf die Ukraine stoppen immer mehr deutsche Unternehmen ihre Produktion vor Ort. Als eines der ersten hatte der unterfränkische Gips-Hersteller Knauf vermeldet, sein Werk mit rund 590 Beschäftigten „vorsorglich bis auf Weiteres zu schließen“. Allen Mitarbeitern vor Ort gehe es gut.

Das Familienunternehmen betreibt ein Werk in der noch ukrainisch kontrollierten Zone der Region Donbass im Osten des Landes, 20 Kilometer von den bisher besetzten Separatistengebieten entfernt.

In der Ukraine sind nach Angaben der Deutsch-Ukrainischen Industrie- und Handelskammer rund 2000 Unternehmen mit deutscher Beteiligung aktiv. Die meisten sitzen demnach im Westen des Landes – 700 Kilometer von der Hauptkonfliktlinie entfernt. Doch Luftangriffe und russische Truppenbewegungen werden mittlerweile aus fast allen Landesteilen gemeldet.

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Der Hamburger Hafen- und Logistikkonzern HHLA hat deswegen den Betrieb seines Containerterminals im Schwarzmeer-Hafen Odessa eingestellt. Der mehrheitlich im Besitz der Stadt Hamburg operierende Hafenbetreiber ist seit 2001 zuständig für den größten ukrainischen Containerterminal in Odessa am Schwarzen Meer. 170 Millionen Dollar hat man dort seither investiert.

„Wir haben bis neun Uhr die letzten beiden Schiffe abgefertigt und auf Veranlassung der ukrainischen Behörden den Hafen verlassen“, so Vorstandschefin Angela Titzrath. 480 Mitarbeiter habe man mit der Vorauszahlung eines Monatslohns nach Hause geschickt, lediglich acht Wachleute seien dort noch für die Sicherung aktiv. Ob eigene Anlagen bereits von einem russischen Raketenangriff getroffen worden seien, von dem ukrainische Nachrichtenagenturen berichteten, sei noch unklar.

Der Port sei insbesondere wichtig für die Versorgung der Bevölkerung mit Verbrauchsgütern. Zudem diene er vor allem landwirtschaftlichen Erzeugnissen als Exporthafen. Wann und ob es zu einer Wiedereröffnung komme, wisse man nicht.

Leoni und Henkel schließen Werke, Metro-Filialen geschlossen

Im Laufe des Donnerstags vermeldeten immer mehr Firmen, ihre Werke geschlossen zu haben. Der Autozulieferer Leoni etwa hat die Produktion in seinen beiden ukrainischen Fertigungsstätten eingestellt und die Beschäftigten nach Hause geschickt. Man verfolge die Eskalation der Lage mit „Fassungslosigkeit“. Mittelständische Autozulieferer sind in der Ukraine stark vertreten.

Persil-Hersteller Henkel hat seine vier Werke dort ebenfalls geschlossen. Die 600 Mitarbeiter wurden angewiesen, zu Hause zu bleiben. Henkel macht fast ein Prozent seines Konzernumsatzes in der Ukraine.

Der Großhandelskonzern Metro ist in dem Land mit 26 Märkten verankert und beschäftigt 3400 lokale Mitarbeiter. 16 Filialen blieben am Donnerstag vorsorglich geschlossen, so auch der Markt in Mariupol in der Ostukraine an der Grenze zu Russland. „Wir haben Mitarbeiter und Familien von dort in sichere Regionen des Landes evakuiert“, so ein Metro-Sprecher.

Auch mit Blick auf die geschlossenen Werke sagte Oliver Hermes, Vorsitzender des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft: „Das ist ein schwarzer Tag für Europa. Dieser Krieg wird nur Verlierer kennen.“ Der Verband bemüht sich seit 70 Jahren um den Aufbau wirtschaftlicher Beziehungen mit Osteuropa. „Die Erfolge dieser Arbeit werden heute massiv infrage gestellt“, so Hermes.

Logistiker stoppen Transporte

Deutsche Logistikunternehmen haben unterdessen ihre Transporte aus der Ukraine gestoppt. Die Firmen würden Mitarbeiter zurückbeordern, sagte Frank Huster, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Spedition und Logistik (DSLV). Der Verband empfehle seinen Mitgliedern, keine Bewegungen in und aus den betroffenen Gebieten zu planen.

Die Situation dürfte die Lieferengpässe in Deutschland verschärfen. Fast die Hälfte der hier eingesetzten Lkw-Fahrer stammt aus Osteuropa, viele davon aus der Ukraine, sagte Thomas Hansche, Sprecher des Bundesverbands Logistik und Verkehr. Mautstatistiken zeigen, dass ein Drittel aller Lkw auf deutschen Straßen in osteuropäischen Ländern zugelassen sind. „Jetzt im Kriegsfall werden diese Fahrer nach Hause fahren, um ihren Familien beizustehen“, so Hansche.

Mehr zur Konfliktlage:

Zudem kommt der Güterbahnverkehr durch den Kriegsausbruch zum Erliegen. Der von der Hamburger HHLA in der Ukraine vor gut einem Jahr gestartete Schienentransport sei aktuell gestoppt, berichtet HHLA-Auslandschef Philip Sweens. Auch auf der sogenannten Eisernen Seidenstraße, die China mit den Wirtschaftszentren in Europa verbindet, finden nach Darstellung der HHLA derzeit keinerlei Transporte statt. Mit weiteren Einschränkungen rechnet die HHLA auch für den Schiffsverkehr zwischen dem Hamburger Hafen und den russischen Ports an der Ostsee wie Ust-Luga und St. Petersburg.

Diese Aufnahme stammt aus dem Jahr 2014 und zeigt eine verlassene Filiale der Großhandelskette nach der Eskalation des Donbass-Konflikts. Für die Metro ist die Ukraine ein wichtiger Auslandsmarkt. dpa

Archivbild eines Metro-Marktes in Donezk.

Diese Aufnahme stammt aus dem Jahr 2014 und zeigt eine verlassene Filiale der Großhandelskette nach der Eskalation des Donbass-Konflikts. Für die Metro ist die Ukraine ein wichtiger Auslandsmarkt.

Die Bahn-Logistiktochter DB Schenker hat ihre Arbeit in den Logistik-Niederlassungen der Ukraine ebenfalls ausgesetzt. Das Unternehmen beschäftigt 90 Mitarbeiter vor Ort. Auch der private Reiseverkehr wird zunehmend eingeschränkt. Der Busbetreiber Flixbus verkauft keine Tickets mehr für Verbindungen in die Ukraine, sagte eine Sprecherin. Allerdings würden geplante Verbindungen noch stattfinden.

Deutsche Topmanager sind bestürzt

Deutsche Spitzenmanager reagierten mit Bestürzung. Mercedes-Chef Ola Källenius etwa sagte: „Unsere Gedanken sind bei den Menschen in der Ukraine. Das Geschäft ist zweitrangig.“ Der Autobauer verkaufte im vergangenen Jahr 43.000 Fahrzeuge in Russland und 3000 in der Ukraine. Seit 2019 produziert die Marke etwa die E-Klasse in einer Fabrik nahe der russischen Hauptstadt Moskau.

Telekom-Chef Timotheus Höttges zeigte sich bei der Präsentation der Jahreszahlen „entsetzt“. Andere Ereignisse, wie die Geschäftszahlen, wirken angesichts der Entwicklung in der Ukraine „geradezu banal“. Die Telekom ist nicht in der Ukraine aktiv, beschäftigt in Russland aber an drei Standorten mehr als 2000 Mitarbeiter.

Siemens-Energy-Vorstandschef Christian Bruch sagte bei der Hauptversammlung des Konzerns: „Der Angriff auf die Ukraine stellt eine Zäsur in Europa dar.“ Seine Gedanken seien bei den Menschen in der Ukraine, insbesondere bei den 47 Mitarbeitern und ihren Familien.

Die Ukraine ist für Deutschland ein vergleichsweise kleiner, aber attraktiver Partner im Außenhandel. Mit gut sieben Milliarden Euro aus Exporten und Importen steht das osteuropäische Land laut Statistischem Bundesamt zwar nur auf Platz 43. Das Land verfügt über bezahlbare Fachkräfte und bietet mit über 40 Millionen Einwohnern einen relevanten Absatzmarkt.

Vor der Eskalation der Lage habe es gar vermehrt Investitionsanfragen von deutschen Firmen gegeben, so die Deutsch-Ukrainische Industrie- und Handelskammer. Peter Adrian, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) sieht diese Entwicklung stark bedroht: „Die wirtschaftlichen Folgen dieser Invasion sind noch nicht absehbar, sie sind aber ganz sicherlich schwerwiegend.“

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