PremiumDiana Pöllath bietet IT-Outsourcing aus Büros in der Ukraine an. Sie steht vor dem Nichts – und versucht verzweifelt, Mitarbeiter nach Deutschland zu retten.
Diana Poellath
Die Unternehmerin versucht ihre Mitarbeitenden aus der Ukraine zu retten.
Düsseldorf Um 4.30 Uhr am Donnerstagmorgen erreicht Diana Pöllath per Whatsapp die erste Nachricht. Einer ihrer Mitarbeiter aus Lwiw berichtet fassungslos, dass der Krieg begonnen hat. Seitdem versucht die Unternehmerin aus Kirchenthumbach in Bayern verzweifelt, ihre 80 Mitarbeiter und deren Familien aus dem Kriegsgebiet zu evakuieren. Viele von ihnen haben es schon über die 60 Kilometer entfernte Grenze nach Polen geschafft.
„Wir haben unsere wirtschaftliche Existenz verloren“, berichtet sie dem Handelsblatt. „Aber daran kann ich erst später denken. Erst mal muss ich den Menschen helfen.“ Sie will versuchen, alle Mitarbeiter nach Deutschland zu holen und ihnen hier eine Unterkunft zu besorgen. Doch das ist aktuell noch schwieriger geworden, da die Ukraine ein Ausreiseverbot für Männer im Alter zwischen 18 und 65 Jahren erlassen hat.
Am Donnerstag ist das russische Militär in der Ukraine einmarschiert und hat damit ganz Europa in die Krise gestürzt. Auf Befehl des Präsidenten Wladimir Putin griffen russische Verbände das Nachbarland am Donnerstag aus der Luft, über den Landweg und vom Schwarzen Meer aus an. Schätzungen zufolge sind rund 100.000 Menschen seitdem auf der Flucht. Und die Ukraine mobilisiert Truppen und Reserven.
Dabei gilt das im Westen des Landes gelegene Lwiw im Vergleich zu anderen Städten bisher als relativ sicher. Doch auch dort sei am Donnerstagmorgen der militärische Flughafen bombardiert worden. In der Stadt selbst war es tagsüber dann eher ruhig, berichtet Pöllath von den Gesprächen, die sie mit ihren Mitarbeitern geführt hat.
Am Freitagmorgen schrillen in Lwiw wieder die Sirenen. Die Mitarbeiter von Vineo Services reihen sich in den Flüchtlingstreck nach Westen ein. Es bildeten sich kilometerlange Autoschlangen in Richtung polnische Grenze.
Die gebürtige Ukrainerin Pöllath kam der Liebe wegen nach Deutschland. Später gründete sie hier ihre Firma Vineo Services, die ausschließlich Mitarbeiter in der Ukraine hat. Sie bietet für Onlinehändler IT-Dienstleistungen, Kundenservice, Rechnungswesen und Logistiksupport an. Dank günstiger Steuersätze und niedrigerer Stundenlöhne in der Ukraine konnte sie ihren Kunden attraktive Outsourcing-Pakete anbieten.
Ein weiterer Vorteil: Die Zeitverschiebung im Vergleich zu den meisten EU-Staaten beträgt nur eine Stunde. In Lwiw stehen wegen zahlreicher Hochschulen gut ausgebildete Mitarbeiter zur Verfügung. Die Ukraine war bisher wegen dieser Bedingungen einer der gefragtesten Standorte für das Outsourcing von IT-Dienstleistungen.
Durch den Krieg ist das erst einmal vorbei. „Selbst wenn die Mitarbeiter nicht in Lebensgefahr gewesen wären, hätten wir aus der Ukraine nicht mehr arbeiten können“, berichtet Pöllath. Es habe keine stabile Internetverbindung mehr gegeben. Ihre IT und die gesamte Büroausstattung mussten die Mitarbeiter von Vineo Services in Lwiw zurücklassen.
Ihre Auftraggeber in Deutschland seien sehr hilfsbereit und verständnisvoll gewesen, sagt die Unternehmerin. „Aber sie erwarten natürlich die vertraglich zugesagte Leistung. Doch die kann ich jetzt nicht mehr bieten.“
Mit einem Angriff auf die gesamte Ukraine hatte in ihrer Firma keiner gerechnet. Sie waren davon ausgegangen, dass zunächst nur die Ostukraine angegriffen wird und ihnen zumindest ein bis zwei Wochen Zeit bliebe, die Flucht der Mitarbeiter zu organisieren. „Wir hatten dafür die Notfallpläne ausgearbeitet, die wir den Mitarbeitern am Donnerstag vorstellen wollten“, erzählt sie, mit Verzweiflung in der Stimme.
„Putin ist ein Irrer“, entfährt es der Unternehmerin, selbst ein dritter Weltkrieg sei jetzt nicht mehr ausgeschlossen. Die Ukraine werde sich wehren, aber sie sei halt nur ein kleines Land. „Keiner weiß, wie lange sie das durchhält.“ Wie und ob überhaupt es mit ihrer Firma weitergeht, weiß sie noch nicht: „Ich muss mich jetzt erst mal mit den Ämtern in Verbindung setzen und rechtlich prüfen lassen, ob meine Mitarbeiter in Deutschland überhaupt arbeiten dürfen.“
Doch letztlich gründet ihr Geschäftsmodell nicht nur auf der guten Ausbildung ihrer Mitarbeiter, sondern auch auf dem Standortvorteil, den die Ukraine geboten hat. Und der wird auf absehbare Zeit nicht zurückkehren.
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