Auch in der Corona-Zeit konnten viele Unternehmen in Deutschland ihre Geschäfte ausbauen. Zugelegt haben vor allem Software- und Technologiefirmen.
Softwareentwicklung bei Atoss
Im B2B-Bereich besetzen mittelständische IT-Firmen viele lukrative Nischen.
Bild: PR
Köln Produkte und Dienstleistungen im Wert von über 30 Milliarden Euro kauft der Chemiekonzern BASF jährlich ein – von Rohstoffen über Dienstwagen bis hin zu Frachtcontainern. Etwa zehn Millionen Seiten Rechnungen aus über 80 Ländern muss das Unternehmen verarbeiten, viele davon noch immer in Papierform.
Früher gingen die Dokumente durch viele Hände und mussten oft aufwendig abgetippt werden. Um die Bearbeitung zu vereinfachen, setzt BASF heute auf die Software „Smart Invoice“ des Mittelständlers Insiders Technologies aus Kaiserslautern – sie basiert auf Künstlicher Intelligenz. Die Anwendung liest die Rechnungen automatisiert aus und analysiert sie in einer Cloud. So konnte BASF die Bearbeitungszeit für die Rechnungen um etwa 50 Prozent reduzieren.
Insiders Technologies hat sich auf die digitale Optimierung dokumentenzentrierter Geschäftsprozesse spezialisiert – und ist damit nicht nur bei BASF sehr erfolgreich. Mehr als 3000 Firmen aus verschiedenen Branchen nutzen die Lösungen des IT-Dienstleisters. In diesem Jahr landete Insiders auf Platz vier im Ranking der 100 wachstumsstärksten Mittelständler Deutschlands. Diese Rangliste ermittelt die Strategieberatung Munich Strategy jährlich in Kooperation mit dem Handelsblatt.
Untersucht wurden über 4000 deutsche Mittelständler aus ganz unterschiedlichen Branchen. Zwei Kriterien werden je zur Hälfte gewichtet: zum einen das durchschnittliche Umsatzwachstum seit 2017, zum anderen die durchschnittliche Ebit-Marge im selben Zeitraum.
„So bilden wir eine langfristige Entwicklung ab“, sagt Sebastian Theopold, Geschäftsführer von Munich Strategy. Die Top 100 des Rankings zeigen nicht nur kontinuierliches Wachstum, sondern sie operieren dabei auch ertragreich. „Dadurch können sie das Wachstum der Zukunft finanzieren“, sagt Theopold.
Aktuell herrscht im Ranking von Munich Strategy einige Bewegung. Den Spitzenplatz belegt der Medizintechnikhersteller GS Elektromedizinische Geräte – im Vorjahr lag das Unternehmen noch auf Platz zwölf. Auf dem zweiten Platz steht nun Doccheck – die Betreiberfirma einer Onlineplattform für medizinische Fachberufe verbesserte sich von Platz sieben. In diesem Jahr sind zudem besonders viele Mittelständler neu in die Top 100 eingestiegen.
Das liege daran, dass nun Effekte der Pandemie sichtbar würden, sagt Theopold. Auch dank staatlicher Unterstützung sei der Mittelstand im Großen und Ganzen gut durch die Krise gekommen – belohnt worden sei weitsichtiges unternehmerisches Handeln. „Die Unternehmen, die wir nun in den Top 100 sehen, haben während der Pandemie mutige Entscheidungen getroffen und die Situation als Chance gesehen, statt Investitionen zu stoppen.“
Einige Branchen haben in der Krise von einer Sonderkonjunktur profitiert, zudem hat die Digitalisierung einen enormen Schub erhalten. Das spült viele Mittelständler mit einem Fokus auf Software oder Technologie im Ranking nach vorn. Diese sind in der Regel im B2B-Bereich aktiv, bieten also digitale Lösungen, um die Prozesse anderer Unternehmen zu optimieren – so wie die Dokumentenerfassung von Insiders Technologies.
Die erfolgreichen Mittelständler haben Nischen für sich gefunden und, bieten typischerweise ganze digitale Leistungspakete an. Mit diesen Services unterstützen sie Unternehmen und Konzerne bei der digitalen Transformation, die in beinahe jeder Firma im Gange ist.
Innovative Anwendungen vereinfachen Prozesse von der Kardiologie bis zur Personalplanung – oder auch im selbstfahrenden Auto. Viele der Lösungen sind rund um den Maschinenbau angesiedelt, sollen Anlagen und Fabriken digitalisieren und automatisieren. „Mit der Kombination Maschine plus Software hat sich der deutsche Mittelstand eine Spitzenposition erarbeitet – und kann sich auch gegenüber China gut positionieren“, sagt Theopold.
Auf diesem Feld hat sich der Softwareanbieter Vector Informatik etabliert. Das 1988 gegründete Stuttgarter Unternehmen ist Neueinsteiger im Ranking – und belegt direkt Platz drei. Der Mittelständler mit 3000 Beschäftigten hat sich auf die Vernetzung elektronischer Systeme spezialisiert, wobei der Schwerpunkt bei Steuergeräten im Auto liegt. „Wichtige Innovationen der letzten Zeit beziehen sich auf die Nutzung von Modellen und Simulationen beim Testen von Software“, sagt ein Unternehmenssprecher. „Ohne diese Technologie könnten keine ausgereiften Fahrzeuge in den aktuellen kurzen Entwicklungszyklen entstehen.“
Ein hoher Spezialisierungsgrad, ein klarer strategischer Fokus: Nach Einschätzung Theopolds eint das die Top-100-Unternehmen im Ranking. Die wachstumsstärksten Mittelständler zeichne zudem aus, dass sie besonders kundenzentriert ausgerichtet seien.
Einen Nerv trifft etwa Atoss Software – ein weiterer IT-Mittelständler unter den Top Ten der Rangliste.
Das börsennotierte Unternehmen mit Sitz in München will mit seiner Personalmanagement-Software zur digitalen Umgestaltung der Arbeitswelt beitragen. Die Anwendung erfasst Arbeitszeiten, erstellt Schichtpläne und optimiert die Personalplanung. Vom Trend zur Remote-Arbeit in der Pandemie konnte Atoss natürlich profitieren – ebenso vom 2019 gefällten EuGH-Urteil zur verpflichtenden Arbeitszeiterfassung, das vom Bundesarbeitsgericht in diesem Jahr für Deutschland bestätigt wurde.
„Viele Unternehmen begreifen das als Chance, das Personalmanagement zu digitalisieren und dann auch die Daten weiternutzen zu können“, sagt Dirk Häußermann, Co-CEO bei Atoss. Beschäftigte wiederum könnten die Software unter anderem dazu verwenden, um ihren Urlaub von überall aus per App zu beantragen – und sofort bestätigt zu bekommen. Zudem sorge das System für mehr Fairness. Schließlich sei klar ersichtlich, wem etwa besonders häufig eine unbeliebte Schicht zugeteilt werde.
Das Softwarepaket kommt gut an. Im Geschäftsjahr 2021 konnte Atoss bereits zum 16. Mal in Folge Umsatz und Ergebnis steigern. Auf alten Erfolgen will sich das Management nicht ausruhen. „Jährlich geben wir etwa 20 Prozent des Umsatzes für Innovation und die Weiterentwicklung von Produkten aus“, sagt Häußermann. Das innovative Umfeld helfe dem Unternehmen auch dabei, gutes Personal zu bekommen und zu halten. Man suche weltweit nach Mitarbeitern – derzeit seien 48 Nationalitäten in der Belegschaft vertreten.
Im internationalen Wettbewerb um Fachkräfte ist der hiesige Mittelstand nach Einschätzung von Berater Theopold in einer guten Startposition. „Wir haben in Deutschland eine gute Hochschullandschaft, die enge Kooperationen mit der Wirtschaft pflegt.“ Gutes Personal ist also grundsätzlich vorhanden – allerdings oft nicht genug. Gerade im IT-Bereich werben viele Unternehmen um dieselben Talente. „Die Herausforderung des Fachkräftemangels wird bleiben und die Unternehmen in den nächsten Jahren viel Geld kosten“, sagt Theopold.
Erfolgreiche Mittelständler kooperieren laut Theopold meist mit Hochschulen. Auch eine starke strategische Positionierung helfe bei der Suche nach Personal. „Manche deutsche Mittelständler sind in ihrem Segment Weltmarktführer und unverzichtbare Taktgeber für ganze Branchen – das ist natürlich auch für junge Talente attraktiv.“ Die Ansprüche sind hoch. Einsteiger erwarten neben flexiblen Arbeitszeiten und Arbeitsorten auch gute Aufstiegschancen.
Neben dem andauernden Fachkräftemangel sieht der Chef von Munich Strategy neue Problemfelder auf den Mittelstand zukommen. Nach der Pandemie sorgten nun Inflation und Energiekrise für gewaltige Herausforderungen. „Es droht eine chronische Unterversorgung der Wirtschaft mit Energie, Material und Personal.“ Der wahre Wert von Energie sei lange Zeit nicht richtig eingeschätzt worden – nun bestünden gefährliche Abhängigkeiten.
Gefragt sei eine strategische Transformation des Mittelstands – die Unternehmen müssten ihre Chancen suchen, erläutert Theopold. „Jedes Unternehmen sollte sich fragen: Wie muss ich mein Geschäftsmodell ausrichten, um auch in zehn Jahren ökonomisch, sozial und ökologisch nachhaltig und zugleich wettbewerbsfähig zu sein?“
Erstpublikation am 13.10.22, um 04:00 Uhr.
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