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04.02.2020

11:20

Jürgen Heraeus übt Kritik an Angela Merkel und EU-Spitze BOSTELMANN / BILDFOLIO für Handelsblatt

Jürgen Heraeus

Der Mittelständler verlangt mehr Anstrengung, um den Wohlstand in Deutschland zu halten.

Unternehmer im Interview

„Frau Merkel bewegt nichts mehr“ – Jürgen Heraeus spricht Klartext

Von: Peter Brors, Thomas Tuma

Einer der mächtigsten Familienunternehmer des Landes rechnet ab – mit Kanzlerin und Bundespolitik, Europas Problemen und dem Feindbild China, Klimaprotesten und Work-Life-Balance.

Frankfurt Harte Worte von einem der mächtigsten Familienunternehmer der Republik: Deutschland sei „in einem schlechten Zustand“, sagt Jürgen Heraeus, Aufsichtsratschef des gleichnamigen Hanauer Milliarden-Konzerns, in einem Interview mit dem Handelsblatt. Es herrsche „eine große Apathie. Nichts geht voran – außer der Bürokratie“.

Heraeus sieht das Land „verkommen zu einer Republik von Planfeststellungsverfahren, in dem jede abwegige Meinung und jedes Partikularinteresse berücksichtigt werden muss“. Das scharfe Urteil des 83-Jährigen, dessen Unternehmen mittlerweile von seinem Schwiegersohn gesteuert wird und über 22 Milliarden Euro umsetzt, trifft auch die Spitzen der Bundespolitik samt Kanzlerin: „Frau Merkel bewegt nichts mehr in Deutschland.“

Der hiesigen Wirtschaft attestiert Heraeus einen Niedergang auf breiter Front: von den Energiekonzernen bis zum einst bedeutenden Finanzplatz Deutschland: „Wir hatten ja mal große und international bedeutende Geldinstitute. Und natürlich gilt das vor allem für die hiesige Autoindustrie, deren drohender Niedergang wirklich das verheerendste Zeichen von allen ist.“

Ihn störe zudem „die Halbherzigkeit in der Politik. Die CO2-Emmissionen müssen schrittweise so teuer werden, dass sie uns zu Innovationen geradezu zwingen“. Heraeus zeigt sich generell enttäuscht: „Tempo und Ehrgeiz, die aus Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg ein ökonomisches Wunder machten, sind jetzt eher in China zu finden.“

Es sei aber „völlig idiotisch, die Volksrepublik zum Feind zu deklarieren. Sie ist nun mal keine Demokratie. Und auch wenn sie viele Dinge machen, die ich nicht gut finde, können wir die Chinesen doch nicht an unseren Wertmaßstäben oder gar kulturellen oder humanistischen Idealen messen“, sagt Heraeus.

Der Unternehmer attackiert im Interview auch die EU-Spitze: „Eigentlich müsste spätestens jetzt mal eine Debatte darüber geführt werden, wohin dieses Europa will. Schon um einen zweiten oder dritten Austritt zu vermeiden. Stattdessen schnürt Frau von der Leyen ziemlich großspurig Finanzpakete, die sie gar nicht hat – rund um eine Öko-Strategie, die längst nicht alle Mitgliedsländer mittragen.“

Seine Mahnung: „Wenn es diesem Europa nicht in den nächsten 20 Jahren gelingt, sich gemeinsam als starke Kraft zu positionieren, werden wir zwischen so mächtigen Blöcken wie den USA und China keine Rolle mehr spielen – außer vielleicht als Urlaubs-Destination. Wir müssen Einheit wagen, statt uns in Debatten über Plastik-Strohhalme zu verzetteln“, sagt Heraeus.

Lesen Sie hier das vollständige Interview:

Herr Heraeus, Sie sind jetzt seit 55 Jahre im Konzern aktiv, der den Namen Ihrer Familie trägt.  Als Vorstands- und Aufsichtsratschef haben Sie alles erlebt und die Wirtschaftswunder-Geschichte der Republik maßgeblich mitgeschrieben. In welchem Zustand erleben Sie Deutschland 2020?
In einem schlechten.

Inwiefern?
Der Corona-Virus scheint unser Land schon im Griff gehabt zu haben, bevor er in China überhaupt ausbrach. Aber im Ernst: Es herrscht eine große Apathie. Nichts geht voran – außer der Bürokratie. Dass der Bundestag über 700 Abgeordnete hat und die Politiker nicht mal fähig sind, eine simple Wahlkreisreform durchzuführen, ist ein Skandal. Aber die Frösche werden ihren Teich sicher nicht selbst trockenlegen.

Liegt’s an der Politik oder an den Wählern, denn eigentlich haben Politiker ja sehr genaue demoskopische Seismographen dafür, was das Volk will?
Das Volk scheint mir müde geworden zu sein nach all den Jahrzehnten des Aufstiegs: die Nachkriegsjahre, das Wirtschaftswunder, der Weg zum Export-Weltmeister, Wende und Wiedervereinigung, aber eben auch die Auseinandersetzung mit Kräften von außen – von der Globalisierung bis zur Digitalisierung aller Lebensbereiche und Wirtschaftsfelder. Im Grunde hat der Wohlstand alle erreicht – nun muss er gehalten werden.

Es gibt auch Armut im Land.
Und die wird es immer geben. Selbst in den am höchsten industrialisierten Ländern der Welt werden es immer 10 bis 15 Prozent der Menschen nicht schaffen. Um die kümmert sich in unserem Fall ein fein austarierter Sozialstaat. Weiter oben in den Einkommenspyramiden – und das ist das Gefährliche – ist der Enthusiasmus, die Freude an Arbeit, weitgehend erlahmt, scheint mir.

Hat das auch mit Erschöpfung oder Verunsicherung zu tun angesichts der vielen Herausforderungen?
Es ist eher Genügsamkeit. Die vielbeschworene Work-Life-Balance ist ja auch was Schönes. Ich bin heute selbst einer von denen, die meinen Schwiegersohn mahnen: „Kümmere dich auch um deine Familie!“ Er hat drei Kinder. Und er sagt dann immer: „Hast ja recht, aber wenn wir das Tempo der Asiaten nicht mithalten, werden wir unser Niveau nicht halten können.“ Das ist vielen Deutschen heute nicht mehr vermittelbar. Und diese Einstellung finden Sie überall, auf allen Ebenen, in allen Branchen.

Wo begegnet Ihnen das Phänomen?
Die Zeitungen sind jetzt zum Jahresanfang schon voll von Tipps, wie man sich mit ein paar Brückentagen noch mehr Urlaub gönnen kann – samt Schnäppchenangeboten zu Destinationen, von denen ich als junger Mensch nur hätte träumen können. Und diese Einstellung reicht bis weit in die Politik, die es für unzumutbar erklärt hat, dass die Deutschen im Alter länger arbeiten. Als seien wir ein Volk von Dachdeckern und Stahlarbeitern. Im übrigen geht da ja eine Menge Expertise verloren. Wenn wir immer länger leben, warum sollen die, die es können, nicht auch noch ein bisschen länger arbeiten? Für manche hat das ja sogar mit Anerkennung zu tun.

Ein Freund der SPD dürften Sie kaum sein.
Wissen Sie, es ist ein Jammer, was aus der SPD geworden ist, die so wichtig war und künftig auch wäre für dieses Land. Aber manche Politiker wie Andrea Nahles reden uns fortwährend ein, dass wir mit Ende 50 alle total erschöpft seien und Arbeit dann zur Zumutung werde. Das ist Nonsens, was Frau Nahles und andere da immer wieder behauptet haben.

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Als SPD-Vorsitzende hat sie am Ende hingeworfen. Nun wird die Partei von dem Duo Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans regiert – und noch weiter nach links geschoben.
Frau Nahles war wenigstens noch authentisch und hat ihre Standpunkte glaubhaft vertreten. Aber jetzt? Herr Walter-Borjans zum Beispiel hat als NRW-Finanzminister andere angestiftet, Daten zu stehlen.

Sie meinen seinen Ankauf von CDs bei der Jagd nach Steuersündern.
Steuerhinterziehung ist verboten und gehört bestraft. Aber Mitarbeiter von Banken anzustiften, die Daten aus den Computern ihrer Arbeitgeber zu verkaufen – das war schon ein dicker Hund.

Welche Politiker flößen Ihnen innenpolitisch noch Vertrauen ein?
Ganz schwierig! Jens Spahn zum Beispiel macht als Gesundheitsminister ja mittlerweile einen guten Job. Und obwohl er anfangs fast zu laut agierte, gewinnt er jetzt zusehends an Profil. Nur teile ich zum Beispiel nicht die Hoffnung von manchen in der Union auf eine Rückkehr von Friedrich Merz. Er wäre sicher an der einen oder anderen Stelle ein guter Minister. Aber wer das Kanzleramt erobern will, muss auch bereit sein zu kämpfen. Gerhard Schröder zum Beispiel war ein enorm kluger Kämpfer – und übrigens auch der Beweis dafür, dass man es aus kleinen Verhältnissen nach ganz oben schaffen kann. Die wenigen Schlachten, die Merz geschlagen hat, hat er bedauerlicherweise verloren.

Wo bleibt in Ihrer Rechnung die FDP?
Leider hat es deren Großer Vorsitzender versäumt, eine gute Mannschaft zu präsentieren und stattdessen auf seine One-Man-Show gesetzt.

Sie sprechen von Christian Lindner
… der durchaus gute Leute hätte, die er aber nicht auf die Bühne lässt. Lindners Stern verblasst nun schon allmählich. Schade eigentlich! Die Partei müsste mehr dafür tun, nicht nur von ihren Stammwählern wahrgenommen zu werden.

Wie erleben Sie die Kanzlerin?
Ich habe ihren Einsatz immer bewundert, ihre Leistungsbereitschaft.

Aber…?
Frau Merkel bewegt nichts mehr in Deutschland.

Was hätte sie tun sollen?
Wenn sie nach zwei Amtszeiten an einen jener Nachfolge-Kandidaten übergeben hätte, die sie allerdings dann alle weggedrängt hat, hätte man ihr längst Denkmäler gesetzt. Eine Zeitlang dachte ich, sie ginge nach Brüssel, wo sie sicher einen blendenden Job gemacht hätte. Als Außenpolitikerin und auf dem internationalen Parkett ist sie unschlagbar. Leider wird der Job des Kommissions-Präsidenten der EU eben von manchen immer noch als Abstieg gesehen – was dann wieder ein bisschen die Grundprobleme Europas illustriert.

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