Unternehmen in Familienhand haben noch immer kaum weibliche Führungskräfte. Die Geschäftsführerin der Allbright-Stiftung sieht in gesellschaftlichen Forderungen den größten Hebel.
Wiebke Ankersen
Die Geschäftsführerin der Allbright-Stiftung sieht bei den Familienunternehmen noch besonders viel Handlungsbedarf in puncto Diversität in der Führung.
Bild: Sandra Steh
Düsseldorf Deutsche Familienunternehmen haben besonders große Defizite, was den Anteil von Frauen in Führungspositionen betrifft. Unternehmen, die sich komplett in Familienhand befinden, verfügen mit 4,8 Prozent über den niedrigsten Anteil weiblicher Führungskräfte, wie eine am Donnerstag vorgelegte Studie der Allbright-Stiftung zeigt. Zum Vergleich: Bei den 40 Dax-Konzernen sind 19,8 Prozent der Vorstände weiblich, bei den 160 börsennotierten Unternehmen sind es 14,3 Prozent.
Die Organisation, die sich für mehr Diversität in der Führung von Unternehmen einsetzt, hat bereits zum zweiten Mal die Zahl der Frauen im Topmanagement familiengeführter Firmen untersucht. 2020 betrug deren Anteil bei den 100 größten deutschen Familienunternehmen rund sieben Prozent, heute sind es mit 8,3 Prozent nur unwesentlich mehr.
Allbright-Geschäftsführerin Wiebke Ankersen erklärt im Interview mit dem Handelsblatt, weshalb Frauen als riskantere Besetzung wahrgenommen wurden, warum das Frustrationspotenzial in den Unternehmen groß ist und in welchen Ländern es besser läuft.
Frau Ankersen, was hat Sie in dieser zweiten Studie am meisten überrascht?
Diesen völligen Stillstand hatten wir nicht erwartet. Die Familienunternehmen hatten in den vergangenen zwei Jahren die Chance, sich diverser aufzustellen, aber sie haben sie nicht genutzt. Sowohl bei den 100 größten Familienunternehmen als auch bei den börsennotierten Unternehmen haben in dieser Zeit knapp 30 Prozent der Geschäftsführungsmitglieder ihren Posten verlassen. Im Dax 40 lag dann bei den Neurekrutierungen der Frauenanteil bei 38 Prozent, aber bei den 70 Familienunternehmen, die ganz in Familienhand sind, waren es nur sechs Prozent. Dort waren unter den Neurekrutierungen der vergangenen zwei Jahre allein sieben Stefans – und insgesamt fünf Frauen.
Haben Sie eine Erklärung dafür?
Offenbar machen sich die Familienunternehmen noch zu wenig Gedanken, wie Führung 2022 aussehen sollte. Familienunternehmen müssen immer Tradition und Weiterentwicklung ausbalancieren, aber wir sehen da gerade gefährlich viel Tradition, Vielfalt in der Führung ist ja nicht irgendein Zeitgeistthema.
Sondern?
Vielfalt prägt unsere Gesellschaft dauerhaft. 50 Prozent der deutschen Bevölkerung sind Frauen, 25 Prozent haben internationale Wurzeln, die arbeiten auch in den Unternehmen. Da kann man nicht mehr eine Rekrutierungsschablone wie in den 1950er-Jahren anwenden, die fast ausschließlich westdeutschen mittelalten männlichen Ingenieuren und Wirtschaftswissenschaftlern die Führung anvertraut. Frauen, Ostdeutsche und Deutsche mit ausländischen Wurzeln – von ihnen kommt in den oberen Führungsetagen so gut wie nichts an.
>> Lesen Sie hier: Aldi, Haribo, Vorwerk – 68 der 100 größten Familienunternehmen haben keine Frau im Vorstand
Aber wie erklären Sie sich das?
In den Unternehmen, die komplett in Familienhand sind, reden ja keine anderen Shareholder mit. Wenn die Gesellschafterfamilie Diversität nicht als Wert für das Unternehmen erkennt, gibt es kein Korrektiv. Sie sind viel weniger der öffentlichen Erwartungshaltung ausgesetzt.
Was sollten Unternehmen tun?
Sie sollten diese Herausforderung angehen, und zwar möglichst schnell. Denn es wird sonst ein größeres Problem, weil sie zunehmend mit den börsennotierten Konzernen um die besten Köpfe konkurrieren. Immer weniger Familienmitglieder führen ja selbst operativ. Die Familienunternehmen rekrutieren aus demselben Pool wie die Börsenunternehmen, haben aber in den letzten zwei Jahren ganz andere Entscheidungen getroffen.
Mit welcher Konsequenz?
Frauen gehen am liebsten dorthin, wo es schon Frauen gibt. Denn dort ist Diversität schon eingeübt. In der Folge werden Familienunternehmen zur zweiten Wahl.
Haben Sie dafür Belege?
Alle Frauen, die bei den Dax 40 im letzten halben Jahr eingestiegen sind, sind zu Unternehmen gegangen, in denen es schon Frauen im Vorstand gab, zu Continental zum Beispiel, zur Allianz oder Mercedes Benz – bei den beiden letzteren gibt es jetzt schon drei Frauen, genauso wie bei der Telekom und Airbus.
Und was sollen Familienunternehmen intern tun?
Sie sollten eine interne Pipeline an Führungsfrauen aufbauen und pflegen, um Geschäftsführungen irgendwann auch intern weiblich besetzen zu können.
Hat es einen Einfluss, dass die Pandemie in den vergangenen beiden Jahren wütete?
In Krisenzeiten geht man lieber auf Nummer sicher, so könnte es auch hier sein. Die Frau wird häufig von den Verantwortlichen noch als die riskantere Besetzung empfunden, man greift auf „Altbewährtes“ zurück, und das sind ja hier immer noch die Männermannschaften. Wir haben gesehen, dass das im ersten Pandemiejahr auch im Dax so war, im zweiten Krisenjahr hat sich das dort wieder verbessert.
Fordern Sie jetzt eine Quote für Familienunternehmen?
Wir sehen, dass es die nachhaltigste Entwicklung gibt, wenn Unternehmen sich aus eigenem Antrieb Ziele setzen und dann auch wirklich erreichen wollen: Haniel und Henkel sind zwei Familienunternehmen, die bis 2025 Geschlechterparität in den Führungspositionen erreichen wollen. Da kann ich nur die Daumen drücken. Wenn das alle machen würden, dann können wir uns als Stiftung bald auflösen.
Aber bei Haniel ist derzeit keine Frau im Vorstand.
Noch nicht, aber in der Ebene darunter.
Das Argument vieler Familienunternehmen ist, dass man keinen Mann rauswerfen wolle.
Das musste man in den vergangenen zwei Jahren auch gar nicht, es gab ja auch so genug Wechsel, wie die Studie zeigt. Da hätte man die Chance gehabt, mehr Frauen zu rekrutieren, die hat man aber nicht genutzt. Für den Fall von ungeplanten Wechseln muss man das Thema längerfristig auf dem Schirm haben und Frauen im Blick, die nachfolgen können. Je professioneller und langfristiger die Personalplanung, desto besser die Chancen, dass dann auch Frauen zum Zuge kommen.
Beschädigt Ihre Studie das Ansehen der Familienunternehmen?
Es gibt viele starke Marken bei den Familienunternehmen wie Aldi, Miele, Storck und andere, die sind besonders abhängig vom Vertrauen der Kund:innen. Das öffentliche Bewusstsein besonders in der jungen Generation wächst, da können es sich Marken eigentlich nicht mehr leisten, nicht für Chancengleichheit zu sorgen. Bei Zalando hat es Wirkung gezeigt. Und die Unternehmen müssen sich natürlich immer an ihrem selbst gesteckten Anspruch messen lassen, gesellschaftlich verantwortlich zu wirtschaften. Bei den Karrierechancen für Frauen müssen sie deutlich mehr tun.
Ist das ein deutsches Problem?
Wenn man auf den Global Family Business Index aus St. Gallen mit den weltweit 500 größten Familienunternehmen schaut, sieht man, dass es in keinem anderen Land derart viele und mächtige Familienunternehmen gibt. Aus den USA sind 119 Familienunternehmen darunter, aus Deutschland 79. Da wird deutlich: Bei ihren Männermannschaften sind die Familienunternehmen der Bremsklotz der deutschen Wirtschaft, wenn es um den Frauenanteil im Topmanagement geht.
Wo läuft es besser?
In Schweden sieht es schon besser aus. Bei den drei größten Familienunternehmen Investor, Axel Johnson und H&M gibt es sehr viele Frauen in der Führung, auch bei Ikea. Wenn Chancengleichheit gesellschaftlich eingefordert wird, ist es der stärkste Hebel. Das ist bei der Nachhaltigkeit genauso. Wenn die Unternehmensführung darauf nicht reagiert, bekommt sie ein Problem. Wenn wir Workshops in Familienunternehmen machen, erleben wir das riesige interne Frustrationspotenzial – und das wachsende Selbstbewusstsein von Frauen.
Frau Ankersen, vielen Dank für das Interview.
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