Datenbrillen können Unternehmen in Produktion, Wartung oder Weiterbildung nutzen. Dennoch zögern vor allem kleinere Betriebe beim Einsatz.
Datenbrille im Einsatz an alten Maschinen
Zusätzliche Daten im Gesichtsfeld von Mitarbeitenden können die Produktion effizienter gestalten.
Bild: Mittelstand-Digital Zentrum Ländliche Regionen
Köln Ein kurzer Blick auf einen QR-Code an der betagten Maschine reicht – und schon spannt sich in der Werkhalle in Bad Laasphe eine ganz neue Welt auf. Zumindest für den Anlagenführer, der Informationen zu Druck und Arbeitsgeschwindigkeit auf seine Datenbrille gespielt bekommt.
Dessen Arbeitgeber, das Familienunternehmen Slawinski, stellt seit mehr als 100 Jahren im Fließdrückverfahren Bodenteile für Tanks und große Behälter her. Das Material muss in den wuchtigen Anlagen hochpräzise geformt werden, damit es die nötige Stabilität bietet und zudem keine Lecks auftreten.
„Es reicht nicht, ein Knöpfchen zu drücken – es braucht sehr viel Fingerspitzengefühl und Erfahrung“, sagt Laura Göbel, stellvertretende Betriebsleitung am Standort. Neue Beschäftigte auf den Job vorzubereiten, erfordert hohen Aufwand.
Mit digitaler Technik erleichtert Slawinski nun den Einstieg. Maschinenführer tragen eine sogenannte Mixed-Reality-Brille. Sie zeigt an, welche Einstellungen gewählt werden sollten, um eine von etwa 70 zur Auswahl stehende Formen zu fertigen. Neue Beschäftigte können so schneller ein Gefühl für die Anlagen entwickeln. Auch erfahrene Kräfte profitieren – indem sie sich im Zweifel rückversichern können. Bei dem Pilotprojekt kooperiert Slawinski mit dem Mittelstand-Digital Zentrum Ländliche Regionen.
Extended Reality, kurz XR, lautet das Schlagwort, das verschiedene Formen von Datenbrillen umfasst. Mixed Reality verbindet die physische mit der digitalen Welt. Bei Augmented-Reality-Anwendungen (AR) werden virtuelle Aspekte ergänzt. Virtual-Reality-Brillen (VR) erzeugen eine komplett künstliche Welt. Im vergangenen Jahr sorgte der Facebook-Konzern Meta für einen Hype um solche digitalen Räume – das sogenannte Metaverse. Doch was davon wirklich kommt, ist überhaupt noch nicht absehbar. Klar ist dagegen, dass diese Mixed Reality Unternehmen aller Größen schon heute helfen kann.
>> Lesen Sie hier: Was hinter dem Metaverse-Hype steckt
Dennoch zögern viele beim Einsatz. In einer Umfrage der Universität der Bundeswehr gaben vergangenes Jahr gerade einmal 17 Prozent der Unternehmen in Bayern an, dass sie Augmented Reality einsetzen. Bei Virtual Reality (VR) waren es nur 13 Prozent. Vor allem kleine und mittelständische Unternehmen zögern, sagt Philipp Rauschnabel, Professor für Digitales Marketing und Medieninnovationen an der Universität der Bundeswehr in München. Dort sei die Ansicht verbreitet, solche Projekte wären nur etwas für große Konzerne. Dabei könnten Firmen generell „viel flexibler agieren und viel leichter Dinge ausprobieren“.
Stetig an Präsenz gewannen Datenbrillen in den vergangenen Jahren auf Messeständen. Die Technik machte etwa die Präsentation von Produkten lebendiger – und das mit überschaubarem Aufwand. „Im Marketing kann man XR gut ausprobieren, auch weil es häufig nichts mit dem normalen Betrieb zu tun hat“, sagt Christian Zabel, Professor für Unternehmensführung und Innovationsmanagement an der Technischen Hochschule Köln.
Vergleichsweise einfach ist es auch, wenn Unternehmen AR oder VR in ihren Entwicklungsabteilungen einführen. So entstehen Prototypen schneller und können direkt in digital simulierten Welten getestet werden. Der Nutzerkreis bleibt in der Regel auf einige wenige Beschäftigte begrenzt.
Einen besonders hohen Mehrwert für XR-Anwendungen sehen Experten bei der Aus- und Weiterbildung. „Das Potenzial im Bereich Training ist riesig“, sagt Zabel. Das Spektrum reicht von digitaler Unterstützung wie bei Slawinski bis hin zu grundlegenden Schulungen zum Maschinenpark oder zur Arbeitssicherheit. So werde eine Interaktion mit der echten Welt simuliert, erläutert Zabel – „und das im Idealfall nahezu ohne zusätzliche Kosten pro Ablauf.“ Je mehr Nutzer, desto besser rechnet sich die Investition.
Solch ein breiter Einsatz von XR-Technik ist im Mittelstand jedoch selten. Eine ganze Reihe von Hürden gilt es zu überwinden. In der Umfrage unter Mittelständlern, die die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (VBW) in Auftrag gegeben hatte, kam heraus: 55 Prozent der Unternehmen sehen keinen Nutzen für die Technologie, 36 Prozent erkennen keinerlei Passfähigkeit zum eigenen Geschäftsmodell oder der eigenen Produktion.
Weitere 35 Prozent der Befragten verfügen nach eigener Einschätzung nicht über ausreichendes Wissen, um XR-Projekte anzugehen. Dabei erleichtern einige Programme den Start in virtuelle Welten. „Hier muss keine Anwendung von Grund auf neu geschrieben werden, sondern es kann mit einem Baukastenprinzip etwas angepasst werden“, sagt Forscher Rauschnabel. Start-ups wie 3DQR, Giri, Rooom oder VR Direct haben sich darauf spezialisiert, den XR-Praxiseinsatz in wenigen Schritten zu meistern. Zudem liefern Hersteller der Datenbrillen – von Meta bis Microsoft – eigene Entwicklungsumgebungen mit.
In Bad Laasphe setzte Sven Hoffmann, Projektleiter des Mittelstand-Digital-Zentrums, auf die Softwareplattform Unity, mit der viele Computerspiele entwickelt werden. Dennoch gelte für die fertige Slawinski-Anwendung: „Es ist kein Produkt, das man so aus dem Softwareregal kauft.“
Bei dem Produktionsunternehmen schloss das Team zunächst den Minicomputer Raspberry Pi an die Maschine an, um Daten auslesen zu können sowie die Eingaben des Bedieners zu visualisieren. Dann wurden die Informationen der normierten Bodenformen in das Programm eingegeben, sodass dieses eine Art virtuellen Zwilling auf die Anlage projizieren kann.
Zudem wurden virtuelle Marker an der Maschine gesetzt – damit die Druck- und Geschwindigkeitswerte dem richtigen Schalter zugeordnet werden. Bei der Ermittlung der Vorgaben für die Werte halfen erfahrene Beschäftigte. „Ohne diese Informationen wäre es nicht gegangen“, sagt Göbel. Vor einem Jahr war die Anwendung fertig. Slawinski hat inzwischen eine eigene Hololens-Brille von Microsoft angeschafft. Noch liegt die häufig im Regal. „Es ist nicht einfach, im Alltag mit Termindruck und Auftragserledigungen neue Technologien einzuführen“, sagt Göbel.
Wissenschaftler kennen diese Bruchstelle auch aus anderen Vorhaben. „Die größte Herausforderung bleibt: Wie übernimmt man das Projekt in den Regelbetrieb?“, erläutert Zabel. Doch es gibt Pioniernutzer. „Wir hatten einen Praktikanten, der selbst Computerspiele mit VR-Brille gespielt hat“, sagt Göbel, „der war total begeistert.“
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