Rom sendet ein Signal der Ernüchterung nach Glasgow. Der Klimagipfel steht unter schlechten Vorzeichen.
Rom, Berlin Als das obligatorische Familienfoto im Kasten ist, vorn die Staats- und Regierungschefs, hinten die Nationalflaggen, strömen plötzlich Ärzte und Sanitäter auf die Bühne. Sie stellen sich zwischen die applaudierenden G20-Führer, die Mächtigen vereint mit den Helfern der Coronakrise. Es ist ein wichtiges Zeichen, das die Italiener damit gesetzt haben. Es zeigt aber auch: Im Zentrum des römischen Gipfels steht vor allem die Pandemie. Die weltweite Klimakrise erwähnt Italiens Premier Mario Draghi in seiner Eröffnungsrede nur ein einziges Mal.
Dabei hatten sich Umweltschützer gerade beim Klima Rückenwind vom Treffen der führenden Industrie- und Schwellenländer erhofft. Die G20-Staaten sind immerhin für rund 75 Prozent der globalen Emissionen verantwortlich. Doch das klare Signal bleibt aus. Die Steilvorlage für die Weltklimakonferenz, die am Sonntag in Glasgow begonnen hat: verpasst.
Im am Samstag kursierenden Entwurf für die Abschlusserklärung bekannten sich die G20-Länder zunächst zum Jahr 2050 als fixem Zeitpunkt für Klimaneutralität. In der finalen Abschlusserklärung ist schließlich alles wieder abgeschwächt. Die klare Festlegung auf das 1,5-Grad-Ziel fehlt, man wolle die „Bemühungen weiterverfolgen“, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Die zentrale Bedeutung von Klimaneutralität wird anerkannt, aber erst „bis und um die Mitte des Jahrhunderts“.
Es sind feinste diplomatische Nuancen, die vor allem den Dissens der Staatenlenker belegen. „In Glasgow kann und muss die Weltgemeinschaft die noch offenen Fragen zu den Regeln der internationalen Zusammenarbeit beim Klimaschutz abschließend klären“, sagte Bundesumweltministerin Svenja Schulze. Wenn das gelinge, könne Glasgow eine neue Phase einleiten, „mit Schwerpunkt auf die konkrete Umsetzung“.
Deutschland will bis 2045 klimaneutral werden, zwölf der G20-Länder und die EU wollen es bis 2050 sein. Einhalten lassen sich die globalen Klimaziele aber nur, wenn auch China (für mehr als 30 Prozent aller CO2-Emissionen verantwortlich), Indien (rund sieben Prozent) und Russland (4,6 Prozent) mitmachen. China und Russland haben bislang das Jahr 2060 anvisiert. Indien hält sich weiter mit einem konkreten Datum zurück – und verkündete just zum G20-Beginn, kein fixes Datum verkünden zu wollen.
Die Klimakonferenz steht damit unter schlechten Vorzeichen. Ende 2015 hatte sich die Staatengemeinschaft auf das Pariser Klimaabkommen geeinigt. Damit soll die Erderwärmung gegenüber der vorindustriellen Zeit auf unter zwei Grad Celsius, besser noch 1,5 Grad begrenzt werden, um die größten Zerstörungskräfte eines ungebremsten Klimawandels abzumildern.
Die Realität ist: Derzeit steuert die Welt auf eine Erderwärmung von 2,7 Grad bis zum Ende des Jahrhunderts zu. Die Emissionen steigen weiter an, die Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre ist auf einem Höchststand. Kann die Klimakonferenz trotzdem noch zum Erfolg werden – und worum ringen die Beteiligten genau?
Wesentlich ist die Frage, ob es gelingt, weitere Staaten zu einer Nachschärfung ihrer Klimaziele zu bewegen. Bis heute hat sich die globale Durchschnittstemperatur um 1,1 Grad Celsius erhöht. Die Folgen sind Extremwetterereignisse rund um den Globus. Der Weltklimarat stellte im Sommer fest, dass die CO2-Emissionen bis 2030 gegenüber 2010 etwa halbiert werden müssten, um das Temperaturlimit von 1,5 Grad halten zu können. Da sich die Emissionen seitdem erhöht haben, sind die Herausforderungen in dieser Dekade eher größer geworden.
China spielt Beobachtern zufolge derzeit eine eher enttäuschende Rolle. „Chinas Klimaschutzzusagen sind unzureichend, um das 1,5-Grad-Limit auch nur annähernd einhalten zu können“, urteilt Lutz Weischer, Leiter des Berliner Büros der Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch. China hatte am Donnerstag sein recht schwaches Versprechen erneuert, dass die Emissionen nur noch bis 2030 steigen sollen – und das Land bis 2060 treibhausgasneutral werden will.
„China als größter Emittent der Welt wird damit seinem selbst formulierten Anspruch, eine Führungsrolle im globalen Klimaschutz übernehmen zu wollen, nicht gerecht“, so Weischer. Die Supermacht verstecke sich hinter der EU und den USA. Dazu passt, dass Staatschef Xi Jinping nicht persönlich in Glasgow sein wird. Auch beim G20-Gipfel war er nur virtuell zugeschaltet.
Die EU und die USA müssten schnellstmöglich Fortschritte bei der Untermauerung ihrer Ziele machen, um den Druck auf China erhöhen zu können. Doch auch hier lauern Probleme. So sind die USA mit Joe Biden an der Spitze zwar dem Pariser Abkommen wieder beigetreten, nachdem Vorgänger Donald Trump von Klimaschutz nichts wissen wollte. Doch die nationale Klimagesetzgebung und die nötigen Programme stoßen im Kongress auf Gegenwind. Auch Schwellenländer wie Indien und Brasilien müssen nachlegen.
Zweites zentrales Thema ist das Versprechen der Industrieländer, von 2020 bis 2025 jährlich 100 Milliarden US-Dollar für den Klimaschutz in ärmeren Staaten bereitzustellen. Dieses Ziel wird erst drei Jahre später erreicht als geplant. Man sei zuversichtlich, der Summe von 100 Milliarden aus privaten und öffentlichen Quellen 2022 nahe zu kommen und sie 2023 erstmals zu erreichen, teilten Vertreter von Deutschland, Kanada und Großbritannien vor einer Woche mit.
Das sorgt für Frust bei etlichen Entwicklungsländern, die selbst am wenigsten zum menschengemachten Klimawandel beigetragen haben – und ist schon jetzt eine Hypothek für Glasgow. „Die Klimafinanzierung gilt als wichtiger Baustein in der „mühselig austarierten Balance des gegenseitigen Vertrauens zwischen den ärmeren und reicheren Ländern“, so Jan Kowalzig, Klimaexperte bei Oxfam. Es sei „ärgerlich“, dass der neue Fahrplan keine Zusage der Geberländer enthalte, die Ausfälle in den nächsten Jahren später durch höhere Beiträge nachzuholen.
Zuletzt hatte die OECD berichtet, dass 2019 die Klimafinanzierung rund 80 Milliarden Dollar betrug. Für 2020 liegen noch keine Daten vor, aber es gilt als sicher, dass das Versprechen nicht eingelöst werden konnte. Ab 2026 muss zudem ein neues Ziel für die Klimafinanzierung beschlossen werden.
Abgeräumt werden sollen einige eher technische Einigungen zum „Regelbuch“ für das Paris-Abkommen. Dabei geht es etwa um Transparenz und Überprüfbarkeit, wenn Staaten dem Klimasekretariat der Vereinten Nationen über ihre Fortschritte beim Klimaschutz berichten. Auch müssen sich die Länder auf einen gemeinsamen Zeitrahmen einigen und nicht in unterschiedlichen Abständen und Zeithorizonten neue Klimapläne einreichen und umsetzen.
Ebenso auf der Agenda: Regeln zum Artikel 6 des Pariser Abkommens. Dabei geht es um einen internationalen Austausch- und Anrechnungsmodus für Treibhausgasminderungen aus Klimaschutzprojekten. Wenn etwa Investitionen in Klimaschutz in Ländern gefördert werden, die nicht über ausreichende eigene finanzielle Mittel verfügen: Welches Land oder welches Unternehmen darf sich die Emissionsminderungen anrechnen? Das zahlende Land oder Unternehmen? Das Land, in dem die Investition getätigt wird? Klar ist nur: Doppelbuchungen darf es nicht geben.
Die Anforderungen an die Klimakonferenz sind hoch, Enttäuschungen vorprogrammiert. Christoph Bals von Germanwatch schwächt die hohe Erwartungshaltung ab. Es müsse das Jahrzehnt der Umsetzung der Klimaziele beginnen, sagt er, aber „es wäre vermessen zu erwarten, dass die Welt nach dieser Konferenz plötzlich auf einem 1,5-Grad-Pfad ist“. Das sei nicht zu schaffen.
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