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07.11.2022

18:34

Serie: Grüner Umbruch

Was der autonome Kleinbus zur Verkehrswende beitragen kann

Von: Jens Koenen, Stefan Menzel

In Hamburg fahren elektrische Kleinbusse durch die Stadt, doch ihr Anteil am Verkehr ist noch verschwindend gering. Die VW-Tochter Moia will das ändern.

Volkswagen und die Stadt Hamburg testen seit 2019 elektrisch betriebene Sammeltaxen – als Alternative zum individuell genutzten Auto. dpa

Kleinbus von Moia in Hamburg

Volkswagen und die Stadt Hamburg testen seit 2019 elektrisch betriebene Sammeltaxen – als Alternative zum individuell genutzten Auto.

Frankfurt, Düsseldorf Rund 250 elektrische Kleinbusse fahren derzeit in Hamburg und sollen die Brücke zu neuen Konzepten für den öffentlichen Verkehr bilden. Seit 2019 sind die Sammeltaxis der VW-Tochter Moia dort unterwegs und haben rund 5,5 Millionen Fahrgäste befördert.

Die Busse sind eine Lösung zwischen öffentlichem Personennahverkehr (ÖPNV) und dem individuell verwendeten Pkw. Sie könnten helfen, mehr Menschen vom Auto wegzulocken. Denn der Individualverkehr kann nicht mehr weiter wachsen, weil in den Städten der Platz dafür fehlt. Auch die Klimaziele erlauben das nicht.

Bis 2030 muss der Verkehrssektor mehr als eine viertel Milliarde Tonnen CO2 einsparen. Bisher wird dieses Ziel nicht erreicht, denn im vergangenen Jahr emittierte der Verkehr drei Millionen Tonnen zu viel. Der Druck ist gewaltig. Jürgen Gerlach, Professor für Verkehrsplanung der Universität Wuppertal, sagte kürzlich im Handelsblatt: „Wir müssen den Straßenraum umbauen, nicht in 30 Jahren, sondern jetzt.“ Autofahrer müssten vom Parkplatz auch mal einige Minuten bis zu ihrem Ziel laufen.

Es gibt viele Ideen, wie das Auto zurückgedrängt werden könnte und genauso viele Hürden. Die Deutschen hängen am Auto. Viele Städte sind nach wie vor auf den Pkw fokussiert. Die Wirtschaft fürchtet eine zu einseitig auf den Klimawandel ausgerichtete Verkehrspolitik. Schließlich kostet die Verkehrswende viel Geld.

Dennoch verändert sich in den Städten viel beim Thema klimafreundliche Mobilität. Dabei geht es nicht nur darum, Teile der Straßen rot oder grün anzumalen und für Radfahrer freizuhalten. Ein großes Thema sind sogenannte Superblocks: Das sind für den Verkehr gesperrte Quartiere, wie sie zum Beispiel in Barcelona entwickelt wurden.

Superblocks sollen Autos aus ganzen Quartieren fernhalten

Das Stadtparlament in Darmstadt hat vor wenigen Wochen beschlossen, im kommenden Sommer das Konzept in einem ersten Modellquartier zu testen. Wiesbaden hat das schon tageweise gemacht – vor allem an Sonntagen. Auch in Berlin, München, Stuttgart oder Hamburg gibt es solche Projekte.

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Frankfurt – eine auf den Autoverkehr ausgerichtete Stadt mit vielen Pendlern – will wiederum zwei kleinere Straßen in der Innenstadt zu Fußgängerzonen umwandeln. Auch soll der Mainkai autofrei werden. Doch gerade in der Bankenmetropole zeigt sich, wie schwer sich viele Politiker und Planer mit der Verkehrswende tun.

Die Idee des autofreien Mainkais kommt bei Teilen der Bevölkerung nicht gut an. Als die wichtige Verbindung in diesem Sommer für einen Test acht Wochen lang gesperrt wurde, kam es auf der gegenüberliegenden Uferstraße zu langen Staus. Die Bewohner dort waren wütend. Auch die Wirtschaft kritisiert die Pläne der in Frankfurt amtierenden Koalition aus Grünen, SPD, FDP und Volt.

So haben sich kürzlich Gewerbevereine aus mehreren Stadtteilen in einem Brief an die Stadt beklagt, dass Einkaufs- in Fahrradstraßen umgewandelt würden und so die „autofahrenden Kunden“ fehlen. Ulrich Caspar, der Präsident der IHK Frankfurt, sagt: „Die Verkehrspolitik in Frankfurt wird vor allem aus Sicht der Verkehrsverlagerung gemacht, die Konsequenzen für die Unternehmen werden nicht ausreichend berücksichtigt.“ Wenn Straßen zu Radwegen umgewidmet, wenn Parkplätze nur noch für Anwohner vorgehalten würden, dann bekämen Unternehmen, die auf Pendler angewiesen sind, ein ernstes Problem.

Frankfurt müsse als Oberzentrum der Metropolregion Interesse daran haben, in der Stadt Produkte und Dienstleistungen anzusiedeln, die nicht zur täglichen Versorgung gehören. „Dazu brauchen die Firmen ein großes Einzugsgebiet“, argumentiert der IHK-Präsident. „Die Menschen müssen aber auch die Möglichkeit haben, in die Stadt zu kommen. Und nicht überall in der Metropolregion sind S- oder U-Bahnen verfügbar.“ Wenn der Nahverkehr aber keine ausreichenden Verbindungen anbietet, greifen viele Bürgerinnen und Bürger zum Autoschlüssel.

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Dass die Fahrzeuge die Stadt verstopfen und das Klima belasten, rückt schnell in den Hintergrund. Das zeigt eine weltweite Erhebung des UBS Evidence Labs bei 6000 Menschen. Kosten, Sicherheit, Konnektivität, Verfügbarkeit und Pünktlichkeit – diese Faktoren sind wichtig, damit die Menschen sich für ein Verkehrsmittel entscheiden. Das Thema Klima hat es nicht unter die Top fünf geschafft. Die Befragten seien aber bereit, mehr zu bezahlen, wenn das Transportmittel umweltfreundlich sei, schreiben die Autoren der Studie.

Trotz Sammeltaxis – in Hamburg gibt es immer mehr Autos

Selbst in Hamburg, wo die Moia-Kleinbusse in Teilen der Stadt eine Alternative zum eigenen Auto sind, gibt es immer mehr Pkw. Zwischen dem 1. April und dem 1. Oktober wuchs die Zahl der zugelassenen Fahrzeuge von 804.000 auf etwa 810.000. Dabei versuchen Senat und der Hamburger Verkehrsverbund (HVV) schon länger, mit umfangreichen, teuren PR-Maßnahmen die Bürgerinnen und Bürger zum Nahverkehr zu bewegen.

Moia will sich von solchen Zahlen nicht vom Kurs abbringen lassen. „Wir sind zum festen Bestandteil des städtischen Verkehrs in Hamburg geworden“, bilanziert Moia-Chef Sascha Meyer. Zur Wahrheit gehört aber: Aktuell ist der Anteil am gesamten Verkehr der Hansestadt („Modal Split“) mit gut 0,1 Prozent noch verschwindend gering. Moia wird von den Hamburgern besonders gern in den Randzeiten am Wochenende und in der Nacht genutzt – wenn Busse und Bahnen seltener fahren.

Auch in Deutschland wollen mehrere Städte den Autoverkehr aus ganzen Wohnquartieren fernhalten. Gunnar Knechtel/laif

Ein sogenannter Superblock in Barcelona

Auch in Deutschland wollen mehrere Städte den Autoverkehr aus ganzen Wohnquartieren fernhalten.

Doch das Angebot soll attraktiver werden. Bislang ist das Einsatzgebiet der Busse in Hamburg auf etwa 200 Quadratkilometer nördlich der Elbe beschränkt. Mit dem Jahreswechsel soll es eine deutliche Ausweitung auf 270 Quadratkilometer geben. Moia-Busse dürfen dann erstmals Stadtteile südlich der Elbe bedienen. Entsprechend muss die VW-Tochter die Flotte vergrößern. Sie würde von 250 auf mehr als 450 Fahrzeuge wachsen.

Anjes Tjarks (Grüne), Verkehrssenator der Hansestadt, meint: „Damit gehen wir einen nächsten großen Schritt in Richtung Hamburg-Takt, mit dem alle Hamburger perspektivisch binnen fünf Minuten Zugang zu einem öffentlichen Verkehrsangebot haben sollen.“ Voraussichtlich bis zum Jahr 2030 soll in ganz Hamburg der Fünf-Minuten-Takt eingeführt werden.

Zudem wird Moia von der Hansestadt ab 2023 rechtlich als Betreiber eines öffentlichen Verkehrsangebots anerkannt. Es wird auch eine Verknüpfung mit dem Verkehrsverbund HVV geben: Wer ein HVV-Abonnement besitzt, bekommt im Moia-Kleinbus im neuen Jahr Rabatt.

2030: Kleinbusse auch ohne Fahrer

In den Augen von Moia und der Kommunalpolitik sind das wichtige Argumente für den „People Mover“. Die Kleinbusse befördern mehrere Fahrgäste gleichzeitig, fahren aber auf wechselnden Routen, die nach den Wünschen der Passagiere geplant werden. Die Sammeltaxen sind also flexibler als eine schienengebundene Bahn und orientieren sich stärker an einzelnen Kundenwünschen. Der durchschnittliche Fahrpreis beträgt zwischen sechs und neun Euro – und liegt damit zwischen ÖPNV-Tarif und dem Taxi.

Und die nächsten Schritte sind schon geplant. Die große Zukunftshoffnung von VW sind autonom fahrende Moia-Kleinbusse. Mit denen will der Wolfsburger Autohersteller irgendwann im nächsten Jahrzehnt viel Geld verdienen. 2025 will Volkswagen die ersten autonom einsetzbaren Moia-Sammeltaxen auf die Straßen schicken.

Ein weiterer Ausbau der Flotte auf 1000 Fahrzeuge und mehr für das gesamte Stadtgebiet wäre denkbar. Zunächst werden noch Sicherheitsfahrer gebraucht. Später würden die Moia-Busse dann ausschließlich computergesteuert unterwegs sein. 2030 könnte das Jahr sein, in dem die Flotte keine Fahrer mehr braucht.

Das wäre auch das Jahr, in dem das Konzept wirtschaftlich funktionieren sollte. Weil die Personalkosten für die Fahrer nicht mehr anfallen, ließe sich eine Moia-Flotte mit Tausenden von Fahrzeugen in einer Stadt wie Hamburg kostendeckend betreiben. Und Volkswagen käme dem Plan immer näher, die Moia-Idee auch an andere Städte rund um den Globus zu verkaufen.

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Die Bereitschaft, solche autonomen „People-Mover“ zu nutzen, ist da – auch in Deutschland. Das belegt eine aktuelle Mobilitätsstudie der Porsche-Tochter MHP, des Fraunhofer Instituts und der Zeitschrift „Auto Motor und Sport“. Demnach kann sich rund die Hälfte der befragten Bürgerinnen und Bürger solche Lösungen etwa für Fahrten zum Arzt oder für Besorgungen vorstellen. Auch für private Aktivitäten oder den Weg zur Arbeit sehen die Befragten ein Potenzial für autonome Fahrdienste.

Bis dahin heißt es aber erst mal weiterarbeiten im Versuchslabor. Wer sich an der Verkehrswende versucht, wird bereit sein müssen, finanziell in Vorleistung zu gehen. Zwar schweigt sich Volkswagen aktuell über die Moia-Verluste aus. Da das gesamte Projekt über mehr als ein Jahrzehnt angelegt ist, dürften die Investitionen aber in die Milliarden gehen.

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