Junge Unternehmen sind Vorreiter für nachhaltige Geschäftsideen. Mit den steigenden Zinsen wird ihr finanzieller Spielraum kleiner.
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Das Start-up Berlingreen stellt Boxen her, mit der in der Küche Kräuter gezüchtet werden. Die Steuerung erfolgt über eine App.
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Düsseldorf Ernesto Garnier machte sich vor gut sechs Jahren selbstständig und nannte sein Unternehmen Einhundert. Abgeleitet von „100 Prozent digital, skalierbar und CO2-frei“ für seine Idee, Solarstromanlagen für Mietshäuser anzubieten. „Ich hatte bemerkt, dass sich bei Photovoltaikanlagen alle auf Einfamilienhäuser fokussieren und Mietshäuser keine große Rolle spielen“, erzählt Garnier. Dabei wohnen mehr Menschen in Mietshäusern als in der eigenen Immobilie.
Garnier will mit seinem Start-up nicht nur Geld verdienen, sondern auch einen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Schließlich geht ein Drittel der CO2-Emissionen auf den Immobiliensektor zurück. Garniers Unternehmen pachtet die Dächer von den Eigentümern der Häuser, bietet den Mietern Ökostrom an und speist ihn nach Bedarf auch ins Netz ein.
Zu seinen Kunden zählen zum Beispiel die TAG Immobilien AG, die Landesentwicklungsgesellschaft LEG oder auch Wohnungsgenossenschaften wie die GAG. „Immobiliengesellschaften können mithilfe unserer Prozesse und Software eine flächendeckende Versorgung mit Solarstrom realisieren“, erklärt Garnier.
Das Start-up kann nach eigenen Angaben Strom rund zehn Prozent günstiger anbieten als herkömmliche Energieversorger. Das Interesse an kostengünstigem Strom nimmt bei steigenden Strompreisen zu. Von den Mietern, auf deren Häusern Photovoltaikanlagen von Einhundert montiert sind, haben im Schnitt 50 Prozent einen Vertrag mit Einhundert abgeschlossen. Mittlerweile zählt das Start-up mit Sitz in Köln 70 Mitarbeiter und versorgt über 4000 Haushalte mit grünem Strom. Das Potenzial ist riesig.
Einhundert steht stellvertretend für Start-ups, die sich mit nachhaltigen Ideen beschäftigen. Denn viele Neugründungen entwickeln Produkte oder Dienstleistungen, die nachhaltig ausgerichtet sind. 46 Prozent aller Start-ups in Deutschland rechnen ihre Produkte der „Green Economy“ zu, das ist ein Zuwachs von 13 Prozentpunkten gegenüber 2018. Das geht aus dem Deutschen Start-up Monitor 2022 hervor.
„Junge, innovative Unternehmen in Deutschland sind der Motor der nachhaltigen Transformation der deutschen Wirtschaft“, sagt Florian Nöll, Head of Corporate Development & Innovation bei der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC Deutschland. Das gilt ganz besonders für den Energiesektor. „Hier können zwei Drittel aller Start-ups als grün eingestuft werden“, betont Nöll.
Lange Zeit wurden Nachhaltigkeit und Wachstum in der politischen Debatte als nicht vereinbar angesehen. Die jungen Unternehmer sehen das anders: „Start-ups verbinden ökologische Nachhaltigkeit und Wachstum. 61 Prozent verfolgen beide Ziele als wichtigen Teil ihrer Unternehmensstrategie und bringen so die ökologische Transformation in die Breite der Wirtschaft“, sagt Nöll.
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Das Interesse an nachhaltig produzierten Produkten und Dienstleistungen ist gestiegen. Vor allem die Klimaschutzziele sind in der breiten Gesellschaft angekommen. Viele Menschen wollen mit ihrem Verhalten zu den Klimaschutzzielen beitragen. „Kunden und Investoren fordern sie heute regelrecht ein“, sagt Stephan Zoll, CEO des Online-Sporthändlers Signa Sports United.
Er sieht einen weiteren Grund für den Nachhaltigkeitsboom bei Firmengründungen: „Junge Unternehmer haben heute viel mehr Transparenz und Einblick in die ökonomischen und ökologischen Zusammenhänge sowie den daraus resultierenden Abhängigkeiten, als das noch vor zehn Jahren der Fall war.“
Die Bandbreite der Neugründungen in Deutschland ist immens. Ein Schwerpunkt ist Berlin. Hier gibt es ein großes Netzwerk von Start-ups, etablierten Unternehmen und Wissenschaft. In diesem Umfeld befruchten sich junge Unternehmer gegenseitig, tauschen sich aus, entwickeln Ideen oder verwerfen sie wieder.
Das Spektrum reicht vom Start-up Kaffeeform, das aus Kaffeesatz Becher und Tassen herstellt, über das Start-up Berlingreen, das Boxen mit LED-Leuchten für das Züchten von Kräutern herstellt, bis hin zu Partiri, einer Plattform für den Tausch von Werkzeugen.
In Berlin ist auch Sirplus ansässig. Gründer und CEO Raphael Fellmer rettet Lebensmittel. Er kauft von Produzenten oder Großhändlern überschüssige Lebensmittel, die er weiterverkauft. Seine Kunden sind Menschen, die einen Beitrag dazu leisten wollen, dass weniger Lebensmittel weggeworfen werden. „Wir wollen ein Umdenken und Bewusstsein schaffen für den Umgang mit Lebensmitteln“, erklärt Fellmer. Schließlich geht die Hälfte der weggeworfenen Lebensmittel auf Privathaushalte zurück.
Bei Sirplus in Berlin arbeiten 37 Menschen in Vollzeit. Ursprünglich hat das Unternehmen in Berlin die Produkte in eigenen Läden verkauft. Mit der Coronapandemie kamen aber weniger Besucher. Seit vergangenem Jahr können Kunden nur noch online bestellen. Es gibt Pakete für Veganer, Vegetarier oder andere Vorlieben. „Das ist jedes Mal eine Überraschung, weil sich das Angebot natürlich ändert“, erklärt Fellmer. Es lassen sich Produkte aber auch einzeln bestellen.
Bei Sirplus achtet Fellmer darauf, dass möglichst das gesamte Unternehmen nachhaltig aufgestellt ist. So kommt im Unternehmen nur umweltfreundlich erzeugter Strom zum Einsatz. Der Transport erfolgt zum Großteil mit Fahrzeugen, die mit erneuerbaren Energien betrieben werden. Pro Bestellung finanziert Sirplus eine Mahlzeit für hungernde Menschen. Insgesamt wurden so mittlerweile 430.000 Mahlzeiten gespendet.
Obwohl die nachhaltige Start-up- Landschaft blüht und das Interesse der Gesellschaft wächst, wird die Finanzierung schwieriger. Grund dafür sind die steigenden Zinsen. „In den vergangenen zehn Jahren war es relativ einfach und günstig, Kapital zu bekommen“, sagt Stephan Zoll. Das wird sich ändern. Denn Investoren hätten dank höherer Zinsen die Chance, mit risikoärmeren Investments wieder positive Erträge zu erzielen.
Investoren würden sich in Zukunft bei wachstumsorientierten und zunächst wenig profitablen Start-ups noch genauer überlegen, ob sie ihr Geld investieren wollen, betont Zoll: „Der Zugang zu Kapital wird erschwert, und innovative Ideen werden deutlich stärker auf Qualität, Realisierbarkeit und zukünftige Erträge geprüft.“
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