Zwei Prozent der weltweiten Containerflotte stecken vor Hamburg, Rotterdam und Antwerpen fest. In Deutschland droht bald ein zusätzliches Problem.
Hafen in Hamburg
Etliche Frachter warten darauf, ihre Container abzuladen.
Bild: IMAGO/Markus Tischler
Düsseldorf Die Staus in der Containerseefahrt, die seit Herbst 2021 für massive Lieferengpässe im Welthandel sorgen, verlagern sich zunehmend von den Hafenstädten der USA in die Nordsee. Das geht aus den am Dienstag vorgelegten Zahlen des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW Kiel) hervor, das mit seinem „Kiel Trade Indicator“ die Handelsflüsse in 75 Ländern und Regionen der Welt beobachtet.
Danach stecken derzeit zwei Prozent der weltweiten Containerflotte vor und in den Häfen Deutschlands, Hollands und Belgiens fest, was einer Anzahl von gut 100 Schiffen entspricht. Die meisten davon können derzeit weder be- noch entladen werden.
Allein in der deutschen Bucht warten laut der Onlineplattform Sea-Explorer 16 große Containerschiffe mit einer Kapazität von jeweils bis zu 18.000 Standardcontainern (TEU) auf das Anlaufen in Hamburg oder Bremerhaven. „Vor den Häfen Rotterdam und Antwerpen ist die Lage noch dramatischer“, berichtet Vincent Stamer, Leiter des Kiel Trade Indicator.
Schon seit Monaten ist die Lage der Nordseehäfen angespannt. Vor allem in Rotterdam, dem größten Hafen Europas, kam es immer wieder zu Containerschiff-Staus und Überlastungen. Die Situation hat sich seit wenigen Tagen noch einmal verschärft: Entsprachen die wartenden Schiffe in den vergangenen Monaten selten mehr als einem Prozent der Weltflotte, sind es nun knapp doppelt so viele.
Zu besichtigen sind die Stockungen derzeit im Hamburger Hafen. Denn nicht nur zahlreiche Containerriesen wie die chinesische „CSCL Saturn“, die „Al Muraykh“ von Hapag-Lloyd/UASC oder die japanische „One Eagle“ liegen seit Tagen vor Helgoland und warten auf Einfahrt in die Elbe. Auch im Port selbst geht kaum noch etwas. Zehn Containerschiffe, darunter Frachter von CMA CGM, Evergreen und Hyundai Merchant Marine, haben an den Kais der Terminalbetreiber HHLA und Eurogate festgemacht. Üblicherweise liegen dort gerade einmal drei bis vier Boxenschiffe.
„Mit dem vor anderthalb Wochen aufgehobenen Lockdown in Schanghai hat dies rein gar nichts zu tun“, ist sich ein Sprecher der weltgrößten Seefrachtspedition Kühne + Nagel sicher. Nachgeholte Schiffstransporte aus der chinesischen Metropole seien erst in vier bis sechs Wochen in Nordeuropa zu erwarten – wenn nicht noch später.
Denn aktuell liegen die Schiffsausfuhren aus dem Land der Mitte immer noch sieben Prozent unter dem Wert vor den Lockdowns Mitte März, wie die Supply-Chain-Überwachungsfirma Fourkites ermittelte. Dabei hätten sich in Chinas Häfen die Wartezeiten für die Schiffe längst wieder normalisiert. Mussten Container zum Höhepunkt des Lockdowns in Schanghai durchschnittlich 69 Stunden auf die Verladung warten, sind es inzwischen nur noch 31. Bei einem Wert von 27 Stunden wäre der Port wieder im Durchschnitt der vergangenen drei Jahre angelangt.
So rätselt man im Hamburger Hafen derzeit über die Ursachen der zunehmenden Staus. „Eines der größten Probleme ist, dass Importcontainer nicht abgeholt werden und dadurch den Hafen verstopfen“, sagt ein Sprecher der HHLA. Die durchschnittliche Abholzeit habe sich von drei auf sieben Tage verlängert, manche Stahlboxen stünden bis zu 50 Tage im Hafen.
Das aber führe zu Problemen beim Umschlag: „Wir können aus Platzmangel kaum noch Exportcontainer annehmen“, heißt es bei der HHLA. Sogar zusätzliche Stellflächen, die abseits im Hafen liegen, habe man deshalb aktivieren müssen.
Über die Gründe, weshalb der Weitertransport der ankommenden Stahlboxen stockt, kann man beim Hamburger Terminalbetreiber allenfalls spekulieren. „Es könnte sein, dass die eigenen Lagerkapazitäten vieler Importeure erschöpft sind“, vermutet ein HHLA-Sprecher. „Auch der an vielen Stellen gestörte Eisenbahnverkehr dürfte einer der Gründe sein.“
Eine weitere Ursache könnte an Deutschlands Küste in den nächsten Tagen noch hinzukommen. Am 10. Juni startet die dritte Verhandlungsrunde der Gewerkschaft Verdi mit den Hafenbetreibern, wodurch Arbeitsniederlegungen zu erwarten sind. Zwar kam es am Dienstag noch nicht zu den befürchteten Warnstreiks, in den Häfen verteilte die Gewerkschaft jedoch Handzettel, die unter den Belegschaften für einen „Gesundheitstag“ am Mittwoch warb. Vor allem in Bremen und Hamburg rechnet man damit, dass dies den Betrieb weiter verzögern könnte.
Deutschlands Häfen träfe dies zur Unzeit. „Dass in den vergangenen Wochen die Exporte aus Schanghai trotz Lockdown-Maßnahmen wieder gestiegen sind, zeigt, dass die Firmen dort in den Startlöchern stehen und bei einer Beendigung des Lockdowns die Produktion wohl wieder schnell hochfahren können“, erwartet IfW-Logistikexperte Stamer. Bisher seien wegen des Lockdowns in der chinesischen Millionenstadt Exporte im Wert von bis zu 700 Millionen Euro von China nach Deutschland entfallen.
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Welchen Schaden die Lieferengpässe seit dem Beginn der Coronapandemie verursachten, hat nun die Beratungsfirma Sea-Intelligence errechnet. Bei den Importeuren habe sich die Lagerhaltung aus Furcht vor Bestandslücken drastisch erhöht, ermittelten die Forscher – und zwar von weltweit 260.000 TEU auf 1,8 Millionen. Bei einem durchschnittlichen Warenwert von 40.000 Dollar pro Container habe dies zusätzliche Finanzierungs- und Lagerkosten von fünf bis zehn Milliarden Dollar verursacht, schätzt Sea-Intelligence. Ausgaben, die bei funktionierenden Just-in-time-Lieferungen nicht entstanden wären.
Stau auf dem Meer
Viele Containerschiffe mussten zum Jahresbeginn im Hafen von Los Angeles lange warten. Mittlerweile hat sich die Situation dort entspannt.
Bild: Bloomberg
Doch ein Ende der Misere ist keineswegs in Sicht. Zwar sanken die Verzögerungen im Schiffsverkehr seit dem Höhepunkt der Krise von 70 auf derzeit 57 Millionen Container-Tage. Vor der Pandemie lag der Durchschnittswert jedoch bei gerade einmal acht Millionen. Immer noch stecken aktuell mehr als elf Prozent aller weltweit verschifften Waren im Stau, berichtet das IfW Kiel.
Entspannung zeigen in diesen Tagen lediglich die Häfen an der US-Küste, die in den vergangenen Monaten am Rand eines Kollapses standen. Vor den Häfen Südkaliforniens wie Los Angeles und Long Beach bildeten sich die Staus in den vergangenen Wochen gänzlich zurück. Lagen dort bis vor Kurzem noch drei Prozent der weltweiten Containerflotte in Wartestellung, beträgt ihr Anteil heute kaum noch 0,5 Prozent.
Experten begründen dies mit der geschrumpften Nachfrage der Amerikaner nach Konsumgütern aus Asien. Nach Angaben von Federal Reserve Economic Data hatten sie 2021 während der Coronakrise ihre Ausgaben für langfristige Verbrauchsgüter – und damit auch für Importe aus Fernost – um 25,4 Prozent erhöht. Im Mai 2022 aber stagnierten die Ausgaben nur noch gegenüber dem Vormonat. Die Nachfrage nach Containerlieferungen aus Fernost dürfte in den USA entsprechend gesunken sein.
Erstpublikation: 07.06.22, 09:14 Uhr (zuletzt aktualisiert: 07.06.22, 15:13 Uhr).
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